Thommy stand mit der Einkaufstasche vor Uwes Tür. Er starrte fassungslos auf sein Handy und schüttelte den Kopf. Uwe kam eben aus der Klinik, gesellte sich zu ihm. „Was ist los?“
„Jetzt ist sie übergeschnappt“. Thommys Frau Resi hatte tatsächlich Angst, die beiden wären in einem Nachtclub unterwegs und würden sich sinnlos besaufen und mit anderen Weibern rummachen. „Das sinnlos besaufen hört sich aber verdammt gut an,“ meinte Uwe trocken.
Thommy arbeitete konzentriert in der Küche, Uwe legte sich in seinem Trainingsanzug auf die Couch. Er zappte durch die Programme, es duftete köstlich. Er hatte inzwischen richtigen Kohldampf, döste aber erschöpft ein.
Thommy schaufelte den Tisch frei, suchte saubere Teller, fand sogar Rotwein Gläser und Servietten. Er gönnte seinem Freund eine halbe Stunde Schlaf. Mit dem Telefon in der Hand setzte er sich im Nebenzimmer auf den Boden. Er beruhigte seine Frau. „Hör zu Resi, Uwes Möbel sind gekommen. Das hatte er völlig vergessen, wir sind am Arbeiten und ich habe gekocht. Wir bleiben brav zuhause.“
„Ok, entschuldige bitte.“ „Ja, ist schon gut, Süße. Stell dir vor Uwe ist verliebt! Wir machen jetzt gleich einen gemütlichen Fernsehabend, du brauchst wirklich nichts denken, ok? Knuddel die Kids von mir, ja? Bussi!“
So kannte er seine Frau ja gar nicht.
Um sieben saßen die Freunde endlich über den gefüllten Tellern. Thommy hatte Parmesan Schnitzel mit Spagetti zubereitet. Dazu servierte er einen bunten gemischten Salatteller. „Wow, schmeckt saugut, seit wann kannst du denn kochen?“ Uwe schaufelte sich große Portionen in den Mund, füllte sich den Teller gleich noch einmal. „Tja, weißt du, in der Bergwacht sitzen wir oft nur rum und warten auf unseren Einsatz. Da haben wir angefangen, uns gegenseitig zu bekochen. Ein kleiner Wettbewerb sozusagen.“ „Richtig gut! Danke, mein Lieber“. Uwe trank den Rotwein, als wäre es Wasser. Thommy bremste ihn, „Ey, langsam. Es nimmt dir niemand dein Glas weg. Was ist los mit dir? Willst du Alkoholiker werden?“ „Och, tu doch nicht so. Ich kenne sogar Piloten, die Alkoholiker sind,“ Uwe verbesserte sich, „Waren“.
Er spielte auf Thommys Vater an, der mit 1,8 Promille im Blut damals einen schweren Fehler beging. Bei der Suche nach einem vermissten Bergsteiger steuerte er seinen Heli zu nahe an eine Steilwand, einer der Rotorblätter streifte einen Baum, er stürzte ab und war sofort tot. Er war alleine unterwegs, da die Retter mit zwei Suchtrupps gestartet waren. So traf es wenigstens keinen Unschuldigen.
„Ach Uwe echt. Hör bitte auf mit dem alten Zeug, ja?“ Thommy reagierte sauer. „Sag mir lieber warum du angefangen hast du trinken.“
„Aber das habe ich doch gar nicht. Es war eine Zeitlang der Whiskey, ja ok. Wegen der Sache mit Susan. Aber das ist doch vorbei.“ Thommy zeigte auf die leere Weinflasche. „Ich glaube nicht.“
Die Männer standen auf, Uwe spülte ungeschickt das schmutzige Geschirr, später räumten sie schweigend seine Klamotten in den Schrank.
„Meine Frau putzt die Möbel immer, bevor sie bestückt werden,“ wusste Thommy klug. „Ach ja? Siehst du hier eine Frau?“
Zwei weitere Kartons mit Geschirr und Küchenutensilien wurden verstaut. Endlich machten sie Feierabend und auf der Couch liegend schauten sie den Film Der letzte Mohikaner. Schon alleine wegen dieser wunderbaren Musik von Trevor Jones lohnte sich dieser Film aus den 90-ern. Uwe tauschte den Wein gegen Bier. Schon drei leere Flaschen standen auf dem Boden, dabei war der Mohikaner noch lange nicht zu Ende. Thommy schaute seinen Freund ernst an.
„Sag nichts, es beruhigt mich einfach, ok?“
„Ja, wahrscheinlich arbeitest du zuviel!“
„Mag sein, ja. Wow! Voll erkannt!“ Uwe Stimme wurde lauter.
