Uwe fuhr mit dem Aufzug in das 2. UG der Klinik, schaute auf die Uhr und runzelte die Stirn. Ob sie noch da war? Er steuerte in Richtung Fitness- und Wellnessbereich, entdeckte Susan, wie sie gerade aus der Tür kam. Als sie den Chefarzt erblickte lächelte sie und winkte ihm zu. „Hey, seit wann verirrst du dich hierher? Ich habe gehört ihr geht heute essen? Viel Spaß wünsche ich euch, ich bin mit Patricia verabredet.“ Uwe antwortete: „Hallo Susan, ja wir gehen heute essen. Schade, dass du dich noch immer nicht bei mir gemeldet hast.“ Susan ging ihm aus dem Weg und meinte nur schnippisch: „Du, entschuldige, ich bin spät dran, lass uns am Wochenende reden“. Und schon war sie weg.
Uwe starrte ihr hinterher, schüttelte resigniert seinen Kopf und ging traurig zurück in den Aufzug. In dem Moment als sich die Türe schloss, sah er, dass Peter aus dem Fitness-Bereich kam und wunderte sich sehr, denn noch nie zuvor hatte er ihn hier unten entdeckt. Peter war kein sportlicher Typ und er hasste Fitnessräume.
Als sich die Aufzugstüre im EG öffnete und Uwe noch überlegte, warum Peter unten war, stand auch schon Thommy vor ihm. Sie begrüßten sich lächelnd und Uwe half ihm dabei, das Gepäck aus dem Auto von Frau Häberle zu holen. Danach stellten sie das Auto in die Tiefgarage der Klinik und das Gepäck lagerten sie in einem Aufenthaltsraum. Käthe sollte sich morgen um Monis Zeug kümmern. Noch dazu durfte sie das Krankenzimmer für ihre Mutter einrichten.
Tiroler Gröstel, sein Lieblingsgericht und ein großes Bier standen vor Uwe auf dem Tisch. In einer großen Runde saßen sie beim Abendessen. Zwei Personen fehlten: Käthe schlief und Peter hatte sich wegen starken Kopfschmerzen entschuldigt. Uwe wollte nächste Woche ein Gespräch mit Peter führen. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht, das brachte Uwe immer wieder zum nachdenken. Dennoch wurde es ein schöner Abend an dem viel gelacht und getrunken wurde, vor allem Georg erzählte lustige Geschichten von früher. Uwe vergaß die Sorgen mit Susan und freute sich insgeheim auf Moni, er würde sie so gerne kennen lernen. Zum Schluss saß er mit Thommy noch auf einen Absacker an der Bar und erzählte ihm von seinen Gefühlen und Gedanken zu dieser verunglückten Frau aus dem deutschen Schwabenland. Thommy war ein guter Freund, er hörte ihm einfach nur zu und fragte nicht viel.
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Tina und Max waren die halbe Nacht bei den Hunden in der Garage. Der Nachwuchs kündigte sich an und die Hündin war froh über die Unterstützung der Menschen. Sie hatten warme Tücher ausgebreitet, Wasser und Futter bereitgestellt. Nach der Geburt aller sieben Hundebabys begleitete Tina die Mama nach draußen, damit sie ihr Geschäft verrichten konnte. Jetzt durfte auch der Rüde dazu. Sie betteten die Hundefamilie auf die frischen, warmen Tücher. Die Welpen schienen auf den ersten Blick gesund und nach einer knappen Stunde hatten alle die Zitzen der Mama gefunden und nuckelten zufrieden. Tina und Max waren glücklich, sie blieben noch eine Weile engumschlungen bei den Hunden sitzen. Sie lebten ihren Traum, liebten das Leben, sie waren glücklich. Die Tiere waren ruhig und schliefen, die beiden konnten nun auch ins Bett gehen.
Olga und Rita waren die ersten Besucher am nächsten Morgen. Sie hatten in den letzten Wochen dicke Halsbänder gehäkelt und Tücher für die Hunde genäht. In sieben verschiedenen Farben. Diese Geschenke wurden nun überbracht, es war so ein niedlicher und friedlicher Anblick. Tina war schon früh aufgestanden und hatte nach den Kleinen geschaut. Gemeinsam suchten sie nun sieben Hundenamen aus. Für fünf Welpen hatte Tina bereits Interessenten. Zwei waren noch zu haben: Bruno und Bea.
