Es war Mittwoch und ein rabenschwarzer Tag im schwäbischen Weinort. Der Himmel war mit tief hängenden, dunklen Wolken übersät und es stürmte leicht. Der Wetterdienst hatte für nachmittags Nieselregen angesagt. Uta und Klara schauten zum Fenster hinaus und Klara seufzte: „Das ist wohl ein typisches Beerdigungswetter.“ Uta nickte und schnäuzte sich die Nase. Noch immer war die ganze Familie fassungslos über das Geschehene. Um 14 Uhr sollten sie an der kleinen Kapelle am Gemeindefriedhof sein. Lina und ihr Vater Paul kamen ohne die Kinder, sie waren einfach noch zu klein und Lina viel zu aufgeregt und hysterisch, um sich um die Kleinen an diesem schweren Tag zu kümmern. Johann war mit seiner Familie aus Köln angereist. Sie wollten ein paar Tage in der Heimat bleiben, um am Wochenende weiter nach Innsbruck zu fahren.
In der festlich geschmückten Kapelle wurde ein riesengroßes Foto neben dem Sarg und den vielen Kerzen aufgestellt. Es zeigte Moni und Herbert auf einer Wanderung hoch oben auf dem Watzmann. Darüber stand in großen Buchstaben:
Menschen, die wir lieben, bleiben für immer,
denn sie hinterlassen Spuren in unseren Herzen.
Der Pfarrer hatte eine wunderschöne Trauerrede mithilfe der Angehörigen erstellt. Schon bei dem Gedanken daran, heulten Klara und Uta los. Gleichzeitig beteten sie für Moni, damit wenigstens sie wieder gesund in die Heimat zurückkommen würde.
Der Kirchenchor sang die bekannten, endlos traurigen Beerdigungslieder. Das halbe Dorf war gekommen, um der Familie das Beileid auszusprechen. Herberts Vater saß leichenblass auf seinem Stuhl. Die Jungs mussten ihren Opa stützen, damit er überhaupt laufen konnte.
Als der Sarg in das Grab herabgelassen wurde, öffnete sich der Himmel und mit lautem Donnergrollen ergoss sich ein Wolkenbruch auf die Trauergemeinde.
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Der Klinikalltag war für Uwe sehr tröstlich. Er liebte seinen Beruf, den Umgang mit Kollegen und Patienten. Auch die Gespräche mit den Angehörigen, die vielen Fragen, welche nicht immer einfach waren zu beantworten, gehörten für ihn dazu. Er freute sich an der Dankbarkeit seiner Patienten oder daran, wenn ein Mensch durch seine OP, durch sein Wissen und sein Tun, weiter leben konnte. Er marschierte in Richtung Moni und freute sich, dass heute der Tag sein wird, an dem sie langsam aufwachen sollte. Die sedierenden Medikamente würde er vorsichtig reduzieren, so lange musste Moni noch auf der Intensivstation verbringen. Maria hatte diese Woche ebenso Tagdienst und stand ihm zur Seite.
Gegen Abend kamen Thommy und seine Frau mit Monis Auto und dem Gepäck in die Klinik. Gemeinsam mit dem Besuch, seinem Vater, Käthe und Oberarzt Peter wollten sie Essen gehen. Er freute sich darauf. Seine Susan wollte er nicht dabei haben, denn er war noch sehr verärgert und sie hatte sich noch nicht bei ihm gemeldet.
Nach der Visite gab es eine Besprechung im Schwesternzimmer. Peter war andauernd mit seinem Smartphone beschäftigt. Uwe wunderte sich darüber, was er in den letzten Tagen so wichtiges zu tun hatte an diesem Gerät. Auch sonst hatte sich Peter distanziert, er hatte das Gefühl, er freute sich nicht auf das heutige Abendessen. Als wäre ihm irgendetwas peinlich. Während er darüber nachdachte, piepste sein Pager, ein Motorrad-Unfall wurde gemeldet und alle mussten schnell die dafür notwendigen Vorbereitungen treffen.
