Als meine Mitbewohnerin noch nicht meine Mitbewohnerin war, wohnte sie bereits in einer WG. Es geht also quasi um meine in der Vergangenheit zukünftige Mitbewohnerin und in der Vergangenheit ihrer zukünftigen Ex-Mitbewohnerin. Drücke ich mich einigermaßen verständlich aus? Der einfachheitshalber nenne ich die Damen nun meine Mitbewohnerin und die Ex. Das ist übrigens die Dame mit den drei Töpfen beim Kochen, damit ihr die nachfolgenden Gedanken besser nachvollziehen und einschätzen könnt.
Wo war ich? Ach ja, die Ex-Mitbewohnerin arbeitete mit der Ex-Vermieterin in unserer Ex-Firma, ich weiß sehr viel Ex, und bildete so mit ihr eine Fahrgemeinschaft, da sie zum einen den nämlichen Weg und zum anderen kompatible Arbeitszeiten hatten. Wie es sich für Vermietergattinnen gehörte, fuhr sie ein überaus prestigeträchtiges Fahrzeug, einen Jaguar. Der hatte zwar schon einige Jahre auf dem Buckel und wenn er nicht so stabil gebaut wäre, wäre er gewiss schon auseinandergefallen. Aber wie es sich für Katzen gehörte, schnurrte der Motor, solange man nicht auf die Autobahn fuhr. Trapattoni hätte gesagt, er hat fertig. Da die Ex-Mitbewohnerin mit unter sich gerne mondän gab, was sie mitnichten war, hatte sie ihre liebe Not, dies souverän umzusetzen. Statt ihr Tussitäschchen lässig über die Schulter zu klemmen, baumelte der Shopper in der Armbeuge und es wäre nur noch eine Frage der Zeit, dass sie wichtige Dinge daraus verlöre. Aber dieser Gedanken kam ihr nicht, denn sie war darüber erhaben.
Eines Abends saßen die beiden Damen der Ex-WG zusammen im gemeinsamen Wohnzimmer, als sie genervt in ihrer Tasche kramte.
„Hast du mein Handy gesehen?“ Fragte sie meine Mitbewohnerin.
Die Angesprochene stutzte nur, schüttelte mit dem Kopf und vergrub diesen wieder in ihr Handy. Wie ein aufgeschrecktes Huhn rannte die Suchende durch die Wohnung, hob das Altpapier der letzten Wochen hoch, schob nie gelesene Bücher bei Seite, wühlte ihn Schränken. Nichts.
„Vielleicht im Auto?“ Machte meine Mitbewohnerin den Vorschlag.
So ging die Suche im Jaguar weiter. Auch ein Anruf auf das Handy brachte keinen erwünschten Erfolg. Die Andeutung, meine Mitbewohnerin hätte etwas mit dem Verschwinden zu tun, ignorierte sie geflissentlich.
Am nächsten Morgen war das Mobiltelefon noch nicht wieder aufgetaucht und mit einer nötigen Portion Frust und noch mehr schlechter Laune, machten sich die Ex-Mitbewohnerin mit der Ex-Vermieterin im Jaguar auf den Weg. Auf dem Firmenparkplatz wurde der Jaguar abgestellt und dieser kuschelte sich bis zum Ende der Arbeitszeit in ein zugewiesenes Körbchen natürlich hier Parkplatz. Im Büro stellte die Ex-Mitbewohnerin natürlich ihren Schreibtisch, die Kaffeeküche und den Schulungsraum auf den Kopf, natürlich ohne Erfolg, das Handy blieb verschwunden. Wo konnte dieses vortreffliche Stück Ingenieurskunst nur sein? Zum Glück war sie nicht wie ihre Schüler, deren Leben ohne Handy nicht stattfand. Aber etwas unleidlich wurde sie schon, wie sie fand. Andere nannten sie in diesem Zustand unerträglich.
Nach Feierabend ließen sich die Damen wieder schnurrend nach Hause geleiten. Das Handy hatte sich immer noch erfolgreich einer Auffindung widersetzt. Meine Mitbewohnerin und ich hatten leider andere Arbeitszeiten und so konnten wir noch etwas mit der Fußbodenkosmetikerin auf dem Parkplatz, natürlich Kippchen unterstützt, quatschen. Als unsere Minna ihren Blick über den nun leeren Parkplatz schweifen ließ, entdeckte sie einen seltsamen dunklen Gegenstand. Während wir wieder hineingingen, lief sie dort hin, um sich die Sache genauer anzusehen. Kurz darauf war sie bei uns im Büro und hielt den geometrischen Gegenstand hoch.
„Schaut mal, ein Handy“, sagte sie, „es lag auf dem Parkplatz vom Jaguar.“
Meine Mitbewohnerin schaute genauer hin.
„Oh, das suchen wir schon seit gestern. So wie es aussieht, ist der Jaguar mehrmals drübergefahren.“
Leider wussten wir nicht, ob wir uns nun freuen oder traurig sein sollten. Zwar war das Handy nun gefunden aber leider auch zerstört. Deshalb war die Freude in der Ex-WG auch eher verhalten. Zum Glück gab es zu diesem Zeitpunkt bei einem Discounter ein preiswertes Smartphone, so dass die Ex-Mitbewohnerin recht bald wieder mobil war.
Erwähnte ich, dass ihr Leben nicht am Smartphone hing? Ganz so stimmte es nicht. Natürlich hatte sie ihre überschaubaren Kontakte auch noch analog in einem Notizbuch hinterlegt und für ihre Termine nutzte sie einen altmodischen Kalender, aber sie liebte ein Spiel „Dorfleben“, dass sie tagtäglich mit wachsender Begeisterung spielte. Sie hatte quasi Level x-zig erreicht, was ihr reichlich Nerven und noch mehr Zeit gekostet hatte. Nun war das Spiel nach der Installation auf dem neuen Handy quasi bei null. Bei nichts. Am Anfang. Also jungfräulich. Sie telefonierte Stunde um Stunde mit dem Support des Spieles, ob man ihre Erfolge und Errungenschaften nicht wiederherstellen könne. Es musste doch eine Möglichkeit geben, dass der Spielstand irgendwo in irgendeiner Cloud gespeichert sei. Doch alle ihre Punkte, Bäume, Felder und Großmütter lösten sich in kleine Wölkchen auf, stand in ihr gespeichert worden zu sein.
Was soll ich sagen, seitdem sie die Ex-Mitbewohnerin ist, ist sie quasi ins Dorf gezogen.