Fröhlich pfeifend lief Käthe mit der Zigarette in der Hand zu den Welpen. Es regnete in Strömen, es war kalt und neblig. Doch ihre Laune konnte nicht besser sein. Sie fühlte sich frei wie noch nie in ihrem Leben. Im Gehege trippelte der kleine Bruno gleich zu ihr und kuschelte sich auf ihre Beine. Erst seit kurzem hatten die Hundebabys die Augen offen und machten ihre erste Schritte. Fröhlich und tollpatschig hüpften sie in der Garage umher. Schon jetzt wurden kleine Raufereien und Streitereien durchgeführt. Für Käthe war es wunderbar, den Welpen beim Spielen zuzusehen. Ein Blick auf die Uhr und sie war sichtlich zufrieden.
Es blieben noch fast zwei Stunden bis Georg mit Lina und den Kids auf dem Hof eintreffen würde. Durch die Umbauarbeiten war auf dem Huberhof im Moment kein Zimmer frei. Daher hatte man kurzfristig bei Tina und Max ein Gästezimmer vorbereitet. Alle fanden die Idee klasse, zumal hier durch Lara und Linus genügend Spielsachen vorhanden waren. Der kleine Spielplatz im Garten würde auch den Besuchern aus dem Schwabenland gefallen. Das Tiergehege mit den Ziegen, Hühnern, Enten und Emil dem Esel würde mit Sicherheit ein weiterer Höhepunkt werden. Die Pferde sollten die Kinder und Lina jedoch nur in Begleitung von Tina oder Max besuchen. Käthe hatte ihnen viel von Lina und ihren Problemen erzählt, so dass es keine bösen Überraschungen gab. Doch Tina war zuversichtlich. „Das schaffen wir schon, glaub mir!“
Käthe half Tina bei den letzten Vorbereitungen. Sie bezogen gemeinsam die Matratzen, Decken und Kissen. Stellten ein kleines Fernsehgerät ins Zimmer und schleiften einen Sessel und einen Tisch herbei. Den Kleiderschrank und die Kommode hatte Tina bereits gewaschen und gelüftet. „Du kannst gleich noch ein paar Flaschen Wasser, Äpfel und Kekse im Zimmer bereit stellen. Ansonsten sieht alles perfekt aus, findest du nicht auch?“
Käthe nickte, „Na klar, auf jeden Fall. Ist ja wie im Hotel“, sie ging in die große Wohnküche des gemütlichen, renovierten Bauernhauses. Dort saßen Olga und die Kinder am Tisch und bastelten aus buntem Papier herbstliche Motive. Aus dem CD-Player trällerten lustige Kinderlieder. Die Mädels lächelten sich zu. „Ich bin hier gleich fertig, kommst du dann?“ „Ja, einen kleinen Moment noch“.
„Meinst du Gerhard und Irene mögen mich? Ich würde so gerne auch bei denen Babysitter spielen.“ Käthe nickte, „Ich bin mir sicher, denn Lina ist Gott froh, wenn du ihr bei den Kinder hilfst. Die schaffst das doch nicht! Und ich kann das überhaupt nicht, Kinder find ich ätzend, das weißt du doch!“ Olga holte tief Luft, gab dann aber doch keine Antwort.
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Durch das aufdringliche Klingeln des Smartphones wurde Moni wach. Es dauerte einen kurzen Moment, bis sie umständlich das Telefon erreichen konnte. „Ja, hier Häberle, hallo?“ „Hallo Muader, mir san jetzt endlich in Innsbruck okomme. Wär des schlimm wenn wir erscht morge zu dir kommet? I bin ferdich!“ „Kein Problem, dann bis morgen“.
Moni legte das Handy zurück auf den Tisch und schüttelte den Kopf. Sie dachte über ihre jüngste Tochter nach. Ob es mit Lina irgendwann besser werden würde? Nicht einmal nachgefragt hatte sie, wie es ihr ging... Seit sie denken konnte, war Lina ihr Sorgenkind. Schon im Mutterleib hatte die Kleine ein imaginäres Schild mit den Worten Ich bin dagegen. So kam es ihr auf jeden Fall vor. Denn bei ihrem zweiten Kind war alles anders, komplizierter, schmerzhafter und anstrengender. Durch die vielen schweren Gedanken bekam Moni Kopfschmerzen und schloss wieder die Augen.
