Auf dem Huber-Hof freuten sich alle Bewohner über die gute Nachricht von Frau Häberle. Klar, dass man dem Mädel die Mama zurückwünscht. Die ersten Bauarbeiter waren vor Ort, es wurde laut, staubig und turbulent. Rita hielt nicht so viel von Georgs Idee, sie wollte eigentlich nur ihren Lebensabend in Ruhe auf dem Hof genießen. Mit den Kühen in der wunderschönen Landschaft und den freundlichen Menschen, die hier in Montan lebten. Das hätte ihr völlig gereicht.
Olga war fleißig wie immer, kümmerte sich um den Haushalt, putzte viel und betreute die lieben Nachbarskinder. Sie wünschte sich Käthe zurück, obwohl sie so ungleich waren, ja sogar Angst hatte sie am Anfang gehabt. Doch sie fühlte sich inzwischen in der Nähe von Käthe sehr wohl und mutig. Spätestens am Montag würden sie wieder gemeinsam frühstücken und abends im Handarbeitszimmer sitzen. Vielleicht würde Käthe auf der Klarinette spielen.
Es klingelte an der Haustür. „Einen wunderschönen Guten Morgen“. Es war Elsbeth, die gute Fee. Sie wurde auch gerne die Kräuterhexe genannt. Sie kam einmal pro Woche vorbei und half einen ganzen Tag auf dem Huber-Hof aus. Sie übernahm jegliche Arbeiten, die gerade anstanden. Sogar im Stall bei den Kühen oder beim käsen konnte sie gute Dienste leisten. „Komm rein, Elsbeth, schön, dass du da bist. Heute müssen wir im 1. Stock die Möbel um- und ausräumen und mit Decken abdecken, die Bauarbeiten haben begonnen“.
Jetzt schon hatte Olga Angst davor, dass Käthe mit ihrer Mutter zurück nach Deutschland gehen würde, wenn diese gesund war, irgendwann ja bestimmt. Sie dachte an die Worte des Pfarrers: Freud und Leid sind immer des Menschen Begleiter.
Auch auf dem Wagner-Hof war alles Bestens. Lara und Linus saßen am Frühstückstisch, tranken Ziegenmilch mit Schokostreuseln und aßen das selbstgebackene Brot von Rita. Sie freuten sich jetzt schon auf Olga.
„Es ist meine Olga“, rief Lara frech. Das Kindermädchen hatte ihr versprochen aus dem neuen Kinderbuch vorzulesen. Niemand hatte so viel Geduld wie das ukrainische Mädchen. Die Kinder liebten sie sehr. „Nein, meine“, der kleine Linus stemmte seine dünnen Ärmchen in die Hüfte. „Meine!“
Den Welpen und Käthes Bruno ging es gut. Der Herbst kam mit schnellen Schritten und es gab noch viel Arbeit vor dem ersten Schnee. Das konnte hier, wie überall in den Bergen, sehr schnell gehen. Karl, der neue Mitarbeiter hatte sich wunderbar auf dem Hof eingelebt. Er war fleißig, zuverlässig, freundlich und korrekt. Seine tief sitzende Traurigkeit ließ er sich tagsüber nicht anmerken. Nur abends saß er alleine in dem kleinen Haus in der Dunkelheit.
Sein Sohn Tobi hatte sich recht schnell eingelebt, er konnte seine Kochlehre im Bio-Hotel Montan weiterführen. Das war für die beiden Männer aus dem Defereggental das Wichtigste. Mit einem Jungen aus dem Dorf hatte sich Tobi schnell angefreundet und man sah sie öfters abends in der Dorfkneipe beim Karten spielen.
***
Verliebt und glücklich sprangen sie Hand in Hand über eine bunte Blumenwiese, setzen sich auf einen Stein, küssten sich, lachten laut. Wälzten sich auf dem Boden, neckten sich, erzählten sich Witze, streichelten und liebten sich innig. Dann nahm sie seinen Kopf in die Hände, plötzlich bröselte das steinige Ebenbild des geliebten Mannes auseinander. Eine böse Fratze blickte ihr entgegen, dann schrie sie laut. Schrie und lief um ihr Leben.
Käthe war schnell bei ihrer Mutter, nahm sie an der Hand und streichelte sie vorsichtig. „Alles ist gut, Mama, was ist denn?“ Doch Moni schrie und weinte, sie konnte sich nicht beruhigen. Automatisch drückte Käthe den Notruf, da kam schon Maria, die Nachtdienst hatte ins Zimmer. Sie beruhigte Monis Tochter. „Deine Mutter hatte einen sehr schlechten Traum, so wie es aussieht. Das passiert leider sehr oft, nach einem künstlichen Koma. Oder auch durch die Kopfverletzung. Mit der Zeit geht auch diese Phase wieder vorbei, man kann leider nichts dagegen tun.“
„Ach manno, meine arme Mama“, Käthe fühlte sich der Situation überhaupt nicht gewachsen. Tränen liefen nun auch bei ihr, sie war so hilflos. Was sollte sie nur machen? Was konnte sie tun? Ein Blick auf das Handy sagte ihr, es war morgens um fünf Uhr! Dann schnappte sie sich ihre Klarinette, spielte ihrer Mama ein Beatles Medley vor. Maria kam noch einmal ins Zimmer, lächelte Käthe freundlich an, denn Frau Häberle hatte aufgehört zu schreien.
