Auf Wellen getragen flog sie durch das dunkle Nichts. Ab und zu kamen die bekannten Blitze auf sie zu, sie lösten sich sofort auf, in dem Nebel, der das Nichts umgab. Schneller und immer schneller drehte sich der Wirbel aus Wasser, Watte und Wolken. Plötzlich hämmerte, klopfte und pochte es in dem Nichts, die Geräusche wurden immer lauter, es war nicht zu ertragen. Ihr Kopf drohte zu platzen, sie wollte ihn festhalten, sie würde ihn doch benötigen, oder? Ihre Gedanken und Gefühle waren im Rausch der Sinne, vor allem des Unerträglichen. Sie hatte das Gefühl zu fallen, in ein tiefes, heißes Loch. Da waren Dornen und Stacheln, überall.
Ein Meer von dicken spitzigen Gegenständen. Ihre Füße steckten fest, steckten in tausend Nadeln, dabei konnte sie Blut riechen, vor allem konnte sie nicht entfliehen. Hilfe! Der stumme Schrei verhallte im Nichts. Es wurde ihr so übel, dass sie darüber das Bewusstsein verlor, welches sie noch gar nicht gefunden hatte. Danach ließ sie sich mit den Wolken und Wellen durch das Nichts treiben, alles entfernte sich. Wie ein bunter Kreisel. Eigentlich wollte sie singen oder schreien, nichts davon hatte geklappt, irgendwann wurde das Klopfen wieder leiser.
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Käthe packte schon wieder ihren Rucksack. Morgen früh würde es nach Innsbruck gehen. Eigentlich gefiel ihr das ruhige Leben auf dem Hof, aber sie war gleichzeitig auch ein Stadtmensch. In der Menge vieler Leute fühlte sie sich lebendig. Ihr Vater hatte angerufen, sie hatten ein langes, sogar recht gutes Gespräch gehabt. Am Wochenende würden Uta und Klara kommen, sie freute sich schon sehr. Vor allem auf ihre Mami, natürlich auch auf das Date mit Kim. Nachdem sie alles vorbereitet hatte, ging sie hinunter zu Olga. Aaron lag müde in der großen Diele. Heute gab es das Abendessen auf dem Wagner-Hof, denn Max hatte Geburtstag.
Olga freute sich auf die Kinder, Käthe auf die Welpen und Rita auf einen harmonischen Abend in der Hof-Gemeinschaft. Franz blieb mit Aaron im Haus. Nur Georg war nirgends zu finden. Dieser saß in seinem Büro, hielt das Telefon in der Hand und starrte an die Wand. Er fühlte sich so hilflos, weil er nichts tun konnte. Der Schock saß tief. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet.
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Nachdem Uwe seinen Oberarzt Peter rausgeschmissen hatte, rannte er wie von Sinnen hinunter zum Fitnesscenter und gab Susan eine schallende Ohrfeige und verwies sie ebenfalls der Klinik. Dann brach er zusammen und weinte. Maria, die ihm gefolgt war, kniete sich dazu und nahm ihn tröstend in den Arm. Gut, dass zu dieser Zeit kein weiteres Personal in diesem Bereich war.
Ein paar Minuten später hatte er sich einigermaßen gesammelt. „Danke Maria, vielen Dank. Ich bin sehr froh, dass du da bist.“ Maria streichelte ihn so, wie es eine Mutter getan hätte. „Ich brauch jetzt einen Whiskey“, mit diesen Worten stand Chefarzt Dr. Uwe Ortner wieder vom Boden auf. Zog sich seinen Arztkittel zurecht, klopfte sich an Knien den imaginären Staub ab, zog den Rotz hoch, nahm Maria an die Hand und sie gingen zum Fahrstuhl zurück.
Plötzlich stand ein lächelnder Assistenzarzt vor ihm, er war ganz aufgeregt. „Herr Doktor, gut dass sie da sind. Frau Häberle, sie hat geblinzelt, sie hat die Augen aufgerissen.“ Seine Stimme überschlug sich.
„Chef, sie war kurz bei uns, Herz- und Kreislauf waren jedoch nicht stabil. Der Blutdruck schnellte hoch, er lag bei 180/110, ihr Puls raste, er lag bei über 140. Wir mussten starke Beruhigungsmittel verabreichen. Sie schläft jetzt wieder tief und fest“.
Ungläubig starrte Uwe den jungen Arzt an. „Was? Einen Moment bitte, ich komme gleich.“
Uwe ging in sein Arztzimmer, schenkte sich zitternd ein Glas Whiskey ein und trank es in einem Zug leer. Am Waschbecken hob er seinen Kopf unter den Wasserhahn, ließ sich eiskaltes Wasser übers Gesicht laufen. Ganz laut hörte man ihn brüllen. „Scheiße, scheiße, scheiße!“
Kaugummi kauend schlenderte er in Monis Krankenzimmer. Hier waren bereits Maria, Kim und der Assistenzarzt versammelt. Er erzählte dem Chefarzt nochmal in Ruhe, was geschehen war. Doch mehr wie nicken konnte dieser nicht. Kein Wort kam ihm über die Lippen. Er fühlte sich noch immer völlig zerstört.
Nachdem er einige Untersuchungen gemacht hatte, die Werte erneut überprüft hatte, wählte er die Nummer der Schwester Uta. Inzwischen saß er auf dem Stuhl neben Monis Bett. „Ja, hier Uta Nasser?“
„Hier Dr. Uwe Ortner“, mit nicht gewohnter, monotoner Stimme erklärte er Uta die aktuelle Situation. „Es tut mir leid, hier ist im Moment sehr viel los, deswegen muss ich gleich wieder auflegen. Bitte kommen Sie so früh wie möglich. Frau Häberle wird sich freuen, sie sollte nicht alleine sein, wenn sie aufwacht. „ Ja, ja natürlich, danke. Bis bald, vielen lieben Dank.“
Zurück in seinem Arbeitszimmer meldete er sich bei seinem Vater Georg. In kurzen Stichworten erfuhr dieser, was heute alles Geschehen war.
„Mein Gott, Junge, das tut mir so unendlich Leid für dich. Morgen früh sehen wir uns. Mach bitte keinen Quatsch, dieses Miststück ist es nicht wert. Gar nichts ist sie wert!“
Nach einem weiteren Glas Whiskey legte sich der Chefarzt auf seine Pritsche und versuchte, zur Ruhe zu kommen.
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Uta hüpfte fröhlich durch die Wohnung. Klara hatte mitgehört und weinte Freudentränen. Otto beruhigte die Frauen mit den Worten: „Langsam, langsam. Das sind nur die allerersten Zeichen. Die Aufwachphase kann sich noch ziemlich in die Länge ziehen.“ Für Uta war nur eins wichtig, ihre Schwester war aufgewacht. Das war der schönste Tag in ihrem Leben.
Das Telefon stand an diesem Abend nicht mehr still.
Freude überall.
Lina tanzte mit den Kindern durch die Wohnung, sie sangen lustige Lieder. Alle lachten und hatten endlich wieder ihren Spaß. „Ich will zu Omi. Wann dürfen wir Omi besuchen?“, fragte Gerhard mit seiner hohen Stimme. Dann sprangen die Kleinen durch das Zimmer und riefen fröhlich: „Omi! Omi! Omi!“