Als Moni am nächsten Morgen aufwachte, hörte sie ihren geliebten Göttergatten in der Küche mit Geschirr hantieren. Lächelnd dachte sie an die letzten zehn Jahre, in denen sie schon glücklich verheiratet waren. Er war das Beste, was ihrem Leben hatte passieren können. Beide hatten vorher als jeweils allein erziehende Elternteile viele harte Jahre gehabt. Nun konnten sie endlich das Leben und die Liebe genießen. Sie dachte weiter über ihren Herbert nach und musste schmunzeln. Denn mit 50 Jahren hatte er das Klettern für sich entdeckt und richtig Spaß dabei. Da kam er auch schon zu ihr und drückte ihr einen dicken Schmatz ins Gesicht. „Aufstehen Kleine“, sagte er mit lauter Stimme, dabei kitzelte er Moni an den Füßen, „Das Frühstück steht bereit“.
Zwei Stunden später standen sie in ihrer Wanderausrüstung an der Bushaltestelle und freuten sich auf den ersten Urlaubstag. Heute wollten sie mit dem Bus zu den drei Zinnen fahren, um dort oben die gigantischen Ausblicke zu genießen und ein paar Stunden gemütlich wandern. Schon die Anfahrt auf der mautpflichtigen Höhenstraße war spektakulär. Monis Smartphone piepste und brummte vor sich hin. Herbert rollte mit den Augen. Er schnaubte brummend: „Deine Kinder lassen dich nicht mal im Urlaub in Ruhe“! Ein schneller Blick auf das Display bestätigte ihn, auch Moni rollte mit den Augen, „Sie lieben mich halt“, entgegnete sie und beide lachten laut. Moni steckte schnell das Telefon zurück in die Jacke, nahm Herberts Hand und spazierte mit dem Besucheransturm Richtung Wanderweg.
Sie wollten einmal um die drei Zinnen wandern und anschließend in einer Hütte einkehren, um das gute Südtiroler Essen zu genießen. Natürlich störte sich Herbert wieder an den teuren Bierpreisen, „ Fünf Euro für ein 0,4 l Radler im Plastikbecher, noch dazu muss man sich das selber holen“, rief er ärgerlich durch die bunte Gästeschar. Manche drehten sich nach ihnen um und stimmten zu. Es war Moni sichtlich peinlich, aber sie liebte ihren Schatz trotzdem.
Nach einem tollen Tag in den Dolomiten saßen sie abends auf dem Balkon der Ferienwohnung und tranken gemütlich ein Glas Wein, den sie aus der schwäbischen Heimat mitgebracht hatten. Moni und Herbert wohnten in einem kleinen beschaulichen Weinort am Neckar. So schön es dort auch war, sie liebten nun mal die Berge, daher reisten sie jedes Jahr hierher.
Während es spürbar kühler wurde, besprachen sie den morgigen Tag. Es war nicht immer leicht, gemeinsam zu einer Entscheidung zu kommen. So viele Möglichkeiten, so viele schöne Plätze, Berge und Attraktionen gab es hier in dieser wunderbaren Landschaft. Nachdem Herbert noch einmal den Wetterbericht für die Berge gecheckt hatte, stand fest, dass sie das stabile Wetter ausnutzen und eine eher schwierige Route unternehmen wollten. Dabei würden sie sich für kurze Zeit trennen. Sie wollten auf dem Pioniersteig auf den Berg Monte Piano laufen. Unterwegs würde Herbert auf dem dortigen Klettersteig nach oben klettern, während Moni auf dem „normalen“ Weg, welcher auch schwierig war, alleine auf den Gipfel lief. Bestimmt waren noch andere Wanderer unterwegs, so dass sie doch nicht ganz alleine war.
Anschließend wollten sie gemeinsam auf den Spuren des ersten Weltkrieges die noch sichtbaren Überbleibsel von dieser schlimmen Zeit bestaunen. So war der Plan. Das ungute Gefühl, das sie beschlich, schob sie auf den Alltagsstress, den sie hoffentlich bald ablegen würde. Denn dazu waren sie schließlich hier. Nach einem weiteren Glas Rotwein wurden sie müde. Schnell kuschelten sich die beiden kichernd ins Bett. Sie küssten sich leidenschaftlich, streichelten sich liebevoll und hatten wunderbaren Sex.
Auch in der zweiten Nacht schliefen sie gut und tief.