Die Tür zum Krankenzimmer ging auf, das Abendbrot wurde gebracht. Freundlich fragte die Mitarbeiterin nach, ob sie Hilfe beim Essen benötigte, doch Moni lehnte dankend ab. „Nö, nö, vielen Dank, ich schaff das schon“. Sie öffnete den Deckel, sah die zwei trockenen Brote, den Aufschnitt und drei Gurken, dann stellte sie das Tablett angewidert beiseite. Vorsichtig suchte sie nach einer guten Position, in der sie ohne Schmerzen einschlafen konnte. Zog sich die Decke über den Kopf, dachte an ihren Herbert und hoffte auf einen schönen Traum mit ihm.
Dr. Uwe Ortner machte seine letzte Runde durch seine Station. Er hatte schwierige Gespräche hinter sich. Denn derzeit hatte er drei Langzeit-Komapatienten aufgenommen. Die Angehörigen benötigten dringend eine Pause oder waren selbst krank. Gerne brachten sie ihre Familienmitglieder für einige Wochen im Jahr hierher. Der Arzt nutzte diese Gelegenheit für einen kompletten Check-up und wichtige Untersuchungen. Die Krankenkassen benötigen einmal im Jahr eine aktuelle Diagnose und vor allem eine Prognose. Für diese Patienten gab es oftmals keine Rückkehr in ein echtes Leben. Sie würden zu 99,99 % nicht mehr aufwachen, da die Verletzungen zu stark und die Hirnschädigungen zu hoch waren. Hier stand vor allem die Würde des Menschen im Vordergrund. Diese Gespräche mit den Angehörigen machten den Arzt immer traurig.
Er klopfte an Monis Tür und fand eine weinende Frau vor. „Ach herrje, Moni, was ist los?“ Uwe setzte sich aufs Bett, nahm ihre Hand und streichelte diese, so wie immer. „Ach, ich bin so traurig. Wär ich doch auch gestorben, dann hätte ich jetzt auch meine Ruhe,“ schluchzte sie. Uwe war fassungslos und streichelte weiter, ohne etwas zu antworten. Nachdem sich seine Lieblingspatientin beruhigt hatte, murmelte er leise und freundlich wie immer: „Was auch immer ich für dich tun kann, lass es mich wissen. Du weißt, ich bin immer für dich da.“ Moni schluchzte noch einmal ganz laut und kuschelte sich an ihren Arzt. „Danke, Uwe. Es tut so gut, wenn du da bist. Kannst du hier bleiben, bitte!“
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Gerhard und Irene waren in Georgs Wagen eingeschlafen. Die Zugfahrt hatte den Kindern richtig gut gefallen. Sie waren so stolz und freuten sich auf ihre Tante und natürlich auf die geliebte Oma. Die Fahrt nach Montan dauerte heute ungewöhnlich lange. Lina war aufgeregt, genervt und müde gleichzeitig, hatte aber viele Fragen. Es war schon fast dunkel, deswegen konnte sie die Landschaft und umliegende Berge nur schemenhaft erkennen. „Hats oben uffem Gipfel scho Schnee?“ Georg lachte, „Nein, hier bei uns noch nicht. Aber das kann ganz schnell gehen. Magst du Schnee?“ Lina nickte.
„Was gibts zu Esse? I hab so Hunger!“ „Sorry, keine Ahnung was sich meine Frauen haben einfallen lassen. Aber ich kann dir versprechen, es wird dir schmecken.“ Georg erzählte ihr vom Leben auf dem Hof, von den Menschen die dort lebten und von all den Tieren. „Wir haben euch ein Gästezimmer bei meiner Tochter Tina auf dem Nachbarhof hergerichtet. Sie hat auch zwei kleine Kinder, es wird euch bestimmt gefallen“.
„Des isch subber“, freute sich Lina. Georg grinste, er fand den Dialekt so richtig lustig.