Käthe stand pünktlich vor der Tür zur Station K1. Sie war es gewohnt, dass Ärzte, Therapeuten und Psychologen eigentlich nie pünktlich waren und nie wirklich Zeit hatten. Daher war sie ganz verwundert, dass in diesem Moment die Türe aufging und ein sympathischer Mann mit einem liebevollen Lächeln freundlich mit einer sanften Stimme sie begrüßte. „Servus und hallo, ich bin Dr. Marowski, sind Sie Käthe Häberle?“ „Ähm, nein, also doch. Ich heiße Käthe Feyerabend, aber ich bin die Tochter von Frau Häberle“ antwortete Käthe leise. „Kein Problem, du bist Käthe, ich bin der Hannes, gerne würde ich dich kennenlernen, komm doch einfach mit“. Gemeinsam gingen sie in sein Büro, von weitem konnte Käthe die Station sehen, fragte sich, wo genau ihre Mama wohl sei. Als könne Herr Marowski Gedanken lesen, nahm er Käthe bei der Hand und meinte: „Nach unserem Gespräch bringe ich dich zu deiner Mutter, wie findest du das?“ Ihr Gesicht hellte sich auf und sie lächelte schüchtern, „Das ist schön“, brachte sie nur heraus, dann kamen schon wieder die Tränen. Langsam begann sie von sich zu erzählen.
Mit Schutzanzug, Mundschutz und Handschuhen sah Käthe aus wie von einem anderen Stern. Nach dem ersten Kennenlernen brachte Hannes sie auf die Station, er verabschiedete sich , „Ich freue mich auf unseren nächsten Termin, damit ich noch viel mehr über dich erfahren kann“.
Eine freundliche Krankenschwester nahm Käthe in Empfang. Auf ihrem Namensschild stand Schwester Heidi, Käthe fand das sehr witzig und konnte wieder lächeln. Nachdem ihr Heidi die Schutzausrüstung gebracht hatte, musste sie in eine Art Schleuse zum Desinfizieren. Chefarzt Dr. Ortner legte sehr viel Wert darauf, dass in seiner Klinik kein gemeiner Keim überleben konnte. Eine Intensivschwester kam und brachte sie tatsächlich zu Moni. Sie erklärte ihr, sie dürfe gerne auf den Stuhl sitzen und Monis linke Hand berühren oder auch mit ihr reden, der Arzt würde gleich vorbeikommen.
Langsam und vorsichtig betrat Käthe den sterilen, kühlen Raum und starrte von weitem auf das Gesicht von Moni. Nie im Leben hätte sie diese Person als ihre Mutter wieder erkannt. Lediglich ihre schwarzen Prachtlocken erinnerten an Moni Häberle. Käthe war tief schockiert, „Oh mein Gott, wie furchtbar“, sagte sie leise zu sich selber. Sie traute sich keinen Schritt weiter, geschweige denn Monis Hand zu nehmen. Überall die Schläuche und Kabel, wie sollte daraus wieder ein lebendiger Mensch werden? Insgesamt drei Monitore überwachten die Funktionen, einer davon piepste schrill und ununterbrochen. Die linke Hand war das einzige Körperteil, welches unversehrt schien und unter der Decke hervorlugte. Alles andere war bandagiert, verkabelt, eingegipst, verpflastert oder mit Schläuchen versehen. Flüssigkeiten tropften rein und raus, am Bett hingen rechts und links Beutel dafür. Mehrere angebrachte Schrauben ragten aus dem rechten Bein heraus und waren mit einem Metallsteg verbunden, das Bein war oben bis unten knall orange eingefärbt. Der Clou war der Schlauch aus dem Schädel. Käthe spürte, wie es ihr warm wurde und überall kribbelte, plötzlich tanzten Punkte und kleine Sterne vor ihren Augen, sie musste blinzeln und wollte um Hilfe rufen. Gut, dass in diesem Moment der Chefarzt ins Zimmer kam, er konnte sie gerade noch rechtzeitig auffangen.
