Nach einem langen Mittagschlaf hatte sich Moni von Käthe überreden lassen mit den Krücken zur Cafeteria zu laufen, denn dort gab es heute leckeren Kaiserschmarren. Das Laufen war für Moni sehr anstrengend, klappte aber schon wesentlich besser. Sie war ein wenig stolz auf sich. Gleichzeitig war es eine willkommene Abwechslung in Gesellschaft anderer Personen zu sein. Sie setzten sich an einen freien Tisch direkt am Fenster mit wunderbarem Blick auf Innsbruck. Neugierig und außer Atem sah sich Moni um. Hier war gleichzeitig auch der Aufenthaltsraum für die Patienten. In einem mächtigen Regalschrank befanden sich viele Bücher und Zeitschriften, daneben verschiedene Gesellschaftsspiele und an der Wand hing ein riesengroßer Monitor. Die Preise im Cafe waren sehr moderat, so dass man auch länger verweilen konnte, ob mit Besuch oder alleine.
Nicole war nachmittags fast täglich hier anwesend. An sie konnten sich Patienten und auch Besucher jederzeit mit Fragen wenden. „Hallo Moni, wie schön, du kannst ja inzwischen selber laufen? Wow!“ Nicole freute sich ehrlich für die Frau aus dem Schwabenland und setzte sich dazu. Doch Moni fiel es schwer, sich auf längere Gespräche zu konzentrieren, auch empfand sie die Geräuschkulisse viel zu laut. Schnell bekam sie Kopfschmerzen und wurde müde, sehnte sich nach ihrem Bett und Ruhe. So machten sie sich wieder auf den Rückweg, Käthe half ihr dabei liebevoll.Nicole brachte einige Zeitschriften zum Schmökern und gab Moni ihre Handynummer.
Es war schon nach 19 Uhr als Moni von der sanften und liebevollen Männerstimme geweckt wurde. „Guten Abend meine Liebe, wie geht es dir? Wie war dein Tag? Ich habe gehört du bist durch die Station gejoggt?“ Sie blinzelte und rieb sich die Augen. „Ha ha ha. Hey, wie war die OP?“ Uwe streichelte ihre linke Hand und lächelte seine Patientin fröhlich an. „Alles wunderbar, ich bin sehr zufrieden.“ Dann erzählte der Arzt spannende Details und Moni hörte aufmerksam zu. „Das ist aber schön“, Moni lächelte zurück und plauderte von ihrem Tag. Gespannt überreichte Uwe die Geschenke von Frau Reinhardt und fragte frech: „Na, wie wärs mit einem Schluck Birnenschnaps? Vielleicht morgen zum Frühstück?“ Moni kicherte und gleichzeitig füllten sich ihre Augen mit Tränen. „Scheiße, Herbert hatte sich den gewünscht“. Uwe nickte und streichelte weiter ihre Hand. Beide schwiegen und Moni kuschelte sich an ihren Arzt. Er nahm sie sofort zärtlich in den Arm. Sie war voller Trauer und fühlte sich trotzdem sehr stark zu Uwe hingezogen. Ein wohliges Gefühl durchströmte ihren Körper, während sie um ihren geliebten Mann weinte. Konnte das wirklich wahr sein? Gefühlschaos pur.
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Georg verfrachtete die Kleinen in die ausgeliehenen Kindersitze, während Lina ihre vergessene Tasche aus dem Haus holte. Sie war durcheinander und fühlte sich gestresst. Auf der Fahrt nach Innsbruck plapperten die Kinder und fragten Georg Löcher in den Bauch. Sie waren total aufgedreht. Lina fühlte sich sogleich überfordert. Sie freute sich zwar auf das Fest morgen, wollte auch ihre Mutter besuchen, aber der Gedanke an die Rückfahrt am Donnerstag machte sie nervös und ängstlich. Inzwischen vermisste sie ihren Flo und vor allem die Musik und ihre Band. „Warum bist du so nervös? Stimmt was nicht?“ Georg sah der jungen Frau die Unsicherheit an. „Ach, i bin oifach schlapp, mir wirds jetzt halt langsam zviel!“ Danach schwiegen beide, Lina blickte schlecht gelaunt aus dem Fenster und Georg dachte an den vergangenen Abend. Er hatte das Auto von Dr. Peter Wahl an einem Feldweg gesehen und ihn überall gesucht. Es war schon fast dunkel, als er ihn tatsächlich am Waldesrand entdeckte. „Sag mal, was machst du denn? Warum schleichst du hier umher?“ „Es tut mir alles so unendlich leid, Georg, bitte! Rede mit mir! Bitte! Hör mir zu.“ Der Oberarzt weinte jetzt laut, Georg starrte ihn verwundert an. Peter machte einen verwahrlosten Eindruck, hatte ziemlich abgenommen, doch der Senior Chefarzt hatte kein Mitleid mit ihm. „Du musst das mit Uwe besprechen, ich kann dir leider nicht helfen. Bitte verstehe!“ Mit diesen Worten lief er verärgert zurück zum Hof.
