In der schwäbischen Heimat war der Herbst noch nicht so weit fortgeschritten wie in den Bergen. Herberts Söhne hatten oft im Garten gearbeitet. Adolf war sehr dankbar, seine alten Knochen konnten die schwere Arbeit nicht mehr verrichten. Stattdessen stand er auf dem Balkon und kommandierte die Jungs von oben. Vor allem das Pflanzbeet und die Terrasse am Haus hatten sie neu gestaltet, ganz nach den Plänen von Moni. Das Projekt hatten sie sich für die Zeit nach dem Urlaub vorgenommen und sogar schon einen Pflanzplan erstellt. Herbert hatte die neuen Keramikplatten und all das benötigte Material längst gekauft und in der Garage gelagert. Eine neue Markise war auch schon ausgesucht. Die Männer des Hauses erwarteten Monis Rückkehr in ein paar Wochen und bis dahin sollte alles perfekt sein. Klara bekochte die fleißigen Helfer, langsam kehrte tatsächlich der Alltag zurück.
Uta und Otto hatten sich einen neuen Laptop gekauft, um ab jetzt mit Moni und auch mit Käthe per Video-Chat zu kommunizieren. Das hatten die Ärzte vorgeschlagen, damit sie nicht jedes Wochenende die lange Strecke fahren mussten. Uta vermisste ihre Nichte sehr und verstand es immer noch nicht. Wie konnte sie nur ihre Heimat freiwillig verlassen? Die Einrichtung hatte per Beschluss den Platz von Käthe gekündigt und freigegeben. Der Kostenträger, in diesem Fall das Landratsamt, hatte alle Zahlungen eingestellt, sogar Rückforderungen in Höhe von 2.000 € standen aus. Sollte sie bald Heimweh bekommen, so mussten alle Anträge neu gestellt und viele Formulare ausgefüllt werden.
Uta schüttelte den Kopf, „Ich kann es immer noch nicht fassen“. Otto versuchte zu beschwichtigen: „Sie ist eben noch jung, hat alle Zeit der Welt. Gleichzeitig möchte sie ihr Leben selbst bestimmen, auch wegen ihrer Krankheit. Ständig sagen ihr andere was sie wann zu tun hat! Lass sie doch!“ Uta blieb ruhig und sagte gar nichts mehr. In den vergangenen Wochen hatten sie deswegen immer wieder Streit gehabt. Sie spielte mit dem Gedanken, sich einen Hund anzuschaffen, damit hätte sie eine neue Aufgabe und wäre auch nicht mehr so einsam.
***
„Hi, mein lieber Onkel Doktor“. Moni grinste frech, ihre grünen Augen funkelten. „Schon lange nicht mehr gesehen.“ „Aber jetzt bin ich ja da“, Uwe grinste ebenfalls und nahm seine Patienten vorsichtig in den Arm. Moni fühlte sich immer sehr wohl, wenn sie seine Nähe spürte, es tat gut einem Menschen, einem Mann, so nah zu sein. Sie hielt ihn deshalb heute länger fest. Bei diesem zärtlichen Kuscheln hatte Uwe zum ersten Mal ein ganz anderes Gefühl. Es kribbelte nicht nur im Bauch. Er spürte eine leichte Erregung, sofort war ihm es peinlich. Tja, sein Körper erinnerte ihn daran, dass er schließlich ein Mann im besten Alter war. Langsam löste er sich aus der Umarmung und fuhr sich mit der Hand durch die Haare und übers Gesicht. Er spürte sein Herz pochen. „Na, wie war dein Wochenende?“ Moni lächelte noch immer, „Wirklich sehr schön, aber mit den Kleinen ist es ganz schön anstrengend“. Uwe nickte und stand auf. „Ja, das glaub ich gerne, aber es sind ja zwei ganz entzückende Enkelkinder, die du geschenkt bekommen hast.“
Vorsichtig löste er den Verband an der Amputation und begutachtete die Wunde. „Sieht richtig gut aus, hast du Schmerzen?“ Moni schüttelte den Kopf. „Nee, da ist nur so ein seltsamer Druck, kann man aber aushalten. Und was habt ihr Schönes gemacht in Toblach?“ Während Uwe nach Monis weiteren Verletzungen schaute, erzählte er vom Abend im Restaurant und von der Wanderung, dann fiel ihm plötzlich Frau Reinhardt ein. „Ach herrje, ich habe noch eine Überraschung für dich. Ich Dummerle habe es im Auto liegen lassen. Soll ich es gleich holen?“ „Das reicht doch auch morgen noch. Komm her, setz dich zu mir, bitte, erzähl mir noch ein wenig von Südtirol. Ich liebe es doch so sehr.“ Sie suchte nach seiner Hand und hielt sie ganz fest. Uwe setzte sich zu ihr aufs Bett wie immer und streichelte seine Patientin. Wie immer dauerte es nicht lange, bis Moni zufrieden einschlief.
