Die halbe Nacht lag Moni wach und versuchte nachzudenken, leider gab es als Antworten nur starke Kopfschmerzen und ein Gefühlschaos. Es war sechs Uhr morgens, als der Chefarzt nach seiner Lieblingspatientin schaute. Er sah ihr tränenüberströmtes Gesicht und nahm ihre Hand. „Guten Morgen. Wie geht es Ihnen inzwischen Frau Häberle? Haben Sie Schmerzen?“
Moni musste nun noch mehr weinen, sie spürte eine nie da gewesene Traurigkeit tief in ihrem Inneren. Sie wusste nicht warum, dann aber versuchte sie zu sprechen. „Wo, wo isser?“ Es war so mühsam, die Lippen und die Zunge unter Kontrolle zu haben. Scheinbar hatte sie alles vergessen. Uwe streichelte weiterhin Monis Hand und sagte nichts. Da hob sie ihren rechten Arm. „Was isn des?“ Mehr brachte sie beim besten Willen nicht zustande. Dr. Uwe Ortner stand auf, er sagte mit freundlicher Stimme. „Sie hatten einen schweren Unfall, gerne würde ich das später im Kreise ihrer Familie mit Ihnen besprechen.“
Moni schüttelte energisch ihren Kopf und versuchte, mir der gesunden Hand den Arzt zu fassen. „Bitte, ich, ohhh, mhmmm“, die Anstrengung war so groß, völlig erschöpft schlief sie schließlich ein. Zurück in seinem Arbeitszimmer legte er sich auf seine schmale Pritsche. Er wollte noch ein wenig schlafen, doch jedes Mal, wenn er seine Augen schloss, sah er Peter und Susan, wie sie aus der Toilette kamen. Dieses schreckliche Bild hatte sich in seinem Kopf festgesetzt. Krampfhaft versuchte der Chefarzt, an schöne Dinge zu denken. Er freute sich auf seine neue, große Wohnung auf dem Hof in Montan. Auf seine Familie, Freunde und auf seine Arbeit hier in seiner Klinik. Das waren die wichtigen Dinge in seinem Leben. Und nicht diese Hure, sie war es nicht wert, dass er wegen ihr seine Energie verschwenden würde. Nie und nimmer. Es gelang ihm tatsächlich, in einen kurzen tiefen Schlaf zu fallen.
Auf dem Display seines Handys sah er, dass er eine Nachricht erhalten hatte. Sein Freund Thommy war schon kurz vor Innsbruck, er brachte auch Frau und Kinder mit. In der Stadt gab es derzeit eine Art Oktoberfest mit vielen Attraktionen und Fahrgeschäften, auch für die Kleinsten. Er hatte einen Tisch im Bierzelt reserviert, um 13 Uhr würde man ihn dort zum Mittagessen erwarten. Ein Schmunzeln glitt über Uwes Gesicht, er stand auf und stellte sich unter die eiskalte Dusche.
Uta und Otto hatten Johann im Schlepptau, sie waren die ersten Besucher an diesem Sonntagmorgen. Im Zimmer waren gerade zwei Krankenschwester mit Moni beschäftigt. Brav setzten sie sich ruhig auf die Besucherstühle. Die Stimmung war gut, man war zuversichtlich. Auch wenn Moni noch einen langen, schwierigen Weg vor sich hatte. Uta setzte sich auf das Bett zu ihrer Schwester, mit großen Augen starrte Moni sie an. „Hallo Schwesterherz, ich bin es, Uta. Kannst du dich an mich erinnern?“ Moni nickte, versuchte zu lächeln. „Mhm“, brachte sie mühsam heraus. Da freute sich Uta so sehr, sie gab ihrer Schwester einen Kuss auf die Wange. Auch die Männer waren von dieser Situation angetan, bei Otto machte sich sogar eine Träne auf den Weg. Johann, der Mürrische, freute sich ebenfalls. Auf seine Art eben. „Mensch Moni, hast du uns aber einen Schreck eingejagt.“ Da aber schlief Moni bereits wieder tief und fest. Die Angehörigen gingen ihre Koffer packen. In ein paar Stunden schon mussten sie zurückfahren.