Käthe hatte auch heute keinen guten Tag. Sie wachte mit mörderischen Kopfschmerzen auf. Sie wusste, dass nachmittags die Beerdigung von Herbert stattfinden würde. Sie hatte gleich nach dem Aufwachen mit ihrer Tante Uta und ganz kurz auch mit ihrem Vater telefoniert. Inzwischen hatte sie ein schlechtes Gewissen, dass sie daran nicht teilnehmen würde. Auf dem Balkon rauchte sie ihre drei Zigaretten, trank dazu Cola und murmelte, „Ach, ist doch alles scheiße“. Danach legte sie sich wieder in das Bett. Energielos und antriebslos wusste sie nichts mit sich anzufangen. Käthe stellte ihren Wecker, damit sie nicht wieder verschlafen würde, dann starrte sie ihren Klarinettenkoffer an und fasste einen Entschluss. Noch heute würde sie sich darum kümmern, ob es in Innsbruck ein kleines Orchester gäbe, welches Musiker sucht. Mit diesen Gedanken schlief sie wieder ein.
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Georg verabschiedete sich von Rita mit einem zärtlichen Kuss. „Meine Liebe, ich komme spätestens am Freitag wieder“, er zwinkerte ihr verschmitzt zu.
„ Und, vielleicht nicht alleine“. Rita grinste zurück, „Ja ich weiß, wir richten das Gästezimmer und dann sehen wir weiter. Grüße Uwe von mir, er soll sich endlich mal wieder blicken lassen“.
Es wartete jede Menge Arbeit. Gestern Abend hatten sie lange über Georgs Ideen wegen Käthe gesprochen. Olga hatte rote Wangen bekommen, als sie hörte, dass vielleicht noch ein weiteres Mädchen auf den Hof kommen würde. Das wäre so schön. Mit vollem Einsatz richtete sie für dieses Mädchen aus Deutschland das Gästezimmer her. Käthe war ihr Name. Olga und Käthe. Das passte doch. Vielleicht würden sie Freundinnen werden. Es wär ihre erste Freundin. Olga summte fröhlich vor sich hin, überzog das Bett mit der buntesten Bettwäsche, die sie fand. Georg hatte gesagt, dass Käthe sehr traurig war wegen ihrer verunglückten Mutter. Noch dazu hatte sie eine psychische Krankheit. Sie legte Handtücher, Taschentücher und ein paar Zeitschriften auf den Nachttisch. Mit dem Staubsauger war sie fast eine Stunde beschäftigt. Zum Schluss putzte Olga noch das Fenster, stellte eine schöne Pflanze auf den Tisch und besprühte das Zimmer mit Blumenduft-Raumspray. Danach verschwand sie in der großen Waschküche. Sie liebte es, Wäsche zu waschen und zu bügeln.
Rita hatte gekocht und Kuchen gebacken. Pünktlich um 16 Uhr gab es wie jeden Tag Kaffee und Kuchen. Darauf legte sie großen Wert. Franz und Olga waren immer dazu eingeladen. Manchmal kamen auch Tina, Max oder Margit mit den Kindern. Heute allerdings waren sie nur zu zweit. Zählte man Aaron dazu, dann zu dritt. Der Schäferhund passte gut auf die Frauen auf, er ließ sie nicht aus den Augen. Aaron war ein wunderbarer Wachhund. Allerdings rannte er stündlich an die Tür und hielt Ausschau nach seinem Herrchen.
Franz war mit Max unterwegs, es mussten noch einige Zäune ausgebessert werden. Bald würde es kühler werden und für das kommende Wochenende hatte der Wetterdienst Starkregen angekündigt. Die Frauen räumten gemeinsam den Tisch auf, spülten das Geschirr und Olga ging auf ihr Zimmer, um die zwei Kanarienvögel zu versorgen. Für heute hatte sie frei, dennoch trafen sich die beiden Frauen am Abend in der Handarbeitsstube wieder. Gemeinsam stickten sie an einer großen Osterdecke. Meistens dann, wenn Georg nicht da war. Internet und sonstige moderne Technik gab es auf dem Hof nicht. Nebenher lief der Fernseher, Olga liebte diese ruhigen Stunden am Abend.