Kurz vor 9.00 Uhr erwachte Uwe, denn die Sonne blinzelte durch die Jalousien. Er sah neben sich seine Susan schlafen und betrachtete sie lächelnd. Nun, sie war wirklich bildhübsch, mit ihrer schlanken Figur, der makellosen Haut und Größe könnte sie auch als Model arbeiten. Trotzdem fand er sie weiblich und sexy. Sie war sehr fröhlich, temperamentvoll und voller Leben. Das gefiel ihm besonders. Er glaubte an ihre Liebe und an eine gemeinsame Zukunft. Daher würde er Susan gerne heiraten. Aber diese wollte von einer Hochzeit rein gar nichts wissen. Sondern etwas ganz anderes. Sie lenkte in letzter Zeit immer wieder das Gespräch auf ein gemeinsames Kind. Dabei wusste sie schon seit der gemeinsamen Zeit in Afrika, dass er keine Kinder zeugen konnte. Früher was das nie ein Thema zwischen ihnen gewesen. Was war nur los mit ihr? Wie kam sie nur auf diese Schnapsidee? Er musste sich darüber immer ärgern, er hatte das Gefühl, sie würde es mit Absicht machen.
Uwe verschränkte die Arme unter seinem Kopf, schloss seine Augen und dachte an früher. Damals in Tansanien, als er ein Teil der Ärzte ohne Grenzen war, hatte er sich mit Malaria quartana angesteckt. Leider war er seither zeugungsunfähig. Es ging ihm einige Wochen sehr schlecht aber im Großen und Ganzen hatte er die Krankheit gut weggesteckt, bis auf diese eine Winzigkeit. Für ihn stellte es kein Problem dar, er wollte als Arzt Menschenleben retten und hatte nie wirklich vor, eine Familie zu gründen. Er hätte doch gar keine Zeit dafür. Er schüttelte die negativen Gedanken von sich ab und blickte wieder auf seine Verlobte.
Uwe streichelte seine Liebste zärtlich über den Rücken, sie räkelte sich nun langsam und streckte sich. Irgendwann kam ihre Hand zu ihm, jetzt grinste Susan frech. Sie nahmen sich zärtlich in den Arm, kuschelten und küssten sich. Dann streichelten sie sich und hatten an diesem Donnerstag so etwas Ähnliches wie Sex. Früher nannte man das Petting – heute vielleicht auch noch?„Mhmmm, mein lieber Schatz, das war jetzt aber sehr schön“, flüsterte Susan ihm ins Ohr. Er lächelte, „Ja meine Liebe, ich habe das sehr vermisst“, dann küsste er sie noch einmal mit all seiner Leidenschaft und ging fröhlich und befreidigt ins Badezimmer.
Susan hörte ihn fröhlich pfeifen während er duschte. Sie spürte schon länger, dass die Liebe zu ihm in eine Art Freundschaft abgeflacht war, schaffte es aber nicht, ihm das klipp und klar zu sagen. Sie wusste einfach nicht wie sie ihm das erklären sollte, ohne ihn dabei zu verletzen. Denn Uwe hatte das einfach nicht verdient, er war ein guter Kerl. Er war nicht nur ein erfolgreicher Gehirnchirurg. Nein, denn noch dazu sah er super gut aus, war sehr gepflegt, sehr gebildet und sehr reich.
Aber eben auch sehr langweilig. Zumindest im Bett. Früher war ihr das nicht so wichtig, doch jetzt wollte sie sich sexuell richtig ausleben. Da war Uwe einfach der falsche Partner. Er war viel zu brav und anständig.
Susan bereitete ein kleines Frühstück zu und rief ihre beste Freundin Patricia an. Sie redeten über das anstehende Wochenende in München und machten genaue Pläne. Zum Schluss rief Susan ziemlich laut: „Mensch, ich freu mich so auf dieses Mädels-Wochenende, ich brauch dringend Abstand zu Uwe, ich brauch endlich wieder Party“. Dass Uwe diesen letzten Satz hören konnte, auf diese Idee kam sie nicht. So verlief das Frühstück leise und Uwe hatte vor, das Wochenende wieder in Innsbruck zu verbringen. Dann war der Urlaub sowieso vorbei und er konnte sich wieder ganz dem Klinik-Alltag widmen. Das war sein Leben!
Den Tag verbrachten Sie gemeinsam am See. Das Wetter war auch heute wieder traumhaft, man konnte sogar schwimmen gehen. Das Wasser war mit 18 Grad zwar recht kühl, doch beide waren diesbezüglich unerschrocken. Uwe hörte nicht auf, auf der Frage herum zu kauen, wie er zur Sprache bringen konnte, was er gehört hatte. Nur der Gedanke, sie könnte ihn bezichtigen, gelauscht zu haben, ließ ihn zögern, die Sache anzusprechen. Bis er am Ende gar nichts sagte und den Tag, so wie er war, genoss.
