Dr. Uwe Ortner saß mit seinem Vater in der Cafeteria und telefonierte mit seinem Freund Thommy, der sich für morgen angekündigte. Dann vibrierte sein Handy ein zweites Mal, die Schwaben sind angekommen. Uwe stand auf, dankte Georg für seine Hilfe und ging aufrecht davon. Georg gähnte mehrmals hintereinander, er fühlte sich völlig erschöpft. Er spürte schon länger, dass das Alter an ihm nagte. Klar, er war schließlich 70 Jahre alt. Er hatte den Schlüssel von Uwes Appartement, auch er musste dringend schlafen.
Auf Station angekommen, hörte Uwe eine laute Männerstimme schimpfen. Es war Johann, der Bruder von Moni Häberle. Was war denn hier los? „Ah da kommt ja der Herr Arzt, schön, dass sie nun endlich Zeit haben!“ Donnerte Johann los, als er Uwe entdeckte. Der sperrte seine Augen weit auf, war gespannt, was das Theater hier soll! „Servus, wie kann ich Ihnen helfen?“ „Ich brauche dringend ein Arzt-Gespräch, da ich meine Schwester zu uns nach Deutschland verlegen möchte!“
Uwe erschrak, erstens weil er so einen wüsten Umgangston nicht gewohnt war und zweitens versetzte ihm der Gedanke, dass Frau Häberle in ihre Heimat zurückkehren würde, einen Stich ins Herz.
Er antwortete trotzdem ganz ruhig: „So eine Überlegung ist leider noch viel zu früh. Das kann ich nicht verantworten! Ich kann sie natürlich verstehen, der Weg nach Innsbruck ist immer sehr weit, das tut mir sehr leid. Aber Frau Häberle befindet sich in der schwierigen Aufwachphase. Eine Rundum-Betreuung ist jetzt sehr wichtig. Am Besten in der jetzigen vertrauten Umgebung. Übrigens, jemand sollte die Aufgabe demnächst übernehmen, Frau Häberle den Tod ihres Mannes zu überbringen. Ebenso müssen wir die Amputationswunde weiterhin versorgen, schon deswegen ist es noch viel zu früh.“ Johann schnaubte und starrte den Arzt lange an.
„Was denken sie, bis wann wir die Verlegung durchziehen können?“
„Ich bin der Meinung, dass Ihre Schwester mindestens noch sechs Wochen hier in der Klinik bleiben muss. Wenn Sie eine Verlegung dennoch anstreben, dann müssen Sie eine geeignete Klinik finden. Bitte beachten Sie, wir wissen leider noch nicht, was für Auswirkungen die Kopfverletzung auf das Gehirn ihrer Schwester hatte.“
Johann lief grußlos davon, suchte Käthe und schnorrte bei ihr eine Zigarette, die er zusammen mit ihr hastig qualmte. Danach telefonierte er mit seiner Frau und rannte zurück in die Klinik. Käthe ging gemütlich zum Termin bei Dr. Marowski. Anschließend traf sie sich mit der süßen Kim.
In Monis Zimmer drängten sich die Angehörigen an ihr Bett, redeten laut miteinander. So laut, dass Moni noch stärkere Kopfschmerzen bekam und deswegen aufwachte. Als sie die Augen öffnete, trat Stille ein. Keiner wusste, was man jetzt am besten sagen könnte. Uta strahlte übers ganze Gesicht, Otto lächelte und Johann setzte sich in aller Ruhe auf den Stuhl am Fenster, der am Weitetesten weg stand. So ein Krankenhaus und kranke Menschen, das war einfach nichts für ihn.
Lina nahm allen Mut zusammen und setzte sich zu ihrer Mutter ans Bett. Sie nahm ihre Hand und streichelte sie vorsichtig. „Hey Mami, des wird awer Zeit, dass du uffwache dusch!“ Gespannt starrten alle auf Moni. Doch diese konnte nur einen spitzen Schrei ausstoßen, sie wollte auf der Stelle ihre Ruhe haben. Die Hand in ihrer Hand fühlte sich jedoch gut an. Es hatte etwas Beruhigendes. Als würde Lina es spüren, streichelte sie die Hand der Mama ganz lieb, hörte nicht auf damit.
