Ja, ich oute mich mal. Ich gehöre zu den Leuten, vor denen mich meine Eltern immer gewarnt haben. Also die, die tätowiert sind und diese Teufelsmusik, Heavy Metal, hören. Wenn die Bässe wirklich gut wummern und der fette Sound durch die Boxen dröhnt, fühle ich mich wirklich gut. Selbstverständlich darf es ein wenig lauter sein. Dann habe ich hier mein privates Wacken. Aber auf der anderen Seite bin ich die alte Tante, die nie ohne Hut aus dem Haus geht. Aber egal. Mein erstes Tattoo musste her. So wurde ich auf Steffen aufmerksam und heute weiß ich, er ist der sanfteste Stecher meiner Stadt. Er selbst ist von Kopf bis Fuß tätowiert, was im Gegensatz zu seinen sanften braunen Augen steht.
An der Wade sollte ich ein Fuchs-Tribal bekommen. Er bereitete seinen Platz vor und ich drapierte mich bequem auf die Liege. Er übertrug die Vorlage und legte los. Das Rattern der Maschine ertönte. Irgendwann fragte er mich, ob alles in Ordnung sei. Erstaunt blickte ich auf, er hatte, unbemerkt von mir, schon begonnen. Alles sei gut, versicherte ich ihm.
Während meiner Sitzung trat ein weiterer Kunde ein. 1,90 m groß und bestimmt 140 kg Lebendgewicht. Gänzlich schwarz gekleidet, die Lederjacke mit Nieten versehen, schwerer Stiefel an den Füßen. Steffens Kollege wollte dessen Tattoo nun mit Farbe versehen. Ein Sleave am rechten Arm. Etwas Japanisches mit Kois und Kirschblüten. Irgendwie musste ich bei den Vorbereitungen wieder weggenickt sein. Durch ein Gekicher wurde ich jedoch wach. Der andere Tätowierer feixte rum, während sein Kunde seinen Kopf in die linke Armbeuge versenkt hatte. Dann blickte der Tätowierte auf und ich sah Tränen über sein Gesicht rinnen. Was für ein Weichei, dachte ich nur und mummelte mich auf meinen Plüschfuchs, den ich als Kopfkissen nutze. Steffen versicherte sich zum wiederholten Male, keine Ahnung wie oft er das tat, ob bei mir wirklich alles ihn Ordnung sein. Immer nickte ich bestätigend. Nach einer Stunde waren die Konturen fertig und er begann die Flächen zu schwärzen. Nach drei Stunden machten wir eine Kaffeepause. Mittlerweile waren meine Nerven am Bein ziemlich überreizt und ich nahm jeden Lufthauch wahr, ehe er mich überhaupt berührte. Auch der harte „Rocker“ stand bei uns und musterte mich. An der Wade sei es ja nicht so schmerzhaft und außerdem täte das erste Tattoo nie weh, versicherte er mir. Hinter ihm verdrehte sein Tätowierer die Augen und ich wußte, der Typ ist ein Aufschneider, Maulheld und Weichei in Personalunion. Ich lächelte müde. Die letzte Stunde war trotzdem nicht wirklich schmerzhaft, aber durch die Überreizung der Nerven, konnte ich nicht mehr wirklich kontrolliert das Bein ruhig halten. Zum Glück bemerkte Steffen immer rechtzeitig, wann ich zuckte, sodass er die Maschine rechtzeitig von der „Leinwand“ nehmen konnte. Leider trat ich ihm dennoch öfter zwischen die Zähne, die sich wie durch ein Wunder nicht verabschiedeten. Nach vier Stunden war das Werk vollendet und ich wunderte mich nur, dass es nur eine leichte Rötung an den Rändern gab. Keine Schwellung der Wade, nichts.
Wie gesagt, Steffen ist der sanfteste Stecher der Stadt. Nach der Wundversorgung wurde mir die Pflegeanweisung erklärt und ich wurde als neuer Mensch in die Welt entlassen.