„Stimmt! Aber verdammte Scheiße, mir fehlt ja auch ein Oberarzt. Ach, ich Idiot habe ihm ja gekündigt. Stell dir vor, ich habe ihn sogar hochkant rausgeschmissen!“
Inzwischen brüllte Uwe laut: „ Er hat meine Frau gefickt, ja? Hast du das eigentlich schon kapiert? In einer Herrentoilette in meiner Klinik! Während ich im OP stand! Keine 100 m weg von mir!“
Dann brach der Chefarzt in Tränen aus, er zitterte am ganzen Körper und schluchzte laut. Thommy saß seltsam ratlos neben seinem Freund und streichelte ihm den Rücken. „Ja, so eine große Scheiße! Lass es raus!“
Nachdem sich Uwe beruhigt hatte, stand Thommy auf und kramte in seinem Rucksack. Er zog eine kleine Holzschachtel hervor. „Schau doch, um was du mich gebeten hattest. Ich habs nicht vergessen“. Lachend öffneten die Männer die Terrassentür und setzten sich auf die eiskalten Gartenstühle. Thommy köpfte eine weitere Flasche Rotwein, sie tranken abwechselnd direkt aus der Flasche, während sie die dicken kolumbianischen Zigarren pafften. Als Uwe schließlich vom Stuhl flog, packte ihn der Freund, zog in die Wohnung und verfrachtete den Kerl aufs Sofa.
***
Nach dem Frühstück, welches aus mehreren Kannen Kaffee, Spagetti und Salatresten bestand, zog sich Uwe seine Klinikklamotten an. Nebenher schauten sie den Film zu Ende. Die Musik war einfach wunderbar. „Ich muss meine Runde machen, bleibst du noch?“
Thommy nahm ein Geschenk aus dem Rucksack, „Das ist von meiner Frau an Moni, ich würde es ihr gerne bringen.“ „Na dann, komm doch mit.“ Auf den wenigen Metern zur Klinik wählte Uwe Monis Nummer. „Guten Morgen, bist du wach?“
„Ja“, Moni freute sich. Heute hatte sie zum ersten Mal die neue Uhr von Uwe am Handgelenk. Sie war wirklich wunderschön. Ob er es bemerken würde?
„Und angezogen?“
„Ha, ha ha“.
Schon ging die Tür auf und die beiden Männer traten herein. „Überraschung“, Thommy trat näher und übergab ihr das Geschenk. „Hi, ich bin Thommy der Pilot. Ich habe euch damals aus dem Berg geflogen.“
Moni reichte ihm die Hand, „Das ist ja schön, jetzt kann ich mich bei meinem Retter persönlich bedanken.“
„Das hier ist von meiner Frau, die dein Schicksal sehr bedauert.“ „Oh, schon wieder ein Geschenk, vielen lieben Dank auch“, Moni freute sich ehrlich und betrachtete Uwes Freund, als sie das Geschenkpapier vorsichtig aufriss. Der sah ja mindestens genauso gut aus wie Uwe. Nur hatte dieser dunkle Haare und schwarze Knopfaugen. Fast wie ein Italiener, aber das sagte man zu einem Südtiroler natürlich nicht. Sie hielt einen Bildband mit dem Titel Die Sextner Dolomiten in den Händen. „Wow, das ist ja super! Eine tolle Idee! Vielen Dank und viele Grüße an deine Frau“. „Gerne“.
„Er hat übrigens auch dein Auto hierher gefahren, du weißt es seht unten in der Tiefgarage.“ „Ach ja, stimmt, ich habe ja ein Auto.“ Niedergeschlagen starrte sie auf ihr rechtes Bein und die verlorenen Zehen. „Kann ich jemals wieder Autofahren?“ „Aber sicher!“ Er strahlte Moni an, nahm sie in den Arm, bevor er sich verabschiedete. „Die Uhr steht dir hervorragend! Ich wünsche dir einen schönen Tag mit deiner Familie. Wir sehen uns heute Abend. Jetzt muss ich los, es wartet viel Arbeit!“
Als die beiden weg waren, dachte sie zuerst über die Alkohol-Fahne von Uwe nach. Sie hatte es schon öfters gerochen, diese Tatsache gefiel ihr überhaupt nicht. Sollte sie ihn darauf ansprechen? Dann kam ihr ein weiterer Urlaub in Südtirol, Toblach in den Sinn, natürlich erst wenn sie wieder laufen konnte.
Uta und Otto kamen noch einmal für einen letzten Spaziergang vorbei. Sie packten Moni in dicke Decken und verfrachteten sie in den Rollstuhl. Nach einer Besichtigung des Wohnmobils drehten sie mit den Hunden eine letzte Runde durch den Park. Heute war es sehr kalt, die Wolken hingen tief und versprachen auch in Innsbruck den ersten Schnee. „Da vorne wohnt übrigens Herr Dr. Ortner. Wir haben ihm gestern beim Umzug geholfen.“ „Echt?“ Moni war sichtlich erstaunt.
Käthe und Kim kamen des Weges, um sich auch von Uta und Otto zu verabschieden. Die Mädchen wollten heute bei Kims kranker Mutter kochen und putzen. „Tschüss alle miteinander.“ Käthe drückte ihrer Mutter einen Kuss auf die Stirn, „Mama ich hab dich lieb! Melde dich wenn du was brauchst oder einsam bist, gell!“
Otto kümmerte sich um den Wagen, Uta brachte Moni zurück auf Station, wünschte ihr alles Liebe und Gute. Dann war Moni alleine. Sie seufzte laut und begann fleißig mit ihren Muskelübungen.