Es war Dienstag und Uwe hatte seinen freien Tag, erst ab 20 Uhr würde seine Rufbereitschaft beginnen. Peter, sein erster Oberarzt hatte diese Woche Tagdienst, zusätzlich unterstützten den diensthabenden Arzt mindestens zwei Assistenzärzte, diese Schicht ging immer von 6.00 bis 18.00 Uhr. Victor hatte Hintergrund-Dienst, das bedeutet, dass er bei einem Notfall innerhalb von zwanzig Minuten in der Klinik sein muss. Bei diesem Dienst bekommt der Arzt nur die Stunden vergütet, die er wirklich arbeitet. Bei einer Rufbereitschaft, haben ja nicht nur Ärzte, muss das Personal in der Klinik bleiben und innerhalb von fünf bis zehn Minuten zur Stelle sein. Hier werden alle Stunden vergütet, auch wenn das Personal nicht arbeitet, sondern TV schaut, liest oder schläft.
Moni ging es unverändert. Die Ärzte wollten ihrem Körper noch 2 bis 3 Tage Erholung im künstlichen Koma gönnen, dann aber sollte sie langsam aufwachen.
Uwe hatte sich heute einiges vorgenommen. Nach einer kurzen Nacht in seinem Ein-Zimmer-Appartement in einem der Wohnhäuser für Mitarbeiter und nachdem er seinen Freund Thommy verabschiedet hatte, traf er sich mit Susan zum Frühstück in der Cafeteria. Er war seit dem Urlaub noch immer nicht daheim gewesen. Er wohnte in der Stadtvilla von Georg, etwa zwanzig Gehminuten von der Klinik entfernt. In Montan hatte er ein eigenes kleines Zimmer, damit er sich dort immer willkommen fühlte. Dann das Haus am Achensee, nein, er wollte gar nicht dran denken. Manchmal fühlte er sich wie ein Vagabund, der kein festes Zuhause hat. Susan hatte ihre eigene Wohnung. Eine Penthousewohnung in der Vorstadt, die sie von ihrem Opa geerbt hatte, sie wollte unbedingt unabhängig bleiben.
Susan kam pünktlich zum Treffpunkt, sie sah heute wieder verdammt gut aus und gleichzeitig hatte sie diesen strengen Blick, den hatte sie immer, wenn sie sich sehr ärgerte. Uwe gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, kam aber gleich zur Sache. „Hey Schatz, was ist eigentlich los?“ Susan überlegte lange, bis sie ihn anschnauzte, „Was meinst du eigentlich? Es ist doch nichts! Du musstest doch in die Klinik. Du bist doch derjenige der keine Zeit für mich hat. Du, du, du. Dr. Uwe Ortner, der nicht ohne seine Klinik leben kann. Seit Tagen lässt du mich allein und kümmerst dich nicht um mich!“ Fassungslos starrte Uwe seine Verlobte an, er schüttelte resigniert den Kopf, „Ich habe keine Ahnung was bei dir passiert ist und was zwischen uns steht. Erzähl mir doch einfach was ich falsch gemacht habe, was soll ich tun?“ Schweigend tranken beide ihre Tasse leer, aßen ihr Brötchen und schauten sich immer wieder kurz an.
Uwe war so geschockt von ihrer Reaktion, diese gemeine Art, die sie an den Tag legte. Er wusste einfach nicht warum. Zum Abschied flüsterte er ihr zu: „Susan, wenn du wieder zur Vernunft gekommen bist, mir offen und ehrlich erklären kannst was los ist, dann kannst du dich gerne bei mir melden, ansonsten lass mich bitte in Ruhe.“ Er stand auf und während er sich abwendete, sah er ihren hasserfüllten Blick.
