Auf dem Balkon der WG, der wahrlich fulminante Ausmaße hat, richtete ich einen kleinen Küchengarten ein. Einige Töpfe mit Tomatenpflänzchen, eine Zucchini, sogar Rosmarin fanden sich ein und Sonnenblumen rundeten das Ensemble ab.
Nun haben Tomaten, ob nun die Variante aufstrebend oder buschig, die unliebsame Angewohnheit, dass sie sich gerne neigen und ermattet sich danieder legen. In ihrer wilden Heimat, fern von menschlicher Umsorgung, dürfen sie das gerne tun, aber bitte schon gar nicht in meinem Garten, da muss es mit rechten Dingen zugehen, hier herrscht Zucht und Ordnung. Da kann sich nicht jede dahergewachsene, zum Glück nicht dahergelaufene, Tomatenranke in irgend eigene beliebige Richtung werfen und dann womöglich auch noch liegen bleiben, um sich dann ungezügelt hin und her zu ringeln.
Da die mitgelieferten Stäbchen schon längst nicht mehr ausreichend waren, keine Ahnung warum gerade bei mir die Pflanzen immer so wuchern, mussten längere Standhilfen her. So ging ich in den nächsten Baumarkt, um für meine Tomaten standesgemäße Rankhilfen in Form einer Tomatenpyramide oder Tomatenspirale käuflich zu erwerben. Welche Form es denn letztendlich würde, wollte ich von Ausstattung und Preis abhängig machen.
Im Baumarkt wurde ich auf vortreffliche Weise von einem jungen Mann bedient, der anfänglich nur eine Preisinformation ausfindig machen sollte, denn auch Baumärkte zeichnen sich dadurch aus, dass die Auszeichnung eher weniger ausgezeichnet ist. Er offerierte mir sämtliche Modelle, die an den unterschiedlichen Stellen des Geschäftes auslagen bzw. natürlich standen. Als ich mich für einen Artikel entschieden hatte, erwarb ich eine ausreichende Menge davon und fuhr wieder heim.
Zurück auf dem Balkon versah ich die ersten schwächelnden Tomaten mit in der Sonne glänzenden verzinkten Tomatenspiralen. Stolz betrachtete ich mein Werk und war schon voller Vorfreude auf die zu erwartende Ernte der köstlichen Paradeiser.
„Worüber freust du dich?“ Fragte meine Mitbewohnerin, ihr wisst schon, die Vollakademikerin.
„Da schau“, ich zeigte Richtung der Pflanzen.
Sie drehte sich in die angewiesene Richtung und betrachtete das wuchernde Grün in den Töpfen.
„Und?“ Vermutlich standen Fragezeichen in ihren Augen, die ich leider nicht sah, da ich mich hinter ihr befand.
„Menno“, erwiderte ich genervt, „du musst höher schauen.“
Wie zu erwarten erhob sie ihre Augen zum Herrn.
„Ist etwas mit der Decke unseres Balkons nicht in Ordnung?“ Wollte sie dann wissen.
„Nein. Es ist eher in Augenhöhe.“ Versuchte ich es erneut. Sah sie es tatsächlich nicht?
„Meine oder dein?“ Wollte sie, ganz Wissenschaftlerin, wissen.
Herrje, ich war der Verzweiflung nahe. Ok, ich bin halt eher ein Schrumpfgermane mit meinen 1,57 m, aber die Spiralen waren immerhin 1,80 m, somit überragten sie auch meine Mitbewohnerin, die konnte man doch nicht nicht-sehen. Oder doch?
„Die Tomaten haben nun Stangen“, erklärte ich dann.
Gebannt schaute sie in die Richtung, in der die erwähnten Stangen stehen mussten. Dann endlich hellte sich ihre Miene auf, Verstehen ersetzte die Planlosigkeit.
„Oh“, entwich es ihr entzückt, als wenn die Spiralen die Fähigkeit der Tarnung besäßen und sich nun bewusst dazu entschieden hätten, auch für Akademiker sichtbar zu sein.