Jetzt auf dem Weg in die Klinik dachte er darüber nach, ob er den Vorfall seinem Sohn überhaupt erzählen sollte.
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Moni hatte eine unruhige Nacht hinter sich, freute sich aber riesig über ihren Besuch heute. Noch einmal die Unbekümmertheit der Kinder zu sehen, das tat unheimlich gut. Mit Schwester Heidi humpelte sie langsam durch die Station bis zur großen Terrasse. Hier genoss sie die Aussicht und sog die frische Bergluft ein. Uwe kam ebenfalls dazu und brachte ihr eine Tasse Kaffee. Gemeinsam verbrachten sie seine kleine Pause. Auch heute informierte er sie über seine Arbeit, von den Komapatienten und von dem Glück welches er in seinem Beruf und der damit verbundenen Tätigkeiten empfand. Moni konnte ihm stundenlang zuhören und ihn dabei ansehen. Er war du wunderschön! Er hatte so tolle blaue Augen, sein Blick war so gütig. Der österreichische Dialekt, die Bewegung seiner Lippen und die sanfte Stimme, diese Kombination wie er sie dabei ansah. All das führte dazu, dass sie seine Nähe sehr genoss. Am Liebsten hätte sie ihn geküsst. Und zwar richtig.
„So, jetzt auf zur Visite, wir sehen uns später“, liebevoll drückte er seiner Lieblingspatientin einen Kuss auf die Wange und zwinkerte ihr zu. Den restlichen Vormittag verbrachte Moni mit Körperpflege und ihren Übungen. Die Tätigkeiten waren immer noch sehr anstrengend, doch Moni wollte kämpfen. Sehnsüchtig fiel ihr Blick immer wieder zu der Tasche mit der Wolle und den Stricksachen. Sie würde alles darum geben, endlich ihrem allerliebsten Hobby nachgehen zu können. Nach dem Mittagessen schlief Moni wie jeden Tag erschöpft ein und träumte wirres Zeug.
Das Gelächter ihrer Enkel weckte sie einige Zeit später. Überschwänglich begrüßten die Kleinen ihre Omi. Sie musste aufpassen, dass sie sich nicht auf ihre Verletzungen oder gar auf die Amputation setzten. Moni erhielt viele Basteleien und gemalte Bilder. Lina ging gleich sich auf die Suche nach Käthe. Die Töchter hatten ihrer Mutter versprochen heute für sie einkaufen zu gehen. Moni hatte eine Wunschliste geschrieben und ihnen Geld gegeben.
Abwechselnd kuschelte sie mit Gerhard und Irene, die vom Hof und von den Tieren schwärmten. Sie sangen fröhliche Kinderlieder, lachten und kicherten und wie immer musste Moni ihnen erklären, was passiert war und warum sie noch immer im Krankenhaus lag. Sie fragten auch nach ihrem Opi. Moni hatte die typische *Opa wohnt jetzt im Himmel* Geschichte parat. Gemeinsam schauten sie einen Disney Film an, als Uwe ins Zimmer trat und die Infusion brachte. Neugierig schauten die Kinder ihm zu, hatten viele Fragen und freuten sich sehr, als er für jeden ein Überraschungsei aus der Manteltasche zauberte. In einem ausgedienten Arztkoffer hatte er leere Spritzen, Schläuche, Mullverbände, Pflaster und Nierenschalen gelegt. „Hier, für euch, jetzt seid ihr auch Ärzte.“ Die Kleinen jubelten, „Ich bin jetzt der Doktor“. „Ich auch, ich auch. Ich bin ein Krankenhaus.“ Die hohen Stimmchen der Kleinen zauberten Uwe ein Strahlen ins Gesicht. „Ihr seid ja süß“.
Lina und Käthe kamen mit drei großen Papiertüten zurück. Moni hatte sich Unterwäsche, Strümpfe, Sportklamotten, Mütze, Schal und Handschuhe gewünscht. Außerdem eine bestimmte Körperlotion sowie ihr Lieblingsparfüm und verschiedene Kekse. Für das Klinikpersonal hatte Moni Pralinen und andere Leckereien bestellt. Dann kam langsam der Moment des Abschiedes. Morgen würde das Fest stattfinden, auf das sich alle sehr freuten. Es mussten abends noch die Koffer gepackt werden, da der Zug nach Stuttgart schon Donnerstag früh um 8:00 Uhr in Innsbruck abfuhr. Lina kuschelte ausgiebig mit ihrer Mama, Käthe las den Kleinen eine letzte Geschichte aus einem Buch vor. Stolz begleitete Moni mit Hilfe von Käthe und den Krücken ihren Besuch bis vor die Stationstür. Gerhard und Irene waren ebenfalls traurig und schmatzen ihrer Omi nasse Küsse auf den Mund. „Bis bald, tschüüüüüß“. „Ja meine Lieben, bis bald. Ich hab euch sehr sehr lieb!“ „Omi, Omi, lieb!“ Ach die kleine Irene war ein richtiger Wonneproppen. Sie waren schon lange nicht mehr zu sehen, da stand Moni immer noch da und winkte ihnen hinterher. Tränenüberströmt, wie ein Häufchen Elend.