***
Uwe saß am Ufer und blickte auf den wunderschön ruhig gelegenen Achensee. Dabei blinzelte er eine Träne weg. Mit seinen Zehen spielte er gedankenverloren in den kleinen Kieselsteinen, die am Ufer lagen. Seit fast einem Jahr waren sie nun im Besitz der Waldvilla in Pertisau und hatten es lediglich drei Mal geschafft, gemeinsam hier ein paar Tage zu entspannen. Er hatte sich sehr darauf gefreut, mit Susan endlich alleine zu sein. Es war Ende September, das Wetter konnte nicht besser sein für einen Urlaub an diesem traumhaften See, der Karibik Tirols, wie die Einheimischen ihn gerne nannten. Was hatte er sich gewünscht? Mehr Zweisamkeit, mehr Liebe und Zärtlichkeit und vielleicht eine Hochzeit demnächst?
Aber ob das die richtigen Gedanken waren? Er saß hier schließlich ganz alleine. Susan war schon wieder zum Shoppen verschwunden. Er wäre gerne mitgegangen, doch sie hatte ihn nicht einmal gefragt. Sie hatte lediglich ein paar Zeilen auf dem Tisch hinterlassen. Was war nur los mit ihr? Er hatte ein paar Versuche gestartet, mit Susan zu reden, doch sie war ihm immer wieder ausgewichen. Sex hatten sie noch keinen gehabt, obwohl beide unendlich viel Zeit und einen freien Kopf hatten. Jeder Annäherungsversuch schmetterte sie gekonnt ab. Nicht dass ihm der Sex sehr wichtig war, doch er wusste, dass er zu einer guten Beziehung dazu gehörte.
Zweimal am Tag meldete er sich telefonisch in der Klinik. Abends setzte er sich für etwa eine Stunde an den Computer, um wichtige E-Mails zu beantworten. Doch die übrigen Stunden waren für gemeinsame Aktionen gedacht. War ihr das etwa immer noch zu viel Zeit für die Arbeit? Sie wusste schließlich schon lange, dass er als Chefarzt seiner privaten Klinik mit dem Schwerpunkt Unfall- und Gehirnchirurgie rund um die Uhr zur Verfügung stehen sollte. Das hatte ihr doch immer so gut gefallen. Sie war ja so stolz darauf. Außerdem hatte er sie als Fitness- und Ernährungsberaterin eingestellt. Ein Job, den sie unbedingt haben wollte. Susan war sehr talentiert, äußerst hübsch und noch dazu aus guten Hause.
Je länger er hier einsam am Ufer saß und das bunte Treiben auf dem See betrachtete, umso trauriger wurde er. Chefarzt Dr. Uwe Ortner stand auf, schüttelte den Staub und die Steinchen von sich ab. Anschließend wischte er sich eine weitere Träne ab und spazierte schließlich zu seinem Lieblingsrestaurant. Er kannte den Besitzer Toni schon sehr lange. Nach einer herzlichen Begrüßung bestellte er sich ein kühles Bier, dazu eine Pizza mit Schinken. Toni setze sich zu ihm, sie redeten über die guten alten Zeiten, als sie gemeinsam das ABI absolvierten und ihren ersten Joint rauchten. Nun waren beide Mitte vierzig und hatten das halbe Leben schon hinter sich oder noch vor sich.
Uwes Handy klingelte – es war Maria, die Stationsschwester, die ihn darum bat, ein paar Fragen zu beantworten. Maria plauderte zusätzlich auch gerne Privates. Er log, als er ihr erzählte: „Es ist ein sehr herrlicher Urlaub, wir unternehmen viel, genießen unsere Zeit, denn das Wetter ist toll und ich kann mich wirklich gut erholen.“ Er wusste, Maria war heimlich in ihn verliebt. Er mochte sie sehr, sie war zwar inzwischen sechzig Jahre alt, aber noch sehr attraktiv und äußerst fleißig.
Kaum hatte er aufgelegt, meldete sich Susan, „Schatz, wo bist du denn? Ich vermisse dich!" Uwe teilte ihr einsilbig mit, wo er abgeblieben war und bestellte sich ein weiteres Bier, dazu einen Enzianschnaps. Dann wartete er darauf, dass Susan ihn abholte. Es waren ja nur ein paar hundert Meter. Vielleicht würde es nun doch noch ein schöner Abend werden, dachte er bei sich.