Am frühen Abend klingelte es bei Moni und Uwe erneut an der Haustür. Thommy hatte sein Versprechen eingehalten und war mit einer großen Tasche gefüllt mit Südtiroler Köstlichkeiten eingetroffen. „Resi hat leider keinen Babysitter gefunden, dem es möglich war, so kurzfristig einzuspringen.“ Moni nahm ihm das Geschenk ab, „Du bist soo lieb, vielen Dank. Komm herein in die gute Stube. Das ist gar kein Problem, die Wohnung platzt sowieso schon aus allen Nähten.“ Dabei lächelte sie Uwes Kumpel freundlich zu.
Victor konnte also unmöglich noch einmal im Gästezimmer übernachten. Moni hoffte ganz fest, dass sich der Streit mit Irina bald wieder legen würde. Denn im Grunde waren die beiden ein so knuffiges Paar.
Doch Victor ließ sich wegen Thommy nicht so schnell abwimmeln, „Es ist überhaupt kein Problem für mich, auf der Couch zu schlafen. Immer noch besser als in der Klinik. Bitte Moni, sag ja, ich komme sowieso erst nach acht.“ Gutmütig gab Moni nach. Mit dem Telefon in der Hand lief sie wieder zurück ins Wohnzimmer. Hier saß Uwe mit dem Laptop und prüfte Ergebnisse und Röntgenaufnahmen.
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Tina, Olga, Max und Franz frühstückten heute gemeinsam, denn sie warteten auf Georg. Es gab noch einiges zu besprechen. Vor allem stand die Frage im Raum, wer ab jetzt die Führung des Hofes übernahm. Tina verstand ihren Vater in dieser Sache überhaupt nicht. Wie kam er nur auf diese Schnapsidee, Montan zu verlassen und stattdessen in die USA zu flüchten?
Tina beobachtete Olga wie diese vorsichtig auf ihrer Scheibe Brot kaute. Unverblümt fragte sie: „Sag mir Olga, was bedrückt dich so denn, außer natürlich Ritas Tod.“
Olgas Augen füllten sich sofort mit Tränen, doch sie blieb stumm. Franz und Max verstanden, nahmen ihre Brote in die Hand und marschierten aus der Küche.
„Ich... ich,“ stammelte das ukrainische Mädchen, „Ich denke, dass ich... ähm.. ich...“
Tina nahm sie vorsichtig in ihre Arme. „Na komm Liebes, raus mit der Sprache, du kannst mir vertrauen. Das weißt du doch!“ „Vielleicht bin ich, ähm, naja schwanger.“ Jetzt war es endlich ausgesprochen. Olga befürchtete, dass Tina mit ihr schimpfen würde. Doch Tinas Gesicht erhellte sich. „Aber das wäre ja wunderbar, Olga Schätzchen. Wie schön.“
„Ich bin mir aber nicht sicher.“ Tina nickte wissend, „Weißt du was wir fahren nach Innsbruck zu meiner Frauenärztin. Ich vereinbare gleich einen Termin, bist du einverstanden? Dann könnten wir auch Moni und Uwe besuchen.“ Olga nickte und lächelte zum ersten Mal seit vielen Tagen. Tina gab ihr ein Taschentuch und streichelte sie. In diesem Augenblick ging die Tür auf und Georg kam in die Küche.
„Guten Morgen ihr Lieben, wo sind Franz und Max? Ich möchte euch gerne mein Konzept vorstellen.“
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Auch Moni war schon sehr früh wach. Die vielen Ereignisse und Gedanken ließen sie nicht mehr in den Schlaf finden. Vorsichtig spähte sie ins Wohnzimmer, um nach Victor zu sehen, doch er war bereits weg. Auf dem Küchentisch fand sie einen Zettel:
Liebe Moni, danke für eure Freundschaft und Hilfsbereitschaft. Heute Abend habe ich ein Treffen mit Irina organisiert. Drück mir die Daumen, bis später.
Moni saß vor ihrem Notizbuch und schrieb die wichtigsten Punkte, die es in den kommenden Tagen zu erledigen gab, auf. Langsam hatte sie nämlich die Befürchtung in all dem Chaos den Überblick zu verlieren. Schon nächsten Dienstag sollte sie wieder ins Krankenhaus? Dieser Gedanke gefiel ihr überhaupt nicht, auch wenn ihr klar war, dass die Metalle dringend entfernt werden mussten. Laut Victor war es scheinbar sogar schon über der Zeit. Er hatte Angst, dass die Fremdkörper bereits zu sehr mit ihrem Körpergewebe verwachsen waren. Allein der Gedanke daran ließ sie erschaudern. Wenn sie an die Schmerzen, an das Gehen mit Krücken und das ganze Theater dachte, dann wurde es ihr schlecht. Tränen bildeten sich und Moni saß lange Zeit wie gelähmt auf ihrem Stuhl.