Nachmittags gingen sie in das Café in der Nähe. Uwe konnte hier in Ruhe mit der Klinik telefonieren, ebenso gab es kostenloses WLAN, welches er für seine E-Mails benötigte. Im Krankenhaus hatten seine Mitarbeiter alles im Griff und das beruhigte ihn sehr. Dr. Georg Ortner der Seniorchef, sein Vater, meldete sich kurz, um ihm zu versprechen, dass er ihn würdig vertreten hatte. Susan surfte währenddessen im Internet und hielt Ausschau nach der neusten Mode und was am Wochenende in München los war. Gegen 16 Uhr spazierten sie gemütlich Hand in Hand zurück in ihre Villa und freuten sich auf auf den Abend.
Zum Abendessen waren sie bei ihren lieben Nachbarn eingeladen. Während ihrer Abwesenheit kümmerte sich das Ehepaar Lauterbach um die Villa. Sie machten das richtig gut und gerne, denn beide waren im Ruhestand und hatten viel Zeit. Uwe war sehr dankbar darüber. Er überwies ihnen monatlich eine kleine Anerkennung, dafür kümmerten sie sich im Sommer um den Garten und im Winter räumten sie den Schnee. Sie gingen täglich ins Haus und schauten nach dem Rechten, sie waren sozusagen der Sicherheitsdienst. Die Familien luden sich gegenseitig gerne zum Essen ein. Die Lauterbachs waren die meiste Zeit allein und immer glücklich, wenn sie Besuch hatten.
***
Moni und Herbert waren inzwischen am Pioniersteig angekommen. Die Wege waren gut beschildert und sie marschierten etwa eine Stunde lang auf einem gut befestigten breiten Weg. Auf der rechten Seite wuchs dichtes Gebüsch und man sah keine Felswand oder gar einen Abgrund. Immer wieder konnte man einen Blick hinab auf den Dürrensee und auf die Straße erhaschen. Das Wetter war wieder traumhaft. Blauer Himmel wohin man sah, nur auf den Gipfeln bildeten sich kleine harmlose Wölkchen. Moni machte viele Fotos. „Fotografierst du wieder jeden Milchbusch? Haben wir am Ende des Urlaubes wie immer so an die 400 Bilder?“
Moni machte zuerst ein böses Gesicht aber dann lachten beide laut. Sie blieben stehen, umarmten und küssten sich. „Schatzi, du weißt doch, wenn ich mich so sehr freue, dann versuche ich diese Momente festzuhalten, ich möchte mich mein ganzes Leben daran erinnern, wie glücklich wir beide waren. Welch tolle Abenteuer wir erlebt haben,“ sagte Moni mit fester Stimme. Ihr Schatzi streichelte liebevoll über ihren Kopf, „Ich weiß doch, Baby“. Sie tranken beide einen Schluck Wasser dann ging der Marsch weiter. So kamen sie an der ersten Schlüsselstelle an.
Moni spürte jetzt schon, dass ihre Beine und Muskeln müde wurden. Sie war eben eine Büro-Tussi, die den Tag über viel sitzen musste und nicht so muskulös war wie Herbert. Noch dazu hatte sie sich Speck um die Hüften angefuttert. Schuld daran war ihr Mann Herbert, der so wunderbar gut kochen konnte. Dieser war körperlich fit, er war von Beruf Fliesenleger und arbeitete acht Stunden täglich hart.
Moni hatte sich in den letzten Wochen im Fitness-Studio vorbereitet und hoffte, dass sie mit ihrem Liebsten einigermaßen mithalten konnte. Sie standen vor einem hohen Felsen, dieser war mit Seilen versichert und man musste ein paar Meter hinaufklettern. Man brauchte dafür ein wenig Kraft zum Hochziehen, ansonsten war es nicht so gefährlich wie befürchtet. Puh, es war geschafft. Sie packten die Wanderkarte aus und suchten genau diese Stelle. Auf der Karte war sie mit ein paar roten Punkte gekennzeichnet, während der Weg zuvor eine rote gestrichelte Linie war. Sie setzen sich für einen Moment auf den inzwischen warmen Boden und teilten sich eine Banane sowie einen Apfel. Dabei zeigte Herbert auf der Karte den Weg, den beide bald gehen würden. Den Klettersteig und Monis weg, der drum herum führte. Sie suchte auf ihrem Weg weitere rote Punkte, fand aber zum Glück keine. Trotzdem bekam sie Gänsehaut.
Natürlich würde sie das schaffen, ganz klar.
So gingen sie weiter und nach ein paar Meter kamen sie an den ersten Gräbern vorbei, welche man durch die Holz Kreuze erkennen konnte. Sie sollten an die gefallenen Soldaten vom 1. Weltkrieg erinnern. Ein sinnloser Stellungskrieg zwischen den österreichischen Gebirgsjäger und den italienischen Alpini. Hier oben auf den Bergen viele Monate verbringen, Wind und Wetter ausgesetzt, Kälte und Feuchtigkeit und zusätzlich in der Kleidung der damaligen Zeit. Nicht über das Wissen verfügen, wie und ob es weitergeht – eine furchtbare Vorstellung, doch gleichzeitig hochinteressant.
