Victor war dabei seine zwei Teams zusammenzustellen. Sie hatten das Glück, genug Mitarbeiter und Angestellte zu haben. Jede Stelle wurde doppelt besetzt, so gab es immer ausreichend Fachpersonal in Rufbereitschaft oder direkt vor Ort. Georg und Uwe Ortner hatten ein wunderbar ausgearbeitetes Konzept für ihre Privatklinik. Die notwendigen Gelder kamen zum Ersten von einer Stiftung für Unfallopfer und Koma-Patienten, welche Georg ins Leben gerufen hatte. Zum Zweiten vom Staat, der dafür sorgte, dass diese Privatklinik für Politiker und Staatsmitarbeiter ein abgeschotteter Bereich war, ohne Presse und Neugierige. Ein Ort, an denen auch sie im Notfall medizinisch versorgt werden können.
Peter, ein weiterer Oberarzt war sichtlich nervös und ständig mit seinem Smartphone beschäftigt. „Was ist los, Peter? Du scheinst mir nicht bei der Sache zu sein, morgen kommt der Chef wieder, dann bekommst du deine freien Tage. Wir brauchen dich heute!“ Versuchte Victor seinen Kollegen aufzumuntern. Beide hatten harte Wochen hinter sich und waren urlaubsreif. „Ja, ich weiß Victor, es ist nichts. Alles ok. Ich, ich bin nur etwas müde.“ Aber Victor sah seinem Kollegen an. dass er ihn anlog.
Die Klinik lag am Stadtrand von Innsbruck. Von hier hatte man einen wunderschönen Blick auf den Berg Patscherkofel und auf die Sprungschanze Bergisel. Victor fuhr mit Maria, der Stationsschwester von K1, mit dem Aufzug Richtung Dach und Helikopterlandestelle. Es kam öfters vor, dass Chefarzt Dr. Uwe Ortner Unfallopfer von weither bei sich aufnahm, da seine Klinik, die beiden großartigen Teams und vor allem sein Können als Gehirnchirurg in dieser Gegend einzigartig waren. Die Abrechnung mit den Krankenkassen war nie ein Problem. Viele Patienten hatten eine Zusatz-Unfallversicherung oder/und Urlaubsversicherung. Nach der Erstversorgung und einer OP wurden einige der Verunglückten wieder in andere Krankenhäuser verlegt oder in die Heimat zurückgebracht. Victor sah auf seine Uhr, inzwischen war es kurz vor 21.00 Uhr. Von weitem hörten sie den Hubschrauber.
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Die Bergung der beiden verletzten Wanderer gestaltete sich schwierig, war das Gelände doch sehr abschüssig und ausgesetzt. Zwei Bergretter seilten sich von dem kleinen Pfad herab und der Notarzt wurde per Seil aus dem Helikopter zu den Verletzten herabgelassen. Sein Assistent hing neben ihm am anderen Seil. Auf der kleinen Mulde war nur Platz für eine weitere Person, so dass eine gute Erstversorgung unmöglich war. Sie versuchten zuerst die weibliche Verunglückte auf eine Trage, welche ebenfalls abgeseilt wurde, zu lagern, um sie so zu einer flachen Stelle zu transportieren. Dazu kam die Erkenntnis, dass es sich hier um zwei große, kräftige Menschen handelte, die einiges auf die Waage brachten.
Inzwischen war es dunkel geworden und im Scheinwerferlicht war die Bergung noch schwieriger. Nach einer Stunde hatten sie es dennoch geschafft und beide Personen waren oben auf dem flachen Gelände des Monte Pianos auf Tragen gebettet und konnten einigermaßen erstversorgt werden. Sie hatten einen weiteren Hubschrauber angefordert, denn die männliche Person musste separat transportiert werden. Für ihn sah es gar nicht gut aus, er atmete nur noch schwach und hatte viel Blut verloren.
