Jeder, der jemals eine Außengastronomie besaß, weiß, dass Tische und Stühle sich dann des Nachts vermehren oder gar zu Mitnahmeartikel werden. So wurde und wird auch heute noch jedes Möbelstück, damit es nicht dem Namen folgend beweglich wird und ausbüchst, angebunden. Dafür haben die Hersteller vortrefflich bewegliche Stahlseile mit Ösen geschaffen, die dann formvollendet um besagte Herde gewickelt wird, um dann mit einem Schloss bewehrt diese an der Flucht zu hindern. So ist es vorgesehen und wird im Allgemeinen auch so gemacht.
So saß ich, mal wieder, in meiner Lieblingsrösterei auf meine Mitbewohnerin wartend und beobachtete, wie vor der kleinen Patisserie, die Naschwerk aus dem Nahen Osten feilbot, Tischchen und Stühlchen aufgestellt wurden. Hernach kamen drei Herren hinzu, die laut lamentierten. Dann entpackte einer eine Pappschachtel und besagtes Drahtseil kam zum Vorschein.
Es war schon kurzweilig anzusehen, wie sie das Seil der Länge nach ausbreiteten, es dann um Tische und Stühle wickelten. Während ich sie betrachtete, wunderte ich mich, auf wie viel mannigfaltige Arten dieses Seil angebracht werden konnte. Abgesehen von richtig und falsch. Sie probierten gefühlt alle Methoden aus. Aber eines bemerkten sie recht schnell, das Seil war nicht nur zu lang, es war viel zu lang. Erwähnte ich, dass es jeweils eine Gruppe von drei Männern in wechselnder Zusammensetzung sich des Problems annahm? Einer gab Anweisungen, einer sprach am Handy und einer arbeitete. Ob nun fünf oder mehr Personen das Problem zu lösen gedachten, konnte ich nicht erkennen, da sich für mich als Westeuropäerin die Unterscheidung von Männern aus dem Gebiet des östlichen Mittelmeeres schwierig gestaltet.
Wo war ich? Ach ja, das Seil war zu lang. Wie wird nun die korrekte Länge ermittelt? Entweder durch rechnen oder messen. Dachte ich. Was machten meine drei? Sie legten das Seil der Länge nach aus und verursachten dadurch eine Konfusion mittleren Ausmaßes im Passantenstrom der Fußgängerzone. Aber wahre Männer aus dem Nahen Osten dürfen das. Danach nahm einer ein Ende und ging damit hinüber zum Anfang, er halbierte also das Seil. Nun kam einer mit einem Werkzeug und schnitt das Seil in der Mitte durch. Da sich meine Mitbewohnerin mit einem Kaffee unter dessen zu mir gesellte, stellte sie mir als Akademikerin die äußerst kluge Frage, ob durch das Halbieren des Seiles die korrekte Länge erreicht wäre. War sie natürlich nicht, denn nun war das Seil zu kurz. Zwar nicht viel, aber zu kurz ist halt nicht lang genug, egal ob nun ein oder zehn Zentimeter fehlten. So zogen und zerrten sie, um alle Stühle und Tische irgendwie ins Seil zu bekommen. Dann bemerkten sie mit Schrecken, dass das Seil nicht nur zu kurz war, sondern an einem Ende auch keine Schlaufe, Öse oder sonst wie Vorrichtung hatte, um ein Schloss einzuklinken. Aber wer über den Balkan zu uns gelaufen kam, weiß sich zu helfen. Kurzerhand wurde eine provisorische Schlaufe gebunden, die mit Schrauben und Muttern fixiert wurde. Um diese dann vor unberechtigter Aufschraubung durch böswillige Eigentumsumverteiler zu sichern, wurden dann mit geschickten Handgriffen einige Meter silberfarbenes Panzertape herumgewickelt.
Am Abend trugen dann die zu den Herren zugehörigen Damen Tische und Stühle ins Geschäft, wo sie bis zum Morgen hinter verschlossenen Türen gesichert nächtigten.