Beim gemeinsamen Frühstück erklärte Dr. Uwe Ortner den Angehörigen noch einmal ganz in Ruhe die Verletzungen, das weitere Vorgehen und die Behandlung von Frau Häberle. Er beantwortete geduldig die Fragen.
Gegen Käthes Depressionen und Ängste hatte er gemeinsam mit Dr. Marowski den Medikamentenplan neu erstellt. Das bis jetzt verabreichte Fluoxetin wurde abgesetzt. Stattdessen erhielt sie morgens Sertalin und am Abend Mirtazapin. Diese Kombination hatte in einer langjährigen Studie positive Ergebnisse erzielt.
Käthe erzählte von Montan, von Aaron und Olga, von all den Tieren und natürlich vom kleinen Bruno. Zum Schluss machte sie ihrer Familie klar, dass sie auf jeden Fall hierbleiben würde. „Schließlich bin ich alt genug. Und ich habe Kim kennengelernt, ich bin also nicht alleine!“
Georg und Uwe hatten versprochen, ihr dabei zu helfen. Auch finanziell. Sogar einen Job wollten sie der jungen Dame besorgen.
Uta konnte nun ein wenig loslassen. Auch Johann musste zugeben, dass seine Schwester hier sehr gut betreut und versorgt würde. Auch Käthe schien trotz der Ereignisse der letzten Wochen aufzublühen. So aufgeweckt und voller Tatendrang hatte er das psychisch kranke Mädchen schon lange nicht mehr gesehen.
Monis Wunden wurden versorgt, ihr Körper gewaschen und eingecremt. Sie bekam ein neues, nach Weichspüler duftendes knallbuntes Nachthemd übergestülpt. Sie war die ganze Zeit über wach, beobachtete genau, was man mit ihr machte, lies die Zeremonie geschehen ohne zu murren und vor allem, ohne zu schreien. Irgendwie war das Schreien nicht angebracht, das hatte sie schon bemerkt. Ab und zu hatte sie Schmerzen, dann verzog sie das Gesicht und hoffte, niemand würde es bemerken. Die ganze Prozedur dauerte so lange, dass sie wieder müde wurde, sie schlief einfach während des Zähneputzens ein. Konnte sich nicht dagegen wehren.
Lautes Stimmengewirr weckte sie auf. Im Zimmer standen viele Menschen, Sie kannte sogar einige davon und versuchte krampfhaft, sich zu erinnern, woher. Was war eigentlich los? Doch ihr wichtigster Gedanke war immer wieder derselbe. Wo zum Teufel war Herbert? Lag er womöglich auch in so einem Zimmer? Oder war er nur ein Traum? Gab es ihn gar nicht? Moni öffnete den Mund, wollte „Hallo und Hilfe“ sagen. Doch heraus kam lediglich ein „Hehhhhhh“.
Sie würde alles dafür geben, zu wissen was hier los war. Lina kuschelte sich regelrecht an ihre Mutter ran, küsste sie immer wieder auf die Wange.
Moni wagte einen neuen Versuch.
„ Haaaalloooo“, es hatte geklappt. Dann war es um die Menschen geschehen, alle sprachen wild durcheinander, drückten und herzten sie. Das wurde ihr jedoch zu viel. Es blieb ihr nichts anders übrig als wieder zu schreien. Sie sah noch den weißen Mann ins Zimmer kommen, fiel dann in einen tiefen und festen Schlaf.
Die Stimmung war freudig und alle waren glücklich. Der Chefarzt meinte, es könne nicht besser laufen. Noch ein wenig Geduld und sie hätten ihre Schwester zurück. Doch sie sollten bedenken, dass sie vermutlich bald nach ihrem Mann fragen würde.
Am Abend wollte die Familie genau darüber diskutieren. Lina übernahm zusammen mit Käthe die erste Schicht in Monis Zimmer. Uta und Otto wollten später noch einmal vorbei schauen. Johann war in Gönnerlaune und bezahlte für alle das Hotel und Abendessen. Sie beschlossen, spätestens um 13 Uhr in die Heimat zurückzufahren. Sollte Moni am nächsten Morgen nach Herbert fragen, würde Uta die Antwort übernehmen. Ansonsten blieb diese unangenehme Sache an Käthe und Dr. Ortner hängen.