Frisch gewaschen und nach Parfüm duftend saß Moni in ihrem Bett und zappte aufgeregt durch die Programme. Sie konnte nur hoffen, dass ihre Enkel sie zwischen all den Verbänden und dem noch immer geschwollenen Gesicht überhaupt noch erkennen würden. Unter den Augen war ihre Haut grün und gelb verfärbt. Das sah nicht wirklich gesund und fröhlich aus. Da hörte Moni schon die hohen Stimmchen und die Tür wurde aufgerissen. Mit lautem Geplapper und Gelächter kamen Lina und die Kinder hereingetrampelt. „Vorsicht, seid doch vorsichtig!“ Lina ermahnte die Kleinen, doch sie sprangen zu ihrer Oma aufs Bett und drückten ihr wilde und feuchte Küsse ins Gesicht. „Omi, Omi, Omi!“ Gerhard freute sich übermäßig und strahlte seine Oma an. Lina hatte ihm eine moderne Frisur schneiden lassen. Seine blonden Haare waren kurz geschoren, an den Seiten sogar abrasiert. Nur vorne am Pony kam seine Lockenpracht zum Vorschein. Durch die großen blauen Augen und den ewig langen Wimpern sah man ihm jetzt schon an, dass aus ihm ein attraktiver Mann werden würde.
Irene lächelte scheu und deutete auf die Bandagen und dicke Verbände und fragte ganz laut mit ihrer niedlichen Kinderstimme: „Aua? Oma aua?“ Dann verzog sie weinerlich das Gesicht. Moni nahm die Süße in den Arm und streichelte mit der gesunden Hand über ihre glatte Kinderwange. „Ja, mein Schatz. Oma hat aua, aber bald ist es wieder gut. Oma muss nicht weinen. Nicht so schlimm!“ Irene hatte ebenfalls die Lockenpracht von Moni vererbt bekommen. Liebevoll hatte Lina ihr die Haare zu langen Zöpfen geflochten. Die Kinder waren einfach zuckersüß.
Freudestrahlend überreichte Gerhard seiner Omi die selbst gemalten Bilder und die Basteleien, die er im Kindergarten angefertigt hatte. Irene legte den kleinen Blumenstrauß auf Monis verletztes Bein. Die Kinder sahen sich im Zimmer um. „Warum darf Oma schon morgens fernsehen? Darf ich auch?“ „Ich Durscht, ich Durscht“, Irene sah die große bunte Gute-Laune-Tasse und wollte daraus den Tee trinken. Obwohl die Kleine bald drei Jahre alt wurde, hatte sie noch Sprachschwierigkeiten, sie hinkte ein wenig hinterher. Lina erzählte von der Heimat und ihren Auftritten. So viel Trubel und Hektik war Moni nicht mehr gewöhnt und bekam leichte Kopfschmerzen.
Es klopfte an der Tür und Uwe kam hinzu. „Hallo, ist der wichtige Besuch aus Deutschland angekommen? Das ist schön! Da hat sich die Oma aber gefreut, oder?“ Die Kleinen lächelten und nickten aufgeregt. Vertrauensvoll betrachteten sie den Mann in seinem langen weißen Mantel und gaben ihm zur Begrüßung brav die Hand. Uwe hatte sein Stethoskop um den Hals und eine Infusionsflasche in der Manteltasche. Er ging in die Hocke, zog aus der anderen Tasche zwei Überraschungseier und übergab sie feierlich den Kindern. „Ich heiße Uwe und bin der Arzt. Ich mach eure Oma wieder gesund“. „Juchuu, das ist toll“ Gerhard hüpfte fröhlich auf einem Bein durch den Raum und Irene setzte sich auf Linas Schoß, öffnete ihr Ei und schob sich die Schokolade in den Mund.
