Erwähnte ich, dass ich Live-Rollenspielerin bin? Ja? Gut. Live-Rollenspiel gilt übrigens mitunter als Kampfsport und kann deshalb nicht immer für die Unversehrtheit des Körpers garantieren. So passierte es, dass ich vor einigen Jahren als NSC (Nicht-Spieler-Charakter) unterwegs war. Ich stellte die Schamanin des Barbarenclans dar und war die vermeintlich böse Gegenspielerin der Hohepriesterin der lokalen Fruchtbarkeitsgöttin. Ja, wir unzivilisierten Barbaren bedienten alle Klischees. So waren wir in Felle gehüllt und mit Knochen geschmückt. Mein Outfit bestand aus einem Minirock oder Lendenschurz aus Damwild und ein Leibchen aus Rehfell, dem lokalen Jäger sei Dank. Mit Knochen wurden wir von Biologiestudenten versorgt, die sich einiges selbst präpariert hatten. Der Art gewandet waren wir unterwegs und das Gelände war etwas robust. Wie nannte ich es später... Der Förster hatte den Wald nicht gebügelt.
Lange Rede kurzer Sinn, ich stürzte, es knirschte verräterisch und ich blieb liegen. Bis dato verspürte ich keinen Schmerz, was mich wunderte. Als ich mich aber aufzurichten versuchte, zerriss es mich fast und ich entschied mich, an Ort und Stelle liegen zu bleiben. Einer meiner Barbaren machte den Vorschlag, die SL (Spielleitung) zu informieren. Einen Vorschlag, den ich recht umsichtig fand. Kurze Zeit später sah ich in der Ferne einen von der SL, der sich suchend umblickte. Ich winkte und lächelte. Als er mich erkannte, stellte er nur eine Frage. „Krankenwagen?“ Auch diese Idee hieß ich gut. Also drehte er wieder um, damit er sich zum Telefon begeben konnte. Unterdessen kamen andere Spieler, die mich mit einer Trage strategisch günstiger im Gelände positionierten.
Relativ zügig, obwohl es Samstagnachmittag war, kam der Krankenwagen, und zwei Sanitäter im chicen Orange begrüßten mich. Sie wollten von mir wissen, was passiert sei. Ich berichtete von dem Knirschen und dass mein Bein wohl gebrochen sei. Also wollte einer mich von meinem Stiefel befreien und setzte die Schere an. Gerade noch rechtzeitig konnte ich ihn stoppen, in dem ich ihm erklärte, dass ich nichts am Fuß, sondern eher am Knie habe und er mir den Stiefel auf herkömmliche Weise ausziehen könne. Er schaute skeptisch, tat aber, wie ihm geheißen. Der Stiefel rutschte ohne Probleme vom Fuß. Nach in Inaugenscheinnahme des Knies vermutete er einen Bruch des Schienbeinkopfes, den er dann mal eben richten wollte. Ah ja! Mal eben? Ob das denn schmerzte, wollte ich dann wissen. Er bejahte. Keine Chance, ohne Betäubung ginge da gar nichts. Das könne nur der Notarzt. Also solle er diesen anrufen.
Ziemlich umständlich, erklärte er dem Notarzt, wo er nun hinmüsste. Ich und auch die SL wussten, das gibt so nichts und stellten einen der Spieler ab, den Arzt einzuweisen. Sie hätten vielleicht nicht den Ork-Spieler nehmen sollen, der gänzlich grün geschminkt mit grässlichen künstlichen Zähnen ziemlich wild aussah. Aber egal. Zurück zum Notarzt. Dieser hatte eine, wie ich später erfuhr, sehr hitzige Auseinandersetzung mit dem Ork über das Verstehen und korrekte Anwenden der deutschen Sprache. Als er zum Ort des Geschehens kam, sprach er mit den Sanitätern und mit der Spielleitung. Wegen seines harten russischen Akzents war es für mich anfangs schwierig, der Unterhaltung zu folgen. Ah, er suchte die verunfallte Person. Winkend machte ich auf mich aufmerksam. Irritiert blickte er auf mich und die anderen wilden Gestalten. Er konnte nicht glauben, dass ich tatsächlich verletzt sei. Ob ich denn Schmerzen hätte? wollte er wissen. Nur wenn ich lache und versuche, das Bein zu bewegen, gab ich Auskunft. Warum er denn dann benötigt würde? War die Frage rhetorisch? Bruch richten? Meine Barbaren murrten und so schritt ich ohne weitere Diskussion zur Tat, ich erhielt meine Spritze. Meine Erinnerung endet an dieser Stelle und setzte irgendwann in einer Unfallklinik in der Röntgenabteilung, nach dem Röntgen wohlgemerkt, wieder ein.
Was war in der Zeit ohne aktive Erinnerung geschehen? Was auch immer mir da in die Vene geknallt wurde, sorgte dafür, dass ich nichts mehr weiß, aber es machte mich mitnichten schmerzfrei. Nun denn, mein Bruch wurde gerichtet. Während der Notarzt an meinem Bein zog, stellte ich einen Schrei in den Wald, der einer Banschee würdig gewesen wäre. Sehr hoch. Sehr, sehr laut. Wie gesagt, ich weiß davon nichts, aber es wurde mir so berichtet. Auch das Umbetten auf die Trage des Krankenwagens geschah ohne aktive Beteiligung meinerseits. Im Krankenwagen wurden meine Daten aufgenommen. Ja, ich habe alle Fragen selbstständig und korrekt beantwortet, dennoch weiß ich hiervon nichts. Erwähnte ich schon das geile Zeug?
Nun denn, da es in diesem Krankenhaus erst am Mittwoch weitergegangen wäre, wollte ich nach Hause in mein kuscheliges Krankenhaus um die Ecke. So wurde ich abends noch mit einem Krankentransportwagen in meine Heimatstadt gefahren. Die Jungs bedankten sich bei mir, denn so mussten sie nicht an der Großübung mit Feuerwehr, THW und Rotes Kreuz, die eine Massenkarambolage mit 50 Fahrzeugen simulierte, teilnehmen.
Gern geschehen!