Dunkel
Nichts
Langsam kehrten die Lebensgeister von Käthe zurück und sie fand sich auf einem Stuhl im Schwesternzimmer wieder. Die Schutzausrüstung war weg, dafür hatte sie eine dampfende Suppe mit Brot vor sich stehen. Ihre Hände zitterten, sie sah in das besorgte Gesicht von Schwester Heidi. „Na, geht es wieder? Das muss erst verkraftet werden, gell. Ja, ich kann das verstehen.“ Käthe nickte und weinte wieder. Langsam und bedächtig schlürfte sie ihre Suppe und dachte an gar nichts mehr. Ihr Kopf war wie leergefegt, als hätte man ihre kompletten Gedanken gestohlen. Sie fühlte sich wie unter einer Dunstglocke. Heidi brachte das Mädchen auf ihr Zimmer, gab ihr eine leichte Beruhigungstablette. Sie verabschiedete sich mit den Worten: „Versuchen sie ein wenig zu schlafen, der Arzt wird nachher bei ihnen vorbeischauen.“ Doch Käthe konnte nicht mehr antworten, sie fiel in einen langen, tiefen und traumlosen Schlaf.
Uwe blockte den Kontakt zu Susan schon den ganzen Tag ab. Er wollte sie heute nicht sehen oder treffen, er wollte sie zappeln lassen. Dafür machte er sich Sorgen um Käthe. Nach der großen Visite und Besprechung am Nachmittag schaute er bei ihr vorbei. Er klopfte, doch nichts rührte sich in dem Zimmer. Vorsichtig öffnete er die Türe einen Spalt und sah, dass sie ruhig atmete und schlief. Er würde später noch einmal einen Arzt schicken. Er legte seine Visitenkarte mit der Mobilnummer auf den kleinen Tisch, dann ging er leise davon. Eva und ein weiterer Assistenzarzt würden die Schicht übernehmen. Käthe stand als Patientin ebenfalls auf der Liste.
Abends kam Georg vorbei und erkundigte sich nach Moni und Käthe. Thommy, der Pilot hatte eine Verabredung mit Uwe. Zu dritt gingen sie schließlich in ein nahe gelegenes Restaurant. Thommy kannte die Familie Reinhardt, bei denen die Häberles in Toblach die Ferienwohnung gemietet hatten, gut. Hier waren noch immer alle persönliche Dinge und das Auto der Verunglückten untergebracht. Nachdem die Polizei die Räume freigegeben hatte, wurden Koffer, Kleider und die restlichen Sachen ins Auto geladen. Langsam war es an der Zeit zu entscheiden, was damit passiert. Die Angehörigen hatten sich diesbezüglich noch nicht gemeldet oder geäußert. Uwe hatte die Idee, das Auto in der Tiefgarage der Klinik unterzustellen und gemeinsam mit Käthe wolle man die persönlichen Dinge, Kleider und Pflegeutensilien von Moni in einen Schrank unterbringen. Thommy hatte sich bereit erklärt, das Auto zu überführen. Er würde es kommenden Mittwoch bringen.
Thommy und Uwe kannten sich von früher und waren richtig gute Kumpels. Sein Freund erzählte von Frau und Kind und Uwe berichtete, wie schlecht es mit Susan lief. Sie tranken gemeinsam eine Flasche Rotwein. Georg verabschiedete sich mit der Begründung, er müsse dringend einkaufen. Am Mittwoch würde er wieder kommen, denn Georg betreute noch drei seiner früheren Patienten. Langzeit-Komapatienten um genauer zu sein. Mindestens einmal in der Woche war er nach wie vor in der Klinik, er hatte sogar noch sein eigenes Arztzimmer. Rita hatte sich ein bestimmtes Parfum gewünscht, da die Läden gleich schließen würden, musste er sich jetzt beeilen.
Als die Freunde alleine waren, sprach Thommy seine Befürchtung laut aus, „Uwe, ich glaube da ist was im Busch. Das mit Susan, da stimmt doch was ganz gewaltiges nicht. Sei auf der Hut!“ Sie bestellten noch eine zweite Flasche Wein und redeten über Heimat, Unfälle und auch über das Haus am Achensee, welches Uwe verkaufen oder vermieten wollte. Nach einer dritten Flasche Wein war klar, dass Thommy über Nacht bleiben musste. Kurz vor Mitternacht sah man die beiden in Richtung Klinik schwanken, man hörte auch leises Kichern.