Für Moni waren es immer noch fremde Personen hier im Raum. Als sie die Augen schloss, spürte sie ein wohliges Gefühl aufsteigen. Was war nur los hier? Warum die vielen Leute? Bestimmt war es ein gutes Zeichen. Erneut öffnete sie die Augen und schaute dieses Mal in ein bekanntes Gesicht. Moni versuchte zu lächeln.
Dr. Uwe Ortner war inzwischen ebenfalls im Krankenzimmer. Uta hatte den Arzt gerufen, da sie sich Sorgen machte wegen des Schreies ihrer Schwester.
„Frau Häberle? Hallo? Sind sie wach, können Sie mich hören?“
Er nahm Monis linke Hand und fragte leise: „Wenn Sie mich verstehen können, drücken sie bitte meine Hand“. Die anderen beobachteten die Szene ganz genau. Der Chefarzt drückte nun ganz leicht ihre Hand. Und tatsächlich, ein leichtes Zittern und Zucken durchfuhr Monis Hand.
Gänsehaut
In diesem Moment strahlten sich alle an. Monis Gesicht verzog sich wieder zu einer lächelnden Grimasse, während der Arzt sich an Lina wendete: „Deine Mutter ist zurück, allerdings muss sie nun viele Dinge wieder neu lernen.“ Uwe verabschiedete sich, er hatte jede Menge Schreibkram zu erledigen. Morgen am Samstag um 10 Uhr, würde es ein gemeinsames Gespräch geben. Er hatte die ganze Familie zum Brunch in die Cafeteria eingeladen.
Käthe und Kim öffneten vorsichtig die Tür zu Monis Zimmer. Da saß ihre Mutter halbwegs gerade im Bett, zog eine Grimasse nach der anderen und wollte etwas sagen, aber es klappte nicht. Lediglich ein Stottern und Grummeln war zu vernehmen. Man sah ihr an, dass sie es selbst nicht fassen konnte. Völlig genervt schloss sie ihre Augen. Ob sie überhaupt schon ihre sämtlichen Verletzungen, Verbände und Schläuche registriert hatte?
Danach begrüßten sich alle und Lina umarmte ihre Schwester, küsste sie sogar mehrmals auf die Wange. „I hab di so vermisst, Schweschterle“. „Ich dich auch, Süße“. Käthe stellte ihre Freundin Kim vor, dann nahm sie auch ganz lange ihre Tante Uta in den Arm. Alle waren entspannt und glücklich, nur Johann starrte vor sich hin. Sie planten den Abend und das gemeinsame Essen. Inzwischen war es halb acht, die Familienmitglieder waren sehr hungrig. Abwechselnd sollte jedoch immer jemand bei Moni bleiben. Käthe und Kim übernahmen die erste Schicht. Ihre Mutter schlief tief und fest, schnarchte sogar ein ganz klein wenig. Otto wollte die Nachtschicht übernehmen.
Der Chefarzt kam noch einmal vorbei, auch er war sehr neugierig wie sich bei Frau Häberle das Aufwachen gestaltete. Käthe erzählte ihm, wie ihre Mutter versucht hatte zu sprechen, es aber nicht klappte. Uwe war zuversichtlich. „Keine Sorge, das wird jetzt Tag für Tag besser werden. Wolltet ihr nicht alle gemeinsam zum Abendessen?“ „Doch klar, aber wir wollten sie nicht alleine lassen.“ „Sie schläft bestimmt jetzt einige Stunden, ich bin noch bis zehn auf Station.“ „Ok, dann flitzen wir schnell zu den anderen.“
Es war 21 Uhr, als Uwe noch einmal nach Frau Häberle sah. Da lag sie mit offenen Augen und starrte ihn an. Uwe lächelte sein schönstes Lächeln, er hatte wieder dieses Kribbeln im Bauch. „Na, aufgewacht?“ Moni nickte dem Arzt zu. Sie hob die Hand und bewegte alle Finger. Er setzte sich auf den Stuhl, der direkt an Monis Bett stand, nahm ihre Hand. „Willkommen in Innsbruck, willkommen in meiner Klinik. Willkommen hier bei mir. Ich heiße Uwe.“ Lange beäugte sie den Arzt, nickte wieder und musterte ihn von oben bis unten. Moni kannte den Mann nicht, aber er gefiel ihr gut. Seine Berührungen waren sehr angenehm. Immer noch fragte sie sich, wo eigentlich ihr eigener Mann war? Doch sie war so müde, sie schlief gleich wieder ein.
In dieser Nacht hatte Moni einen seltsamen Traum.