Unser kleiner roter Kater Jamie, den meine Mitbewohnerin mit in die WG brachte, war schon ein Jahr alt, als er dank Corona noch einen Aufschub für den endgültigen Verlust seine Männlichkeit erhielt. So mussten wir, ehe wir den Mietvertrag unterschrieben, glaubhaft versichern, dass alle unsere Katzen nicht mehr für eine Vermehrung taugten. Jamie war damals ja noch so klein, somit reichte die Zusage, einen dementsprechenden Eingriff in naher Zukunft durchführen zu lassen.
Dieser Tag war nun gekommen, da seine wahrlich stattlichen Cojones den Weg allen Irdischen gehen sollten. Er ahnte vermutlich schon Schlimmes, da ihm, und natürlich auch seinen Brüdern, bereits am Vorabend gegen 18 Uhr die Näpfchen genommen wurden. Am Morgen wurden sie auch nicht wieder gefüllet serviert. Dann entfernten wir auch noch aus Bosheit das Wasser. Ihr seht also, er war schon ziemlich stinkig. Als wir ihn dann in seine sonst über alles geliebte Tragebox verbringen wollten, wurde das kleine Tierchen zu einem wahren Tiger. Er fuhr alle Krallen aus und verrenkte seine Extremitäten, dass er sich um ein Vielfaches vergrößerte. Nun denn, erschwerend kam hinzu, dass er gerade zwei Wochen vorher zum Impfen war und somit noch eine schlechte Erfahrung mit der Box hatte. Gerne hätte ich ihm sein Lieblingsbonbon in die Box geworfen, aber er sollte ja nüchtern sein. So musste er erst einmal beruhigt werden. Wie ein Baby hielt ich ihn im Arm und trug in durch die Wohnung. Siehe da, er zeterte nur noch ein wenig und er war in der Kiste verschwunden. Auf der Fahrt war er recht gefasst und ließ sich getreulich in der Praxis abgeben. Über Mittag sollte er operiert und gechippt werden. Gegen 16 Uhr könnte ich mich erkundigen, wie es ihm ginge und ob er schon nach Hause durfte.
Unterdessen hatte meine Mitbewohnerin ein Treffen mit einem ihrer Bekannten. Als sie bei einem beliebten koffeinhaltigen Heißgetränk davon berichtete, dass der kleine Jamie bald nur noch Sopran sänge, ruckten die Hände ihrer Begleitung reflexartig schützend über seine Kronjuwelen. Innerlich musste sie schon darüber lächeln, äußerlich ließ sie sich natürlich nichts anmerken, dass Männer scheinbar unbewusst reagierten, wenn man von einem derartigen Eingriff berichtete. Eigentlich seltsam, da ja die Gravitation weiterhin überwunden werden kann, aber eben nur Platzpatronen geladen sind. Aber dies wäre eine andere delikate Geschichte.
Als ich gegen 16:30 Uhr in der Praxis war, hockte Jamie in der hintersten Ecke seiner Box und würdigte mich keines Blickes. Aber er war immerhin wach und einigermaßen munter. Der Tierarzt erklärte mir nochmals, was er getan hatte und wie wir nun weiter verfahren sollten. Alles wäre soweit mit dem Tierchen in Ordnung außer natürlich, dass er selbst in der Gunst des Katers ziemlich tief gesunken sei, ein Umstand mit dem er eigentlich gut leben könne, bei diesen Worten grinste er breit und verabschiedete mich.
Wie tief derweil ich in seiner Gunst gesunken war, zeigte mir Jamie zu Hause über deutlich. So schnell er nur konnte, war er aus der Box entfleucht und torkelte eines Jack Sparrows würdig durch die Wohnung. Es war uns ein Leichtes ihn zu ergreifen, damit er, wie es der Tierarzt wünschte und angeraten hatte, in einem abgedunkelten Zimmer seinen Rausch ausschlafen konnte. Aber seien wir doch mal ehrlich. Jeder, der Kinder hat, weiß, dass, wenn die lieben Kleinen schlafen sollen, fit wie ein Turnschuh sind. So natürlich auch der kleine Kater. Nein, er wollte nicht schlafen, etwas, das er sonst überall und mit wachsender Begeisterung stundenlang vollbringen konnte und dem sonst auch liebend gerne frönte. Doch nun wollte er rennen.
Es blieb nur eins zu hoffen, dass er seine Cojones, seine Klöten nur halb so vermisste, wie er uns nun mit Missachtung strafte.