Olga und Rita stampften durch den Schnee Richtung Dorf und Kirche. Sie wollten sich nicht fahren lassen, denn Rita war immer noch sauer auf Georg. Käthe hatte Olga versprochen am nächsten Sonntag endlich mit ihr zur Messe zu gehen. Sie würde das Wochenende in Montan verbringen. Das Mädchen freute sich unheimlich, vielleicht würde es zum Gespräch mit Stefan kommen? Alleine würde sie sich das niemals trauen. Georg war zum Frühstück bei Tina eingeladen, die beiden hatten etwas zu besprechen. Ein Geheimnis? War deswegen Rita sauer? Olga sah Max mit den Kindern draußen bei den Pferden, auch die Tiere mochten den Schnee.
Als Georg mit Tina alleine war, sprudelte es aus ihm heraus. „Ich mach mir ernsthafte Sorgen um Uwe. Er arbeitet zu viel, er trinkt zu viel und noch dazu sitzt er abends bei dieser Frau Häberle, also bei Moni im Bett“. Tina lachte herzhaft, „Das hört sich an wie bei einem Rosamunde Pilcher Film.“
„Kannst du mal mit ihm reden?“ „Ja klar, ich werde es mir diese Woche einrichten. Ich kümmere mich um mein Brüderchen“. Sie gab ihrem Pa einen Kuss auf die Wange. „Das wird schon alles gut werden, ja?“
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Uwe starrte auf den Brief, den er unter seiner Tür fand. In großen Buchstaben stand VON SUSAN AN UWE drauf. Auch das noch. Er nahm ihn an sich und steckte ihn in seine Manteltasche. Dann öffnete sich eine Flasche Bier. Nach dem Duschen zog er einen bequemen Trainingsanzug an und schlief zwei Stunden auf der Couch. Durch den Klingelton seines Telefons wurde er wach. Blinzelnd erkannte er auf dem Display die Worte Pa ruft an.
Aber auf ihn hatte er überhaupt keine Lust. Nicht jetzt.
Er zog sich den Arztkittel über und ging zurück auf seine Station. Inzwischen waren alle Untersuchungsergebnisse von Moni da. Er war spät dran und konnte nur hoffen, dass sie noch wach war.
„Guten Abend“, er hatte Glück, sie hatte das TV-Gerät an. In der Flimmerkiste zeigten sie eine Doku über den Watzmann. „Na, wie gehts dir meine Liebe? Laut dem Laborbericht und den anderen Ergebnissen müsste es dir soweit ganz ordentlich gehen.“ Mit einigen Blättern in der Hand setzte er sich aufs Bett. Moni drehte sich zu ihm, da erst sah er ihr tränenüberströmtes Gesicht. Sie verbarg es an seiner Brust und schluchzte laut los.
Er schloss die Augen, schluckte schwer, dabei nahm er sie zärtlich in die Arme. Er fragte nichts, er wollte die Antwort nicht hören. Nach wenigen Minuten hatte sie sich beruhigt und entschuldigte sich. „Sorry, es waren turbulente Tage, auch emotional.“ Uwe nickte, er dachte an den Brief in seiner Tasche.
Um in ihrer Nähe zu sein, schlief er in dieser Nacht auf der schmalen Pritsche in seinem Arztzimmer.
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Tim, Axel und Lukas waren fertig und betrachteten den neu angelegten Garten sowie die Terrasse. Opa Adolf schaute stolz vom Balkon auf seine Enkel. Sie hatten die neue Hecke aus Kirschlorbeer und Photinia eingepflanzt. Die Terrassenrenovierung war komplett erfolgreich abgeschlossen, die Gartenumgestaltung vollbracht. Klara hatte alle Zimmer mitsamt den Fenstern geputzt. In der Garage hatten sie aufgeräumt, die Pedelecs waren bis zur nächsten Saison eingepackt. Was fehlte, war Herberts Auto. Das hatten die Jungs verkauft, damit die Erinnerungen an ihn nicht so schlimm waren. Sein Grab war für den bevorstehenden Winter gerichtet und sehr schön bepflanzt.
Eine Freundin brachte ein großes Plakat mit Girlanden, Luftballons und Luftschlangen vorbei. In verschnörkelten Schriftzügen stand Herzlich willkommen zurück. Egal wann Monis Entlassung sein würde, sie waren bereit und freuten sehr auf Herberts Frau.
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Der große Tag war gekommen. Moni wurde gleich nach dem Frühstück von einem der Assistenzärzte von Gips und Schiene befreit. Sie hatte sich so gefreut, aber jetzt fühlte sich alles eher seltsam an. Ganz leicht, dünn fast zerbrechlich, waren Arm und Bein. Noch dazu hatte sie Schmerzen beim Bewegen. Sie war furchtbar ängstlich, fühlte sich unsicher. Die Physiotherapeutin zeigte ihr verschiedene Haltungen für Arm und Ellenbogen. Anschließend legte sie ihr eine Schlinge um. „Wenn der Arm zu schwer wird, dann bitte immer wieder entlasten, ok?“ Um die große Narbe am Bein wünschte sich Moni wieder einen Verband. „Sieht aus wie beim Frankenstein, da wird es einem ja ganz schlecht“, maulte sie. Mit den Spezialschuhen und den Krücken konnte sie inzwischen täglich längere Strecken bewältigen. Brav zeigte sie der Dame ihre Übungen. Immer wieder wurde sie dabei korrigiert. „Bitte einen geraden Rücken, Frau Häberle! Aufrecht gehen!“ „Ja, ja, Frau Oberfeldwebel“, murmelte sie genervt.