Sie hatten nun fast 800 Höhenmeter überwunden und Moni spürte es in allen Körperteilen. Am Einstieg des Klettersteigs machten sie nochmals eine kurze Pause. Herbert zog sein Klettergeschirr an und Moni wurde es sehr mulmig. Wenigstens waren noch mehrere Menschen hier, nicht viele, aber immerhin. Sie hörten jedoch nur italienische Wortfetzen. Moni schaute sich genau um, ihr Weg ging rechts weiter, aber hier schien niemand zu gehen. Die Leute wollten alle auf dem Klettersteig hoch. So einsam hatte sie sich das nicht vorgestellt. Herbert erahnte ihre Gedanken und nahm sie fest, beinahe zu fest in den Arm. „Baby, du schaffst das, ich weiß es ganz genau. Ich liebe dich!“, sagte er mit fester Stimme. Sie verabschiedeten sich und Moni brachte lediglich ein verzerrtes Lächeln zustande. Würde sie noch Raucherin sein, würde sie in der jetzigen Situation mindestens drei Stück nacheinander rauchen. Dann marschierte sie stolz und mit festem Schritt los. Vor der ersten Ecke rief und winkte sie nochmal ihrem Schatzi zu, dieser strahlte übers ganze Gesicht, er hatte schon die ersten Meter hinter sich – er war in seinem Element.
Als sich Moni endlich traute nach rechts und nach unten zu schauen, wurde sie mit einem spektakulären Blick entschädigt. Man konnte über das ganze Tal hinweg bis nach Toblach blicken, dabei fühlte sie sich verbunden mit dieser wundervollen Bergwelt. Wäre doch gelacht, wenn sie nun Angst hätte. Ab und zu hörte sie Stimmengemurmel, doch konnte leider keine Menschenseele ausmachen. Jetzt wurde es ernst für Moni, ihr Weg führte sie an einem überhängenden Felsen vorbei. Der Steig wurde sehr schmal. Links der Felsen und rechts der Abgrund, ohne Gebüsch und ohne Bäume – der direkte Abgrund. Es ging um eine Kurve und sie konnte beim besten Willen nicht wissen, wie der Weg danach weiterging. Schon wieder spürte sie diese Angst, die ihr den kalten Schweiß über den Rücken jagte. Mit viel Mut und dem Wissen, dass sie nicht umkehren konnte, wagte sie die nächsten Schritte. Irgendwie hatte Moni die Schlüsselstelle tatsächlich überwunden und versuchte nun nicht mehr nach rechts zu schauen. Sie nahm all ihre Kraft zusammen und marschierte ohne zu denken weiter und weiter. Sie war immer noch Mutterseelenalleine unterwegs. Der Weg wurde steiler, dafür aber breiter, durch die Hecken und Büsche am Wegesrand, sah sie keinen Abgrund mehr und warnun sichtlich erleichtert.
Von weitem erkannte sie jetzt auch andere Wanderer. Auch die weiteren Überbleibsel des dummen Krieges wurden sichtbar. Höhlen und Bretterverschläge, abgebrochene Treppen und noch gut erhaltene Schützengräben konnten die Besucher bestaunen und darüber nachdenken, wie furchtbar diese Zeit gewesen sein musste. Die armen Kerle. Es dauerte dennoch weitere zehn Minuten, bis Moni ganz oben angekommen war. Ein breites, flaches Plateau erwartete sie mit weiteren spektakulären Blicken über die gesamte Dolomitenwelt. Der seitliche Blick auf die Drei Zinnen belohnte sie für all die Mühe und Strapazen. Sie lief in die Richtung, in der sie Herbert vermutete. Tatsächlich tauchten der weiße Helm und eine hellblaue Jacke auf. Juchuh, sie hatte ihren geliebten Schatzi wieder. Beide strahlten und freuten sich. Sie fanden ein schönes Plätzchen für ihr Picknick und streckten die müden Beine aus. Sie erzählten sich, was sie in der Stunde alleine erlebt hatten, schmusten miteinander und waren glücklich.
Es war inzwischen vierzehn Uhr und die Turteltäubchen brachen auf. Sie besuchten einige Orte dieses Freilichtmuseums und Moni nahm als Andenken ein Stück verrosteter Stacheldrahtzaun mit. Da sie in Italien auf jedem Berg besseren Empfang hatten, als in Deutschland am Rande einer Stadt, schickte Moni die wundervollsten Fotos per Messenger an ihre Liebsten in der Heimat und versicherte allen, dass es ihnen hervorragend gehe und wie glücklich sie waren.