Ein Flackern, ein Lichtwirbel - dahinter Hämmern, Pochen, Klopfen, oder doch eher ein Zischen? Dunkle Nebelschwaden, grelle zuckende Blitze und das wilde Hämmern und Klopfen. Sie schwebte als kleines Nichts im großen Nichts – es war kein Greifen möglich. Dahinschwebend, sich verzweifelnd suchend in dem großen Ganzen. Alle Bewusstseinsebenen überwindend.
Als sie daran dachte, sich festzuhalten, konnte sie keine Hände entdecken. Als sie stehen bleiben wollte, fand sie ihre Beine nicht. Etwas in ihr regte sich, wollte entfliehen, doch wohin? Es gab nur das große Nichts, es gab nichts zu fassen. Kein Gedanke an das Dasein. Keine echten Schmerzen, nur das Hämmern.
So glitt sie weiter als flackerndes Licht im Banne des Klopfens und des Pochens und der niemals endenden Trägheit. Langsam wurde das Hämmern leiser, die Dunkelheit schwächer, auch die Blitze erschienen nur noch in der Ferne der Unendlichkeit zu zucken. Alles entfernte sich weiter und weiter. Dann löste sich das Nichts wieder auf.
***
Susan wollte nun doch endlich mit Uwe sprechen. Als sie auf die K1 kam, erfuhr sie, dass er schon längst Feierabend gemacht hätte. Das machte die Situation nicht besser, schlecht gelaunt ging sie verärgert zu Fuß nach Hause, dabei telefonierte sie mit ihrer Freundin Patricia. Diese wollte übers Wochenende nach Innsbruck kommen, es gab ein neues Tanzlokal in der Innenstadt. Party war angesagt. Irgendwie hatte sie im Moment aber gar keine Lust dazu.
Als Uwe zu sich kam, fand er sich in einer dunklen Bar auf einem Hocker sitzend wieder. Ihm war kotzübel. Nackte Tänzerinnen und schummriges Licht umgaben ihn, noch dazu stand eine große Flasche Sekt vor ihm. Lachende, gut gelaunte Menschen überall. Allerdings fühlte er sich dermaßen hundeelend und schmutzig, dass er selber überhaupt nicht an Lachen dachte. Irgendjemand buxierte ihn in Richtung Toilette. Uwe übergab sich mehrere Male, blieb dann einfach auf dem Boden sitzen. Er war ohne Zeitgefühl. Dann wurde ihm kalt. Irgendwann stand er am Waschbecken und schüttete sich Wasser ins Gesicht und in den Nacken. Ein Blick in den Spiegel verriet ihm, dass er verrückt sein müsse. Was war denn in ihn gefahren, dass er sich so hatte gehen lassen?
Er suchte sich den Weg nach draußen, brauchte frische Luft, da kotzte er weiter. Auf einmal sah er hinter sich Victor. Der Besitzer des Nachtlokals hatte Uwes Oberarzt alarmiert. Sie kannten sich alle von früher, als sie öfters an den Wochenenden zusammen gefeiert hatten.
Victor war schockiert. „Mensch Uwe, um Gottes Willen, was machst du denn für Dummheiten? Was ist denn passiert? Du, es ist morgens um 4 Uhr, du bist eigentlich im Dienst! Oh je, oh je, komm, ich bring dich heim.“ Uwe nickte nur, lehnte sich an Victor und ließ sich von ihm abführen. Sie stiegen in ein Taxi ein, im Appartement legte Victor seinen Chef ins Bett und sich selber auf die Couch. Er stellte seinen eigenen Wecker auf 7.00 Uhr, schließlich musste er die Amputation durchführen. Für Uwe stellte er den Wecker auf 9.00 Uhr, in der Hoffnung, er würde ihn hören und aufstehen können. Zuletzt schrieb er eine Nachricht an Georg.
***
Im Auto nach Innsbruck herrschte schlechte Stimmung. Johann, Uta und Otto saßen wortlos und mit versteinerten Mienen still in ihren Sitzen. Der Kofferraum war bis oben hin gefüllt. Uta hatte sich um Monis Dinge gekümmert. Klamotten, Schuhe, Wintersachen, Wolle, Strick- und Häkelnadeln, Pflegeartikel, sogar Duftkerzen hatte Uta liebevoll eingepackt. Fotos von allen Angehörigen hatte sie in bunte Rahmen gesteckt. Alle sollten bei Moni sein, laut Arzt konnte sie schließlich jeden Moment aus dem Koma erwachen.
Gut, dass Käthe vor Ort war und Moni nicht alleine in der Fremde lag. Uta vermisste ihre kleine Schwester, sie machte sich große Sorgen, was alles auf diese zukam. In ihren Händen hielt sie einen überdimensionalen, bunten Blumenstrauß. Sie mussten Moni vom Unfall erzählen und ihr irgendwie erklären, dass ihr geliebter Mann tot war. Wie sollte Moni das alles verstehen? Bei den Gedanken wurde es Uta schlecht. Deshalb nahm sie während der Fahrt zwei Beruhigungstabletten. Dann versuchte sie, ein wenig zu schlafen. Johann hatte eigentlich gar keine Lust, nach Innsbruck zu fahren. Noch vor der Abfahrt kam es daher zum Streit.
„Wenn Moni doch eh schläft, ist doch egal ob wir dort sind oder nicht“. Nach diesem Satz flippte Otto aus. „Sag mal, spinnst du?“ Aufgebracht schrie er seinen Schwager an.
Otto hatte die gute Idee gehabt, auch für Käthe einiges mitzubringen. Gemeinsam mit Johann waren sie freitags in die Einrichtung gefahren. Hier hatten sie nach Käthes Vorgabe Kleider, Schuhe, Kuscheltiere, Kissen, Decken, Accessoires, Bücher, Skizzenblöcke, Stifte und auch viele Noten samt Zubehör eingepackt. Das Zimmer war nun fast leer. In einem kurzen Gespräch erklärte Otto den aktuellen Stand der Dinge. Die Heimleitung war nicht begeistert und deutete an, dass der Kostenträger diese Aktion nicht unterstützen würde. Der Platz in der Einrichtung wäre in Gefahr. Otto wollte sich darum kümmern. „Wir benachrichtigen Sie spätestens am Montag, ob Käthe den Platz überhaupt noch benötigt.“
Johanns Frau blieb mit den Kindern bei Herberts Familie. Sie war äußerst praktisch veranlagt, dachte sich, es wäre besser, hier zu helfen und für die Angehörigen da zu sein. Gemeinsam backten sie Kuchen, auch einen für Moni. Zudem wollten Sie Lina und die Kinder besuchen. Auch hier konnten sie bestimmt eine Hilfe sein.