Nach knapp zwei Stunden verabschiedete sich der Besuch und Moni schlief sofort erschöpft ein. Lina und die Kinder gingen gemeinsam mit Georg und Uwe in die Kantine zum Mittagessen. Für die Kleinen gab es Nudeln mit Tomatensoße und Apfelsaftschorle, sie hatten richtig Hunger und waren zufrieden. Während die Ärzte eine Besprechung hatte, wartete Lina mit den Kindern draußen auf dem Spielplatz. Es war ihr jetzt schon langweilig. Auf der Rückfahrt ins Dorf hielten sie am Montana-Center an. Georg kaufte für Monis Enkel, Lina, Käthe und Olga gefütterte Gummistiefel, warme Hausschuhe und dicke Mäntel. Außerdem kaufte Lina einige Mitbringsel für Flo.
***
Käthe hatte an diesem Morgen schon den zweiten Kuchen im Ofen. Olga spülte das Geschirr und räumte alles wieder auf. „Du, ich wollte dich fragen, kommst du heute Abend mit in die Kirche? Stefan, der neue Orgelspieler gibt ein kleines Konzert. Es nennt sich Musik und Gedanken zur Nacht. Es dauert nur eine halbe Stunde.“ Käthe überlegte eine Weile und nickte. „Ok, das machen wir. Meinst du Georg fährt uns?“ „Wir müssen nur Rita überreden mitzukommen, dann fährt es uns auf jeden Fall!“ Die Mädels kicherten und machten sich auf die Suche nach ihr. Dann schnappte sich Käthe ihre Zigaretten und ging hinaus Richtung Stall.
Von weitem sah sie eine Frau, die mit ihrem Fahrrad auf den Hof fuhr. Das war bestimmt Elsbeth, Käthe hatte schon einiges von ihr gehört, doch bis jetzt noch nicht kennengelernt. Sie begrüßten sich freundlich. „Servus, ich bin Käthe“.
Elsbeth holte tief Luft und fing an zu erzählen: „ Servus, ich heiße Elsbeth. Ich werde dir zeigen wie man Ziegenkäse herstellt.“ Käthe nickte und hörte gespannt zu.
„Ich wohne auf der anderen Seite des Dorfes, du kannst mich gerne jederzeit besuchen. Ich habe einen Hund, ein paar Hühner und drei Ziegen. Durch meine ehrenamtliche Tätigkeit in der Kirche waren Rita und ich schon seit einigen Jahren Freundinnen geworden. Als Bauersfrau hatte ich ein schweres Leben. Um über die Runden zu kommen habe ich den Hof mit den Kühen fast alleine geführt, während mein Mann Kuno als Knecht auf einem großen Hof dazu verdienen musste. Kuno ist leider vor ein paar Jahren nach langer schwerer Krankheit gestorben. Kurz zuvor haben wir das alte Bauernhaus renoviert und barrierefrei umgebaut. Dazu mussten wir eine stattliche Hypothek aufnehmen. Nach dem Tod meines Mannes habe ich die beiden großen Weiden und das Vieh verkaufen müssen, um weiterhin im Haus wohnen zu bleiben. Mein einziger Sohn Moritz ist nach dem Studium nach Wien gezogen. Zwei Mal im Jahr verbringt er einige Tage hier in Montan. Ich habe nur eine spärliche Rente, welche zum Leben leider nicht ausreicht. Aber mein Moritz unterstützt mich und überweist mir monatlich 250 €.“
Käthe staunte nicht schlecht, wie redselig die ältere, für sie doch noch fremde Dame war. Wahrscheinlich fühlte sie sich sehr einsam. „Ähm, ja, das, ähm, das tut mir echt leid.“ „Ach Mädchen, entschuldige, wenn ich dir mein Leid klage. Ich wollte nur kurz erklären, warum ich so gerne hier arbeite und aushelfe“. „Kein Problem“, Käthe lächelte und spazierte langsam zu Franz zurück. Rita und Olga standen schon an der Türe und nahmen Elsbeth in Empfang. Nach einer weiteren Zigarette ging Käthe mit Aaron hoch in ihr Zimmer. Die Handwerker machten ihre Mittagspause und sie wollte diese Ruhe ausnutzen, um auf der Klarinette einige Stücke zu spielen. Spätestens um drei waren alle bei Tina und Max eingeladen, um gemeinsam mit Lina und den Kindern den Nachmittag zu verbringen.