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Georg und Olga spazierten gemütlich zum Nachbarhof. Tinas Maremmen-Abruzzen Schäferhündin war trächtig, in wenigen Tagen sollten die Welpen kommen. Es war immer noch schönes Wetter, für Anfang Oktober viel zu mild. Schon von weitem hörte Olga das helle Kinderlachen, das niedliche Kreischen, es tat ihr so gut. Tina und Max waren bei den Pferden. Sie hatten heute Besuch von einem Mann, der gerne als Stallbursche eingestellt werden wollte. Gleichzeitig suchte er für sich und seinen Sohn ein neues Zuhause. Das Schicksal hatte ihnen übel mitgespielt.
Als Tina ihren Vater sah, rief sie vergnügt von weitem. „Hey Dad, weißt du inzwischen was wir mit sieben Maremmen-Welpen machen sollen?“ Sie waren eingetragene Züchter und warteten stets ab, bis sich genug Interessenten meldeten, erst dann ließen sie die Hündin decken. „Womöglich habe ich da so meine Ideen“, antwortete Georg, grinste verschmitzt und begrüßte den neuen Mitarbeiter.
Später saßen alle gemeinsam in der großen Wohnküche bei Tina und Max und tranken Kaffee zusammen mit Karl, der aus dem Defereggental stammte. Er hatte dort einen Hof mit Kühen und Pferden gehabt. Durch ein großes Unglück war sein Hof abgebrannt, überlebt hatte nur sein Lieblingspferd, sein Sohn und er selber. Ohne Geld und ohne Frau stand er nun da. Da sein Sohn im Bio-Hotel in Montan eine Lehrstelle als Koch gefunden hatte, wollten sie nun hierher ziehen. Max hatte schon seit langem die Idee, dass er Hilfe für die Pferde und den Hof gut gebrauchen könnte. Alle hatten das gute Gefühl, eine richtige Entscheidung getroffen zu haben. Olga spielte mit den Kindern und war ebenfalls glücklich.
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Käthe war wieder früh aufgewacht, fühlte sich jedoch heute richtig krank. Müde, schlapp, irgendwie total entkräftet. Sie zwang sich, zu duschen, schließlich hatte sie heute mehrere Termine. Nicole wartete bereits im Eingangsbereich der Klinik. Dieser Bereich wurde vor allem von den Besuchern, Mitarbeitern und Angehörigen der Klinik benutzt. Hier gab es einen kleinen Friseursalon, eine Boutique und einen Kiosk mit Café. Man konnte sich mit dem Notwendigsten versorgen. Gemeinsam kauften sie Unterwäsche, Socken, einen Jogging-Anzug und zwei Shirts für Käthe. Sie deckte sich mit Süßigkeiten, Cola Zero, jede Menge Schachteln Zigaretten und ein paar Hygiene-Artikeln ein. Der erste Hunderter von ihrem Vater war jetzt weg. Nachdem die beiden Käthes Schmutzwäsche versorgt hatten, half ihr Nicole beim Einrichten des winzigen Zimmers. Käthe sollte sich schließlich wohl fühlen. Nach dieser Aktion schlief sie nochmal ein und verpasste so den heiß ersehnten Termin bei Dr. Marowski.
Uwe weckte Käthe am späten Nachmittag und lud sie zum Pizza-Essen ein. Er hatte einiges mit ihr besprechen, merkte aber schnell, dass sie unkonzentriert und viel zu erschöpft war. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Käthe wollte nichts planen heute, sie erzählte einfach nur ein wenig von sich, musste immer wieder weinen. Nach dem Essen wollte sie sich gleich wieder ins Bett legen. Sie fragte Uwe ganz vorsichtig: „Kann ich bitte ein Bedarfs-Medikament haben, vielleicht eine Tavor, falls ich nicht schlafen kann oder Panik bekomme?“
„Wir können das ausnahmsweise machen, aber ich kenne dich noch zu wenig. Wäre es für dich in Ordnung wenn ich in der Einrichtung anrufe und deine Medikamentation erfrage, sowie Erkundigungen über dich und deine Diagnosen einhole? Ich möchte wirklich nicht, dass wir dich hier vergiften. Ich werde der Heimleitung erklären warum und wo du dich derzeit befindest.“ Käthe nickte und gemeinsam gingen sie zurück in die Klinik.