Heute Abend würde also die Neue kommen. Olga freute sich nach wie vor, nur Rita war etwas skeptisch. Lara und Linus, die Kinder von Tina sprangen herbei und betrachteten ebenfalls die Welpen und waren sofort verliebt. Der kleine Linus fragte: Mami, welcher ist meiner? Ich will auch einen, kann ich mit dem kuscheln?“ Alle lachten. Gemeinsam mit Olga hüpften sie fröhlich und singend vor der Garage hin und her.
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Käthe war sehr früh aufgewacht, sie fühlte sich tatsächlich ein wenig besser. Nach einem schnellen Frühstück und ihren drei Zigaretten ging sie zu Nicole. Heute würde sie ihre Klinik-Klamotten erhalten, damit sie ganz offiziell auf die Station zu ihrer Mutter konnte. Nicole half Käthe mit dem ganzen Gepäck und gemeinsam sortierten sie Herberts Sachen aus. Sie wurden in einen Schrank geschlossen, Johann würde alles am Sonntag mit die Heimat nehmen. Auf Station K1 herrschte der normale Klinik-Alltag. Schwester Heidi nahm Käthe in Empfang, führte sie durch die Station, zeigte und erklärte ihr alles Wichtige und zum Schluss gingen sie in Monis zukünftiges Zimmer.
In diesem Krankenhaus war alles ein wenig anders, besser, schöner und sehr gut durchdacht. Es gab vier Komfort-Einzelzimmer, 5 Standard-Doppelzimmer und drei kleine Einzelzimmer, welche für Langzeit-Koma-Patienten reserviert waren. Angehörige konnten diese Patienten für ein paar Wochen hier in Obhut geben, um entweder in Urlaub zu gehen oder einfach zu entspannen oder durchzuatmen. Uwe und sein Team nutzten diese Zeit, um die Menschen durchzuchecken, große Untersuchungen durchzuführen und aktuelle Diagnosen und Prognosen zu stellen. Die Kosten wurden üblicherweise von den Krankenkassen übernommen oder von den Zusatzversicherungen. Oftmals standen nach dem Aufenthalt auch große Entscheidungen an. Im Gegensatz zu vielen Krankenhäusern gab es hier den Vier-Schichtdienst für das Pflegepersonal, das machte den Berufsalltag wesentlich erträglicher. Uwe legte Wert auf ein gutes Betriebsklima. Seine Mitarbeiter sollten gerne zur Arbeit gehen.
Der Chefarzt stand an Monis Intensivbett, kontrollierte die Werte und setzte die Dosierung der Schmerz- und vor allem die der Betäubungsmittel weiter herab. Er überprüfte sämtliche Vital Reaktionen und Funktionen. Später würde er den Hirndruck messen, die Körpertemperatur wieder auf 37 Grad erhöhen und heute Abend, spätestens morgen früh würde er das Beatmungsgerät ausschalten, um zu sehen ob Moni wieder selbstständig atmen konnte. Bevor er ging nahm er ihre Hand, streichelte über das Haar und flüsterte sanft: "Frau Häberle, bald werden wir uns kennen lernen. Ich freue mich, dennoch wird es eine schwierige Zeit werden. Aber ich bin immer da!"
Käthe war mit dem Einrichten fertig, es gab pastellfarbene Bettwäsche und Handtücher, schmale, gelbe Vorhänge ließen das Krankenzimmer freundlich erscheinen. Käthe hatte sich entschlossen, bei der Aufwachphase ihrer Mutter nicht dabei zu sein, sie konnte das nicht, war nicht stark genug oder einfach nicht dafür geschaffen. Zur Mittagszeit begab sie sich in das Schwesternzimmer, hier gab es belegte Brötchen und verschiedene Säfte. Als sie den ersten Bissen machte, öffnete sich die Tür und Kim hüpfte fröhlich herein, als sie Käthe sah rief sie vergnügt: „Ach, hallöchen, schön, dich wieder zu sehen, was machst du hier? Arbeitest du hier?“ Käthe hatte viel zu erzählen und Kim hörte ihr interessiert zu.