Er hatte noch ein wenig Schreibkram fertigzustellen und hörte Musik von Monis Stick, als das Telefon klingelte. Es war Susan! Uwe erstarrte und spürte wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Eine große Wut stieg in ihm hoch, er schnaubte: „Was willst du?“ „Uwe, es tut mir leid. Du hast das nicht verdient, ich weiß. Ich möchte dir erklä...“
„Ach, halt bloß den Mund. Ich will nichts wissen. Bitte lass mich in endgültig in Ruhe.“ Damit legte er auf. Wie ein Tiger im Käfig stiefelte er in seinem Arztzimmer hin und her. Jetzt einen Whiskey, das war sein einziger Gedanke. Er überlegte, ob er in seiner Wohnung noch eine Flasche hatte. Aber sofort fiel ihm ein, dass er nur höchstens einen Rotwein hatte. Der Drang nach Alkohol raubte ihm beinahe den Verstand. Dann wählte er die Nummer seines Vaters, blickte dabei auf die Uhr und konnte nur hoffen, dass er ihn nicht weckte, schließlich war es schon spät. Doch Georg meldete sich schnell. Erleichtert redete sich der Chefarzt seinen Schmerz von der Seele. „Uwe, mach bitte keinen Quatsch, sie ist es nicht wert. Hörst du? Versprich es mir!“
Einigermaßen beruhigt bestellte er sich bei der Nachtschwester einen Pott Kaffee, danach stellte er sich unter die eiskalte Dusche. Auf seiner Nachtrunde schaute er noch einmal bei Moni vorbei. Sie schlief tief und fest, der Anblick hatte etwas Beruhigendes und Friedliches. Er hatte wieder das Gefühl, das Schicksal hatte ihm diese Frau geschickt.
Tränen liefen ihm übers Gesicht, als ihm bewusste wurde, wie absurd die Tatsache war, dass er im Begriff war sich zu verlieben.
***
An diesem Abend planten die Mädels in Montan ein kleines Abschiedsfest für kommenden Mittwoch. Die Kinder schliefen bereits, sie saßen mit Tina und Max draußen bei den Hunden und schauten ihnen bei ihren wilden, aber noch tollpatschigen Spielen und Raufereien zu. Ein Lagerfeuer würden sie gerne machen, Wurst und Stockbrot grillen und gemeinsam mit den Kleinen Lieder singen. Olga und Lina erstellten eine Liste der Gäste. Käthe und Kim schrieben den Einkaufszettel, verabschiedeten sich früh und gingen fröhlich Hand in Hand zu Georg und Rita, um ihnen die Idee mitzuteilen. Außerdem freuten sie sich auf ihren ersten gemeinsamen Abend, dieser sollte ganz im Zeichen der Musik stehen. Kim hatte sogar ihre E-Gitarre mitgebracht.
Georg und Rita besprachen mit Franz die neue Arbeitswoche und was im Herbst alles zu tun sein wird. Sie erstellten ebenfalls einen Plan. Bei den Bauarbeiten gab es glücklicherweise keine Probleme oder gar Verzögerungen. „Georg denk dran, wir beginnen schon bald mit den ersten Vorbereitungen für den Weihnachtsmarkt“, da lachten die Männer laut. „Jetzt kommst du mit Weihnachten daher.“ „Wir werden Elsbeth fragen, sie wird dir bestimmt gerne helfen!“ Die beiden küssten sich und Franz verabschiedete sich für heute.