„Mein Engel wo bist du?“
Uwes Stimme riss Moni aus ihren trübsinnigen Gedanken. Sie lächelte tapfer und marschierte hinüber ins Schlafzimmer, wo Uwe frech-grinsend aufrecht im Bett saß. „Kommst du zu mir? Ich fühle mich schon viel besser.“ Dabei hatte er ein kreideweißes Gesicht und geschwollene Augen. Moni lachte, gab ihm einen Kuss und nahm ihn an der Hand.
„Nichts da, raus aus den Federn, es gibt viel zu tun!“
„Was? Wirklich? Aber warum denn?“
Schon war die Türglocke zu hören, beide verdrehten die Augen, lachten dabei aber laut.
Moni und Uwe erklärten der neuen Haushälterin, auf welche Dinge sie Werte legten, wo sie beim Reinigen besonders acht geben musste und was vor allem für Uwe wichtig war. „Ich bin sehr penibel und lege Wert auf absolute Sauberkeit. Die Wohnung erwarte ich immer in einem akkuraten Zustand. Mein Arbeitszimmer ist tabu, zumindest wenn ich nicht da bin.“ Uwe bugsierte sie durch alle Räume, zeigte ihr noch die Terrasse und den Garten und war schon wieder in seinem Chefarztelement. Er riss wichtige Entscheidungen an sich und traf sie alleine. Magda, so hieß die freundliche Dame, hatte vor Aufregung einen roten Kopf.
Direkt nach dem Termin mit Hannes brachte Victor weitere Unterlagen, Uwes Medikamente und Informationen vorbei. Der Oberarzt erinnerte Uwe an das Gespräch mit Dr. Baker aus Michigan. „Chef, hast du ihn vergessen? Schon morgen habt ihr das Vorstellungsgespräch.“ Entsetzt antwortete dieser: „Ach du Schreck, den werde ich sofort anrufen.“
Moni schüttelte den Kopf und winkte ab. Sie ließ die Ärzte alleine und wurstelte in der Küche. Kurze Zeit später klingelte es erneut. Es war Jan Rudel, der heute zusammen mit Magda mit Monis großem Wagen den Großeinkauf übernahm. Moni gab ihnen zwei Klappboxen, den Einkaufszettel und dreihundert Euro.
Danach telefonierte Moni mit ihrer Schwester. Schließlich wartete das Strickcafé mit all den gebuchten Workshops und anderen wichtigen Terminen.
„Zur Not sagen wir die Kurse ab.“
„Trotzdem benötigen wir eine weitere Mitarbeiterin.“ Conny und Andy hatten zwar auf die Schnelle eine Anzeige in der Stuttgarter Zeitung aufgegeben, doch bis jemanden Geeignetes gefunden war, dauerte es sicherlich eine gewisse Zeit.
„Glaub mir Moni, du solltest auf jeden Fall vor der OP noch einmal herkommen. Wir brauchen deine Unterschrift und eine Art Übergabe oder so.“ Uta fühlte sich zunehmend überfordert. „Wir schaffen das Uta, irgendwie. Herr Rudel kann mich sicherlich am Samstag nach Stuttgart fahren. Doch ich muss sofort wieder zurück. Uwe braucht mich hier.“
Wieder hakte Moni einen Punkt ab, seufzte dabei laut und schnappte sich Brunos Leine. Der Hund wartete schon seit einer Stunde auf seinen Spaziergang. Unterwegs telefonierte sie mit Lina. Sie gab ihrer Jüngsten ein paar Tipps bezüglich Schwangerschaft in Kombination mit bereits vorhandenen Kinder. „Sobald es mir wieder besser geht, komme ich auf jeden Fall eine Weile zu euch nach München, ja? Dann helfe ich dir gerne im Alltag. Jetzt bin ich erstmal froh, wenn Uwe alles gut übersteht.“
Lina freute sich. „Au ja, des isch abber toll! Subber, also Mama, no machs guat, gell!“
„Und der Stiefopa freut sich ganz bestimmt auch auf die Kleinen!“
„Ha no isch recht. Abber jetzt musch erscht amol du unders Messer, gell. Hab dich lieb Mami.“
Der schwäbische Dialekt zauberte Moni ein Lächeln ins Gesicht. Vergnügt lief sie weiter. Automatisch schlug sie den Weg ein, der bei der Stadtvilla vorbeiführte. Über einen Besuch würde sich Käthe bestimmt freuen. Sie fand Kim und ihre Tochter hinten am großen Pflanzbeet bei der Gartenarbeit. Die Mädels ließen sich aber gerne für eine kurze Zeit ablenken. Sie besprachen noch einige Details wegen der kommenden Woche, dann war für Moni auch dieser Punkt erledigt.
Auf dem Heimweg dachte sie über ihre Beziehung mit Uwe nach. Sie war so froh, dass es ihm besser ging. Laut Victor war die kritische Phase überstanden, jetzt galt es durchzuhalten. Wie wunderbar, dass er sich endlich gegen den Alkohol entschieden hatte. Es war höchste Zeit. Gleichzeitig spürte eine tiefe Liebe, die sich entwickelt hatte. Dieses Gefühl verlieh ihr Kraft. Sie freute sich wahnsinnig auf die Zukunft mit ihm.