Sie standen Arm in Arm am Bahngleis und winkten fröhlich dem abfahrenden Zug hinterher. Ein wenig traurig war Moni darüber, dass sie ihre Enkelkinder für eine ganze Weile nicht mehr sehen würde. Auch Käthe saß mit Bruno im Zug. Sie freute sich auf ein paar Tage Urlaub bei der Familie in der schwäbischen Heimat. Damit Moni ungestört die vielen Termine, Erledigungen und Einkäufe tätigen konnte, hatte sich ihre Tochter erbarmt Monis Maremmen-Abruzzen-Schäferhund Bruno mitzunehmen.
Nach den ersten Wochen hatte es sich schnell rausgestellt, dass Bruno seinen Geschwistern in der Entwicklung weit hinterherhinkte. Aus ihm würde leider kein Hütehund werden, so viel stand fest. Doch Moni hatte sich sofort in den Spätzünder verliebt. Zu Weihnachten hatte Tina, Uwes Schwester, ihr den Kleinen geschenkt. Nun war er wichtiger Bestandteil der Familie.
Moni strahlte ihren Uwe-Schatz an.
„Das war eine wunderschöne Woche mit den Kleinen, vielen Dank für alles mein Schatz! Und jetzt, schau mal wie ich schon rennen kann!“ Stürmisch drückte Moni ihm einen Kuss auf den Mund. Dann lief sie stolz, ohne Krücken und fast ohne zu humpeln, schnell zurück zum Parkplatz. Voller Freude und Liebe lächelte Chefarzt Dr. Uwe Ortner seiner Herzdame hinterher. „Du bist einfach der Hammer, ich liebe dich!“
Während der Fahrt hing Moni ihren Gedanken nach. Zuerst harmonische, idyllische Weihnachten mit der Familie und den Kindern in den verschneiten Bergen. Dazu das leckere Essen mit den vielen freundlichen Menschen. Auch bei einigen Wintersport Events waren sie dabei, jedoch immer unerkannt, ohne VIP-Karten. Tagsüber hatten sie oft alle miteinander im Schnee gespielt. Eine große Schneemannfamilie gebaut, die Männer sind mit den Kids Schlitten gefahren. Abends hatten sie am Lagerfeuer Würste gegrillt und Lieder gesungen.
Moni konnte die ersten Kontakte in Montan knüpfen, sie würde auf jeden Fall in den Handarbeitsverein eintreten. Mit Franz hatte sie viele Stunden im Kuhstall verbracht. Von ihm lernte sie alle Arbeiten im Stall, denn sie liebte die Kühe. Sogar bei der Geburt eines Kälbchens durfte sie dabei sein. Ein einzigartig tolles Erlebnis. Das Leben auf dem Hof fühlte sich ehrlich und echt an. Das Leben war wieder schön.
Nur die Erinnerungen an den schrecklichen Unfall, an den Tod von ihrem Mann Herbert, sie waren noch immer nicht zurückgekehrt.
Inzwischen war es Ende Februar und sie hatte eine tolle Faschingswoche mit ihren Enkeln auf dem Hof erlebt. So glückliche Kinder zu sehen tat unglaublich gut. Auch Uwe hatte diese Auszeit von dem Klinikalltag genossen und konnte Kraft tanken. Lara und Linus hatten viel Spaß mit ihrem Onkel, den sie bald öfters sehen würden. Moni freute sich auf die gemeinsame Zukunft mit ihrem Uwe-Schatz hier im Bergdorf Montan.
Sie konnte es kaum erwarten, bis die Renovierungsarbeiten abgeschlossen waren und sie endlich in die große Wohnung einziehen konnten. Die Planungen waren schon lange fertig, die exklusiven Designer Möbel und das bezaubernde Wellness-Badezimmer bestellt. Jeden Morgen in dieser herrlichen Bergwelt aufzuwachen, die saubere, frische Luft einzuatmen. So sehr freute sie sich darauf. In zwei, drei Wochen war es soweit. Dann würde hoffentlich auch bald der Frühling Einzug halten. Sie sehnte sich nach der wärmenden Sonne, doch bis dahin gab es noch einiges zu erledigen.
