Dr. Georg Ortner hatte sein letztes Gespräch mit den Angehörigen beendet, blickte auf die Uhr und ging rasch in das Arztzimmer seines Sohnes. „Uwe , ich schnapp mir jetzt die Kleine und dann fahren wir nach Montan, kommst du Samstag früh vorbei? Wir werden sehen wie alles wird. Und wegen Susan, bitte sei kein Narr, höre auf dein Bauchgefühl. Du kannst mich jederzeit anrufen.“ Uwe schaute seinen Vater lange an, „Ja ist gut, und danke Pa, für alles!“ Die beiden Männer nahmen sich in den Arm, verabschiedeten sich und kurze Zeit später saß Käthe mit ihrem kompletten Gepäck bei Georg im Wagen. Auf ihrem Schoß thronte der Klarinettenkoffer, Georg hatte ihr versprochen, dass es auf dem gesamten Hof niemanden stören würde, sie könne bei Tag und Nacht üben und spielen.
Während der Fahrt durch die wunderschöne Landschaft meldete sich Tamara. Ohne zu fragen, wie es Käthe ginge legte diese gleich los: „Hey manno, warum bist du so weit weg? Ich brauch dich, mir geht es schlecht. Wann kommst du denn endlich wieder? Warum bist du nicht da?“ Käthe saß einfach nur in dem Sitz und starrte geradeaus, konnte kaum atmen, auch nichts antworten. Sie legte auf, um folgende Nachricht zu schreiben: Liebe Tamara, hiermit sehe ich unsere seltsame Beziehung als beendet. All die Jahre war ich mit dir sowieso nicht glücklich. Es ging immer nur um DICH – nie um mich. Lass mich ab jetzt bitte in Ruhe, ICH versuche gerade ein neues Leben zu beginnen. Es wird ohne dich stattfinden. Ich wünsche dir alles Gute. Gruß Käthe.
Ohne zu zögern, schickte Käthe die Nachricht ab und war froh, dass es auf dem Hof scheinbar keinen Empfang gab. Georg beobachtete seine Beifahrerin, fragte aber nichts. Käthe war ihm dankbar, sie mochte seine zurückhaltende Art. Vor allem liebte sie Ruhe und Harmonie. Es war kurz vor 18 Uhr als sie den Hof erreichten, noch war es hell und als Käthe aus dem Auto stieg, roch sie sofort die typische Landluft, hörte die Kühe im Stall und musste grinsen. „Na dann, auf gehts“, sagte sie mehr zu sich selbst, nahm all ihren Mut und das Gepäck zusammen und marschierte hinter Georg her. Da ging auch schon die Tür auf und heraus kam eine kleine, mollige Frau mit einem lieben und witzigen Gesicht, sie begrüßte Käthe herzlich und wollte ihr das Gepäck abnehmen. Dahinter stand verschüchtert ein rotbackiges, dürres Mädchen mit einem ganz schrägen, narbigen Gesicht, die Haare hatte sie zu einer sehr seltsamen Frisur gebunden. Sie reichte ihr vorsichtig die Hand.
Im ersten Moment mochte Käthe diese Olga nicht, sagte aber auch freundlich „Hallo“. Gemeinsam gingen sie in die große Wohnküche, hier duftete es nach Fleisch und Gemüse. Georg lachte über das ganze Gesicht und küsste seine Rita. „Ach, wie habe ich mich darauf gefreut. Käthe, setz dich zu uns, lass es dir schmecken.“ Nach dem Abendessen fragte Käthe, wo sie denn rauchen könne. Georg meinte lachend, dass es draußen wirklich genug Platz gäbe.
Neben dem Stall stand ein Mann. Käthe rauchte stumm und sagte nichts. Der Mann rauchte ebenfalls und sagte auch nichts. Käthe hob zur Begrüßung langsam ihre Hand, der Mann erwiderte diesen Gruß. „I bin dr Franz“, hörte sie ihn murmeln. Käthe nickte und murmelte daraufhin ihren Namen, ging zurück ins Haus und ließ sich ihr neues Zuhause zeigen. Es war im ersten Stock gleich neben Olgas Zimmer. Aaron wartete vor der Tür, er bellte freudig, beschnupperte neugierig den Gast und Käthe streichelte den Hund. Beide liebten sich auf Anhieb, obwohl Aaron eigentlich sehr wählerisch war.
