Wenn man gerne liest und sich dementsprechend manchmal ein Buch kauft, hat man nach einer gewissen Zeit ein paar mehr davon, dass man es vielleicht sogar für eine Bibliothek halten könnte. So besaß die Dame, die damals die zukünftige Ex-Mitbewohnerin meiner damaligen noch nicht Mitbewohnerin war, viele Bücher. Um genau zu sein, war es just der Tag, da wir gedachten ihre gesammelten literarischen Werke der Weltliteratur aus den Kisten ins Regal zu verbringen. Und was hatte sie ein formschönes Regal. So eines mit lieblichen Holzleisten, in denen mit raffiniertem Mechanismus deutscher Ingenieurskunst die Regalböden eingehängt werden konnte. Natürlich konnten die Höhen individuell eingestellt werden, je nachdem, ob man Folianten oder Gedichtbändchen unterbringen wollte.
So weit die Theorie. In der Praxis hatte sie in jeder Abteilung die Regalböden auf anderer Ebene angebracht, dass es nie eine durchgängige Reihe gab. Die ersten Bücherkisten standen bereit, als sie sinnierend vor dem Regal stand.
„Dort kommt der Brockhaus hin, quasi als beruhigende Fläche.“ Sie wies auf den Regalboden in der oberen linken Ecke. Ah ja, dachte ich nur, wenn sie die Bretter nicht so wirr aufgehängt hätte, benötigte sie keine beruhigende Fläche. Aber wenn sie es so will. Bitte schön. Flink war das in die Jahre gekommene Nachschlagewerk eingeräumt. Die nächste Kiste stand parat.
„Wo sollen Mann und Co hin?“ Fragten wir nun nach.
Sie schaute gebannt auf ihre Regalwand.
„Sortierst du nach Themen oder doch nach Größe und Farbe?“ Wollten wir dann wissen. Sie blickte zu den gefühlt 100 Bücherkisten und schwieg.
„Sollen die Bildbände in den Schrank?“ Versuchten wir eine Reaktion aus ihr herauszukitzeln. Doch sie blieb weiter stumm. Wir drei Helferinnen schauten uns an und wie auf ein stilles Kommando legten wir los. Eine stand auf der Leiter und stellte die Bücher ins Regal, ich hievte die Schätze aus den Kisten nach oben und meine zukünftige Mitbewohnerin schob die vollen Kisten in meine Nähe und brachte die leeren Pappschachteln fort.
Plötzlich kam Leben in die Besitzerin der Bibliothek. Ihre Augen weiteten sich und ihre Gesichtsfarbe wurde puterrot.
„So geht das nicht“, herrschte sie uns an. Kurz hielten wir inne, um eine Anweisung zu erhalten und umzusetzen. Doch nichts von dem geschah. Sie drehte sich auf den Absatz um und rauschte in ihr Zimmer, das sie, sobald auch nicht mehr verlassen sollte.
Binnen kürzester Zeit waren die Bücher der umfangreichen Bibliothek von uns in ihr Zwischenlager verstaut worden. Natürlich hatte die Besitzerin uns glaubhaft versichert, dass sie ein jedes davon bereits gelesen hatte. Ganz glauben konnten wir ihr nicht, da einige noch originalverschweißt waren. Es sei auch noch erwähnenswert, dass sich unsere provisorische Ordnung bis zu ihrem Auszug nicht verändert hatte.