Die Stöcke rührten die Retter nicht an, sie steckten noch in seinem Rücken. Sie hatten Herbert seitlich gelagert, lediglich dicke Tücher wurden behutsam um die große Wunde gelegt. Aus seiner Gesäßtasche lugte der Geldbeutel heraus und ein Assistent kümmerte sich darum, den Ausweis zu sichten, um das Unfallopfer zu identifizieren. Der Unfall konnte nun bei der Polizei mit Namen gemeldet werden. Der Arzt legte dem Verunfallten einen Zugang, prüfte Blutdruck und Puls aber sein sehr ernstes Gesicht verriet nichts Gutes. Sie verluden ihn als Erstes in den Helikopter und drückten ihm die Daumen.
Moni hatte einen riesigen Bluterguss um die Augen, was typisch war für einen Felsenbeinlängsbruch, einem Schädel-Hirn-Trauma. Aus ihrem Ohr sickerte etwas Blut. Monis rechte Körperseite war sehr ihn Mitleidenschaft gezogen worden. Der Fuß stand rechtwinklig nach außen, auch Oberarm und Ellenbogen waren dick und geschwollen. Zusätzlich war die Haut an manchen Stellen von der Rutschpartie aufgeschürft und schmutzig. Das ganze Gesicht war mit kleinen Steinchen verklebt. Ein schrecklicher Anblick. Sie war bewusstlos, aber sie atmete.
Die Bergretter konnten keine größeren, offenen Wunden entdecken. Hatte sie etwa Glück bei diesem großen Unfall? Ihr Herz schlug kräftig und das gab der Rettungsmannschaft Zuversicht. Moni wurde mit Sauerstoff und einer Infusion versorgt, der ganze Körper wurde in eine Art Luftkissen gesteckt und eine dicke Rettungsdecke sollte ein Auskühlen verhindern. Der zweite Hubschrauber war inzwischen gelandet und auch Moni konnte ins Krankenhaus geflogen werden. Die Rettungstruppe gratulierten sich selber und begannen mit den Aufräumarbeiten. Später würden sie noch zusammensitzen, gemeinsam essen und trinken, über das Erlebte sprechen, versuchen neue Kraft zu tanken, damit sie weiterhin Menschenleben retten könnten. Die ganze Angelegenheit würde bis in die frühen Morgenstunden dauern. Per Satellit blieben sie mit Thommy, dem Pilot, in Verbindung.
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Georg schenkte seinem Sohn noch einen weiteren Whiskey ein, sie tranken diesen stumm und schauten in Richtung See. Es war inzwischen dunkel geworden, Frank Lauterbach gesellte sich zu den beiden, sie sprachen über den Unfall und das Krankenhaus. Uwe verabschiedete sich früh mit der Begründung, dass er am nächsten Tag fit und ausgeschlafen zur Klinik wollte. Susan aber wollte noch bleiben, es war ihm inzwischen egal. Georg begleitete seinen Sohn ins Haus, es waren nur ein paar Meter. Uwe hatte ein Gästezimmer und Georg wollte über Nacht bleiben, um gemeinsam mit seinem Sohn am nächsten Tag in die Klinik zu fahren.
Sie beschlossen, dass Uwe seine nächsten freien Tage auf dem Hof in Montan verbringen würde, das ruhige Dorfleben und die schöne Landschaft taten ihm immer gut und die gewünschte Erholung trat ruckzuck ein. Vor allem würde er seine Nichte und seinen Neffen endlich wieder sehen können, denn Uwes Schwester Tina wohnte mit ihrer Familie auf dem Nachbarhof. Die beiden verstanden sich richtig gut und Uwe war dankbar, eine so wundervolle Familie zu haben. Einzig und allein seine Mutter fehlte ihm, diese war leider vor ein paar Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben. Zwei Ärzte in der Familie und niemand konnte seiner armen Mutter helfen.
Es war inzwischen 23.00 Uhr, Uwe nahm sein Telefon mit ins Schlafzimmer, denn er erwartete eine Meldung von Victor.
Susan und die anderen Frauen betranken sich und sangen in feucht-fröhlicher Stimmung lustige Lieder. Irgendwann in der Nacht taumelte sie zurück ins traute Heim und schrieb endlich eine Antwort: Ich warte auf dich mein Hengst. Ich will endlich wieder beglückt werden von dir, ich will dich!!! Danach plumpste sie auf die Couch und schlief sofort ein.