Als Moni endlich alleine in ihrem Zimmer war, ordnete sie die Sachen auf ihrem Tisch, sortierte die Geschenke und rief in der Wäscherei an. Sie vermisste einige ihrer Kleidungsstücke. Den Karton mit dem Wein aus den eigenen Weinbergen verstaute sie wegen Platzmangel unter dem Bett. Inzwischen hatte sie drei Taschen und einen Korb mit Wolle, Stricknadeln und sämtlichen Anleitungen und Hefte von Uwe. In Ruhe blätterte sie ein Trachten-Strickheft durch. Sie suchte nach einem typischen Innsbrucker Muster oder einer Tracht, die man regional trägt. Nebenher lutsche sie die beiden letzten Trüffelpralinen.
Sie zuckte zusammen, kniff die Augen zu und fuhr sich mit der Hand über die Schläfe. Immer wieder diese Kopfschmerzattacken. Schade, dass Uwe dafür keinen Grund fand.
Nach ihrem Termin bei Dr. Marowski schaute Käthe bei ihrer Mutter vorbei. Beim gemeinsamen Mittagessen in der Kantine erzählte sie von ihrem stressigen Wochenplan. „Mama, bitte sei nicht sauer oder traurig. Kommendes Wochenende bleib ich endlich bei Olga in Montan. Ich habe es ihr schon so lange versprochen.“ „Ja meine Süße, das ist doch völlig ok. Wir können ja telefonieren. Wie war dein Termin heute?“ „Echt super, Dr. Marowski versteht mich total und ich kann ihm so vieles erzählen. Er hört mir zu und interessiert sich für mich. In echt!“ Moni freute sich, sah das Blitzen in Käthes Augen, das Strahlen in ihrem süßen Gesicht. „Das ist so wunderbar!“ Dann nahmen sich die beiden liebevoll und lange in den Arm. Fröhlich verabschiedete sich Käthe.
Uwe hatte wieder viele Gespräche mit Angehörigen hinter sich. Zwei der Neuzugänge konnten verlegt werden. Um den Mann mit der Hirnblutung stand es nach wie vor äußerst kritisch. Erst als er die Visite mit Schwester Heidi beendet hatte, stattete er einen Besuch bei Moni ab. Auf dem Bett hatte sie viele Anleitungshefte ausgelegt, ein Wirrwarr aus Wollknäuel und Stricknadeln, dazwischen saß sie aufgeregt mit roten Wangen. „Hi, stell dir vor, ich hab alles gefunden. Schau mal, solche Socken werd ich dir stricken!“ Uwe schmunzelte. „Oh ich bekomme gestrickte Socken? Das ist ja wunderbar. Dann kann der Winter kommen.“ Er zwinkerte ihr lächelnd zu, er liebte ihre unbeschwerte, offene und herzliche Art über alles.
Sein Blick fiel auf die schwarzen kniehohen Stiefel mit dem Absatz, welche neben dem Stuhl standen. Sofort stellte er sich vor, wie Moni damit aussehen würde. Doch gleichzeitig wusste er, dass die Stiefel diesen Winter nicht zum Einsatz kommen würden.
Es klopfte an der Tür, herein kam eine Mitarbeiterin der Hauswirtschaft und brachte Moni den gewünschten Wäschekorb. „Entschuldigung, der Korb stand etwas abseits, wir hatten ihn übersehen.“ „Vielen Dank, ach das ist doch nicht schlimm.“
Oben auf dem Stapel Wäsche erkannte Uwe einen schwarzen Spitzen-BH, daneben das passende Höschen. Nun wurden seine Wangen fleckig rot, schnell drehte er sich um. Moni blätterte vergnügt in den Anleitungen, fragte ihn nach Größe und Lieblingsfarbe. „Hä? Was?“
„Wegen den Socken“.
„Achso, ähm, 46 und naja am liebsten bunt.“
Moni gähnte, Uwe half ihr beim Aufräumen, damit sich seine Patientin im Bett ganz ausstrecken konnte. Jetzt untersuchte er Wunden, Pflaster, die Amputationsnarben, Arme und Beine. „Sieht alles gut aus, weiter so! Hast du dir die Prospekte mit den Möbeln schon angesehen?“ Moni schüttelte den Kopf, „Leider noch nicht.“ Er gab ihr eine Kopfschmerztablette für den Notfall. „Leider muss ich jetzt gehen. „Ok“, sie suchte seine Hand. Daraufhin nahm er sie liebevoll in den Arm.
Die Nähe zu Moni tat ihm unglaublich gut. Er spürte die Wärme und Kraft, die seinen Körper durchströmten. Für seine Erregung, die er ebenso spürte, schämte er sich heute nicht.
Bis weit nach Mitternacht saß der Chefarzt an seinem Computer und arbeitete seinen Schreibkram ab. Wie er das hasste. Von Heidi hatte er sich Schnapspralinen bringen lassen, die er allesamt schon gegessen hatte. Jetzt könnte er einen Whiskey vertragen. Jedoch war er zu müde, um in seine Wohnung zu gehen, er schlief wieder einmal auf der Pritsche im Arztzimmer.