Uta und Otto hatten spontan entschlossen, dem freundlichen, aber überforderten Hausmeister zu helfen. Gemeinsam trugen sie Kartons und kleinere Möbelstücke in Uwes Wohnung. Seine Söhne würden sich abends um die schweren Teile kümmern.
Moni erwartete ihren Besuch im Rollstuhl sitzend, bei der Aufzugstüre. Das Strickzeug hatte sie neben sich liegen, um immer wieder eine Runde zu stricken. Es waren Socken, die sie für Käthe im Urlaub fertig stellen wollte.
„Huhu, ich wurde verlegt und es geht mir auch schon viel besser,“ verkündete sie stolz. Uta und Otto freuten sich über ihre Fortschritte. Auch dieses Mal hatten sie einen großen Koffer mitgebracht. Moni war dankbar und zufrieden. Sie benötigte inzwischen schließlich ihre Winterkleidung. Uta hatte selbstgebackenen Käsekuchen dabei, und erzählte aus der Heimat. Dann kam Schwester Maria mit dem Schmerzmittel. Daraufhin wurde sie schon wieder müde. Die Augen fielen ihr zu. Uta und Otto verabschiedeten sich schnell.
Als Moni aufwachte, hatte sie immer noch leichte Kopfschmerzen und keinerlei Nachrichten von Uwe. Sie telefonierte zuerst mit Käthe, die ihr mitteilte, dass es geschneit hatte. Montan glich einem Winterwunderland und sie hatte einen tollen Tag mit Olga und Kindern im Schnee. „Stell dir vor, wir haben eine ganze Schneemannfamilie gebaut.“ Käthe lachte laut und glücklich. „Das ist ja toll, bis morgen, ja?“
Danach meldete sie sich bei Lina und den Kindern. Die Kleinen hatten ihren Spaß, ihre Omi im Video Chat zu sehen, sie wirkten fröhlich und unbeschwert. Nach einer leckeren Trüffel-Praline humpelte Moni ins Badezimmer für eine sogenannte Katzenwäsche.
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Victor musste ebenfalls schlafen gehen, er hatte die letzten drei Tage durchgearbeitet und benötigte dringend Erholung. So blieb Uwe nur mit den jungen Assistenzärzten zurück. Sie teilten sich in zwei Gruppen auf, denn gleich kamen die ersten Angehörigen der Verunglückten. Der Seelsorger wartete in den Besucherräumen. Uwe war Nicole dankbar, diese hatte zusammen mit einer Verwaltungsangestellten auf den Tischen Säfte, Kaffee, Kekse und Obst bereitgestellt. Nach stundenlanger Betreuung und Gespräche schleppte sich Uwe auf seine Station. Es war längst dunkel und ruhig geworden. Er dachte an seinen Oberarzt Peter, der hinten und vorne fehlte. Der Gedanke an ihn machte Uwe sofort wieder stinkesauer. „So ein Arschloch aber auch!“
Die Nachtschwestern hatten bereits die Schicht übernommen und waren in den Zimmern unterwegs. Er sah Kim vor den Überwachungsmonitoren im Schwesternzimmer sitzen. „Ach, was tust du denn hier ganz alleine?“ „Die neue Mitarbeiterin hat sich krank gemeldet. Aber es ist kein Problem, ich bin noch fit.“ Er nickte dem Mädel dankbar und freundlich zu.
Leise und vorsichtig öffnete er die Zimmertür, um einen Blick auf seine Lieblingspatientin zu werfen. Sie schien zu schlafen, da er selber total müde und erschöpft war, schlich er gleich wieder zurück, doch sie hatte ihn gehört. „Uwe?“ „Ja, ich bin hier,“ seine Stimme klang niedergeschlagen. Er setzte sich zu ihr aufs Bett, nahm ihre ausgestreckte Hand und streichelte sie zärtlich. „Ich hab so schlimme Kopfschmerzen“, sagte sie schwach und leise. „Was? Immer noch? Hat das Medikament nicht geholfen?“ Im Bad hielt er einen Waschlappen unter das kalte Wasser und tupfte damit vorsichtig ihre Stirn ab. „Danke, du bist so lieb. Ich hab von dem Unfall gehört, war es sehr schlimm?“
„Ja.“
An Monis Seite gekuschelt schlief er im Sitzen ein.
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Rita und ein völlig übermüdeter Georg saßen schlechtgelaunt in der Küche. Der alte Mann streichelte seine Freundin, kam näher zu ihr für einen Kuss. Doch diese wies ihn zurück. „Du wolltest mit mir zusammen den Hof führen und nicht mehr die Klinik in Innsbruck, oder?“ „Ja, aber...“ „Nichts aber!“
Olga hatte die Stimmung gleich erkannt, zusammen mit Aaron ging sie schnell ins Zimmer. „Da stimmt was nicht,“ flüsterte sie dem intelligenten Schäferhund ins Ohr. Der kläffte zurück und legte sich neben ihr Bett. Doch Olga war heute zufrieden, sie hatte einen tollen Tag mit Käthe und den Kindern im Schnee erlebt. Sogar laut gegluckst vor Lachen hatten sie alle miteinander. Käthe hatte sogar stundenlang das Rauchen vergessen. Das Leben konnte so schön sein. Wieder einmal war sie sehr dankbar, hier auf dem Hof sein zu dürfen. Sie betete lange und ausgiebig an diesem Freitagabend. Moni Häberle nahm sie wie immer mit ins Gebet.