Georg und Rita, saßen noch am Tisch, freuten sich aufeinander und kuschelten. Olga war in der Küche und räumte auf. Das Mädchen aus der Ukraine konnte rauchende Menschen nicht leiden, überhaupt nicht! Sie war enttäuscht. Ihr Vater, der sie so furchtbar entstellt hat mit seinen Schlägen und Tritten, hatte immer eine Zigarette im Mund. Sie hasste Raucher. Igitt. Dieser eklige Geruch.
In dem Gästezimmer entdeckte Käthe einen kleinen Blumenstrauß, einen Obstkorb, Willkommenspralinen, Saft und Wasser, daneben einen handgeschrieben Zettel: Herzlich willkommen auf dem Huber Hof – wir wünschen dir einen schönen Aufenthalt und eine gute Zeit. Wenn du etwas brauchst, gebe uns Bescheid. Rita, Olga und Georg.
Käthe fühlte sich wohl und legte sich mitsamt ihren Klamotten auf das Bett, alles sah sehr sauber und gemütlich aus. Wie auf einem Bauernhof eben. Das würde ihrer Mama gefallen. Und wie! Sie überlegte, was sie heute noch alles tun könnte, jedoch schlief sie einfach ein.
***
Uta und Otto Nasser hatten Lina und die Kinder besucht. Uta bot ihre Hilfe an. Lina ging es seelisch gar nicht gut. Sie lag nur im Bett, redete nicht viel und aß nichts. Sie war dankbar über Utas Angebot, doch hatte Paul bereits die Kleinen abgeholt. Er würde sie am Wochenende bei sich haben, so konnten alle gemeinsam nach Innsbruck fahren. Flo musste auf dem Hof helfen. Sie hatten über vierzig Milchkühe und jede Menge Kälber. Auch die anderen Tiere musste er nun selber versorgen, Lina konnte nicht aufstehen. Die Stimmung war sehr schlecht, alle waren traurig und hatten miese Laune.
Auf der Rückfahrt versuchte Uta mal wieder vergeblich Käthe zu erreichen. Das ärgerte sie. „Also wirklich, da kümmere ich mich jahrelang um das Mädchen und jetzt will sie nichts von mir wissen“. Schon wieder kamen ihr die Tränen. „Ach komm, Käthe muss viel durchmachen, sei nicht böse auf sie. Es geht ihr bestimmt gut. Mach dir keine Sorgen“. Zur Aufmunterung, auch zur Ablenkung fuhr Otto in das große Einkaufscenter. Sie bummelten durch die Läden, Uta kaufte sich schöne Schuhe und zum Abschluss gab es noch ein großes Eis.
Zuhause angekommen meldete sich Dr. Uwe Ortner zurück, denn Uta hatte ihm drei Mal auf die Mailbox gesprochen. Er gab den Angehörigen Bescheid, dass Moni noch nicht aufgewacht sei, soweit aber alles in Ordnung wäre, danach erklärte er ihnen, dass Käthe so eine Art Urlaub auf dem Bauernhof machen würde. Er gab die Festnetznummer vom Huber Hof und konnte Uta tatsächlich beruhigen, indem er all ihre Fragen beantwortete. Diese Geduld hatte er von seinem Vater. Zum Schluss bat er Uta, dass sie weitere Gegenstände wie Bilder, persönliche Erinnerungen oder ähnliches, auch mehr Kleidungsstücke von Moni mit nach Innsbruck bringen sollen. Sie kündigten sich auf Samstag Nachmittag an. Alle erhofften sich, Moni würde bis dahin aufgewacht sein.
Der Unfall war nun genau eine Woche her.