Später kamen Käthe und Lina zu ihrer Mutter. Lina setzte sich wie immer ans Bett, nahm die freie Hand und plapperte drauf los. Doch dann packte Käthe ihr Musikinstrument aus. Was dann geschah, war wie Magie: Käthe spielte Amazing Grace, Lina sang dazu. Moni öffnete die Augen und erkannte, was sie sah.
„Lina! Käthe! Ach du dicke Scheiße“, kam es ganz deutlich aus dem Mund von Frau Häberle. Sie erschrak selber über das Gesagte, doch dann brachen überall die Dämme. Die Mädchen flogen ihrer Mutter um den Hals und gemeinsam vergossen sie wieder Tränen, dieses Mal waren es Freudentränen. Draußen auf dem Flur hörte Uwe die lauten Stimmen und gesellte sich dazu.
Dieser Anblick berührte ihn tief, beinahe hätte er mit geweint.
Im gleichen Moment kamen auch Uta und Otto zurück. Der Chefarzt blickte zu Uta und nickte ihr zu. „Der Moment ist wohl gekommen.“ Uta verstand, ganz mutig ging sie zu Moni. Die Mädchen verstanden auch, denn sie verkrümelten sich, wollten noch zusammen einen Abschiedskaffee trinken. Auch Moni spürte, da lag was in der Luft.
„Was, was ist los?“ Man verstand sie nun sehr deutlich, auch wenn noch leise und schwach. Uta begann mit der Geschichte.
„Du und Herbert, ihr hattet Urlaub in Südtirol gemacht. Auf einer Wanderung seid ihr abgestürzt.“ Weiter kam sie nicht. Denn Moni fragte ganz energisch: „Aber, wo ist er denn?“ Als die Besucher den Blick auf den Boden richteten, war es ihr klar. Ihre Miene verdunkelte sich, da lag sie wie erstarrt. In dem Moment übernahm Dr. Uwe Ortner den Part und erzählte professionell das Geschehene in kurzen, knappen Sätzen. Doch Moni war eingeschlafen, es war für den Moment wahrscheinlich das Beste.
Schweren Herzens machte sich die Familie auf den Rückweg in die schwäbische Heimat. Lina wäre gern bei Käthe geblieben, doch schließlich warteten ihre Kinder daheim. Käthe wollte noch nicht nach Montan, so fuhr Georg am Abend alleine zurück auf den Hof. Stattdessen traf sie sich nochmals mit Kim.
Uwe war mit seinem Freund Thommy am Eingang des Festplatzes angekommen. Frau und Kinder waren bereits bei dem Kinderkarussell. Doch Uwe konnte jetzt unmöglich in ein Bierzelt sitzen. Er hatte auch gar keinen Appetit. So spazierten sie einfach nur durch die Straßen von Innsbruck. Susan war freilich ein Hauptthema. Uwe erzählte aber nur wenig, er war einfach froh über die Ablenkung. Froh seinen Freund neben sich zu haben.
„Stell dir vor, Peter schreibt mir jeden Tag eine E-Mail. Mit Entschuldigungen, Beteuerungen und der großen Bitte, ihn wieder einzustellen“.
„Lass dir Zeit mit deinen Entscheidungen. Wer weiß was die nächsten Wochen bringen.“
Die Freunde nahmen sich vor, wieder öfters zu telefonieren und sich regelmäßig zu treffen. „Du musst uns unbedingt in Toblach besuchen. Sobald du ein freies Wochenende hast, ok?“ „Auf jeden Fall!“ Dann gingen sie mit Thommys Familie ins Bierzelt, da wartete schon das vorbestellt deftige Festessen.
***
Als Rita das Telefon klingeln hörte, wusste sie, dass es ihr Liebster war. Georg teilte ihr die Neuigkeit von Frau Häberle mit. Auch Uwe ging es besser, er würde also wie geplant heute Abend zurück auf den Hof kommen, allerdings ohne Käthe, denn die wollte noch mindestens einen Tag bei ihrer Mutter bleiben. Rita freute sich auf ihren Liebsten, nur Olga war ein wenig traurig. Aaron kläffte dreimal ins Telefon und lief davon. Tina kam am Nachmittag zum Kuchen essen vorbei. Sie erzählte den Frauen ihren Plan bezüglich des Ziegenkäses. Am nächsten Mittwoch würde Elsbeth auf den Hof kommen und für Käthe einen kleinen Vortrag halten. Gemeinsam wollten sie ein neues Projekt starten.