Uwe steuerte den Wagen in die Tiefgarage der Klinik. Für den Rest dieser Woche würden sie beide hier in Innsbruck bleiben, denn es warteten einige wichtige Termine. In der Unfallklinik waren alle Betten belegt, immer wieder kam es zu schlimmen Skiunfällen mit Kopfverletzungen. Genug zu tun für den Chefarzt.
„Wollten wir nicht einkaufen fahren Uwe-Schatz?“ „Das verschieben wir mein Engel, jetzt machen wir es uns gemütlich, ja? Ganz ungestört, nur wir zwei.“ Zärtlich streichelte er ihre Schenkel und zwinkerte frech. Sie küsste ihn auf diese eine Art und Weise, bei der Uwe immer noch der Ohnmacht nahe war. Verliebt schlenderten sie Hand in Hand mit ihren Koffern zur Wohnung.
***
Uta und ihr Mann Otto bezogen gemeinsam das Bett im Gästezimmer. Sie freuten sich sehr auf ihre Nichte, welche endlich nach fünf langen Monaten zu Besuch kam. Schon ganz früh am Morgen hatte sie mit Käthe telefoniert. Sie würde nicht nur ihre Klarinette mitbringen, sondern auch Monis Hund Bruno. Darauf waren sie sehr gespannt, hatten sie doch selber drei kleine Malteserhunde. Ihre Nichte war wie immer herzlich willkommen. Sie liebten sie wie eine eigene Tochter.
Zwischen Moni und Uta jedoch herrschte seit langer Zeit Funkstille. Nach ihrem starken Auftritt an Gerhards Geburtstag in der Adventszeit hatte sie den Kontakt zu ihr abgebrochen. Die ganze Familie war entrüstet und stinkesauer auf sie. Johann hatte sich endgültig zurückgezogen, er lebte schon lange in Köln und kümmerte sich nur wenig um die Verwandten in der Heimat. Das Leben dort war ihm zu kleinbürgerlich und altmodisch. Er brauchte das Leben in einer Großstadt, um glücklich zu sein.
Uta wurde sofort wieder wütend, wenn sie daran dachte. Wie konnte ihre Schwester es fertig bringen, kaum zwei Monate nach dem Tod des Mannes, mit dem berühmten, reichen Chefarzt der Klinik ein Verhältnis anzufangen? Die hatte doch nicht mehr alle Tassen im Schrank. Uta kam über diese Tatsache nicht hinweg. Nie im Leben hätte sie Moni so eine Aktion zugetraut. Noch immer war sie dermaßen schockiert. Sie wollte deswegen nichts mehr mit ihr zu tun haben. Auf keinen Fall! Nie wieder!
In drei Stunden kam der Zug an. Sie lief in die Küche zu ihrem Mann, denn sie hatte Käthe versprochen ihren Lieblingskuchen zu backen.
„Stell dir vor Otto, bei Käthes psychischer Krankheit geht es bergauf. Sie haben nicht nur ein gutes Medikament gefunden, welches anschlägt, sondern auch mit einer Art Hypnose-Therapie begonnen. Sie vermuten einen Vorfall in frühester Kindheit. Dr. Marowski ist ganz zuversichtlich.“
„Ach, ja?“, murmelte Otto gelangweilt, „Was soll denn daran zuversichtlich sein?“
"Der Dr. Marowski meint, wenn man nur wüsste, was damals, also irgendwann früher, geschehen war, dann könne man direkt auf das Vorkommnis eingehen. Durch eine gezielte Therapie wäre es möglich, alles zu verarbeiten. Käthe könnte also durchaus wieder gesund werden. Das sind doch gute Neuigkeiten!“
„Glaubst du das wirklich? Diese Ärzte in dieser Innsbrucker Klinik machen sich ganz schön wichtig, findest du nicht?“ Otto hatte schlechte Laune bekommen.
„Hä? Sag mal, freust du dich nicht? Werden hier langsam alle verrückt?“
„Ich geh mit den Hunden raus“.