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Mitten in der Nacht wurde Uwe von Kim wach gerüttelt. Dem Patienten, den er operiert hatte, ging es sehr schlecht. Sie vermuteten eine weitere Hirnblutung. Uwe war bis in die Morgenstunden mit ihm beschäftigt. Er konnte ihn fürs erste retten, die Frage war nur, zu welchem Preis? Die nächsten Wochen würden es zeigen.
Die beiden Assistenzärzte übernahmen den Dienst. Victors nächste Schicht war ab 16 Uhr. Uwe schlenderte daher in seine Wohnung zurück. Hier traf ihn schier der Schlag. Überall Kartons und Möbelstücke, er hatte seinen eigenen Umzug verpasst. So war das schon immer in seinem Leben, kein Wunder, dass Susan sich anderweitig umgesehen hat.
Er duschte lange, abwechselnd heiß und kalt. Mit reiner Kernseife schrubbte er sich Reste von Blut, Schweiß sowie die vergangenen Stunden von der Haut. Dann läutete es, Thommy stand mit seinem großen Rucksack vor der Tür. „Hey komm rein. Ich muss das Wandern leider absagen, es gab einen schlimmen Unfall. Ich habe drei Intensiv-Patienten zu betreuen.“ „Kein Problem, erzähl!“ Thommy sah sich staunend um und stieg über einige Taschen, bis er einen freien Stuhl in der modernen offenen Küche fand. „Du scheinst auch hier einen Notfall zu haben, oder?“ Die Männer lachten, Uwe gab ihm eine Flasche Bier. „Prost Kamerad!“
Beim Kleiderschrank aufbauen, erzählte Uwe von den neuesten Ereignissen. Thommy hatte die Idee, später das Kochen zu übernehmen. Er schrieb sich eine Einkaufsliste. „Was gibts denn?“ Uwe war zwar vom Bier auf Cola umgestiegen, leider wurde er trotzdem müde. „Überraschung! Leg du dich hin ich geh einkaufen, ja?“
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Moni verbrachte mit ihren Angehörigen einen schönen Samstag. Warm eingepackt spazierten sie lange im Park. Auch die Hunde freuten sich über den Auslauf und jagten die Enten am See. Käthe war jetzt ebenfalls angekommen. Zusammen mit Uta schoben sie abwechselnd den Rollstuhl. Monis Tochter erzählte vom Hof, von Olga und den Tieren. Hauptthema aber blieb das Käsen, sie sprudelte nur so vor Ideen und Tatendrang. Sie hatte für jeden ein großes Stück Ziegenkäse mitgebracht. Der Geschmack war einfach wundervoll. Moni war unheimlich glücklich, ihre Tochter so zu erleben. In den Augen von Käthe lag ein Strahlen, welches sie noch nicht kannte. Dieses Bergdorf Montan schien heilende Kräfte zu haben.
Zum Abendessen hatte Otto beim Italiener Pizza und Salat für alle bestellt. Nach Absprache mit dem Oberarzt Victor ging das in Ordnung. Sie setzten sich an einen großen Tisch in der Cafeteria. Kim und die diensthabenden Ärzte waren ebenfalls eingeladen. Später kam die Sprache auf Herberts Familie, Moni wurde dadurch unendlich traurig.
Von Uta erfuhr sie, dass ihr Bruder Johann der Klinikstiftung einen ordentlichen Betrag gespendet hatte. „Ach der, der kauft sich doch nur sein schlechtes Gewissen frei.“ Moni konnte Johann noch nie leiden. Er war fast neun Jahre älter, hatte seltsame Ansichten, schon immer gab es keinerlei Gemeinsamkeiten.
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Während Thommy die fehlenden Lebensmittel einkaufen ging, marschierte Uwe los, um nach seinen Unfallpatienten zu schauen. Die jungen Assistenzärzte waren mit der Situation womöglich überfordert. Schlafen konnte er später immer noch. Doch auf Station hatte man alles im Griff, es gab keine Komplikationen. In zwei Stunden kam Victor, Uwe konnte sich nun entspannen.
Als Moni abends alleine war, kuschelte sie sich mit ihrem Handy ins Bett. Sie hatte schon lange die Nachricht entdeckt: Meine Liebe, wie geht es dir? Wir sind nicht zum Wandern gegangen, sondern arbeiten in der Wohnung. In dem ganzen Stress hatte ich völlig vergessen, dass meine Möbel dieses Wochenende kommen. Ich drücke dich ganz fest, wenn du irgendetwas brauchst, so lass es mich wissen!
Huhu, mir geht es ganz gut, ich bin nur sehr müde. Die Kopfschmerzen sind inzwischen fast weg. Grüße an deinen Freund Thommy ich wünsche euch einen schönen Abend. Ich drücke dich auch!
Danach tippte sie eine weitere Nachricht an Johann und bedankte sich höflicherweise.