Es war für Uwe wie befürchtet. Sich zu konzentrieren fiel ihm unheimlich schwer. Ständig schweiften seine Gedanken ab in Richtung Innsbruck und Montan, zu seiner Moni.
Er war schlau genug zu erkennen, dass er ein echtes Problem hatte. Das Gefühl, er verliere jeden Moment den Verstand, wurde immer stärker. Margit boxte ihn in die Seite. „Erde an Uwe, Hallo!“
„Entschuldige bitte, was hast du gesagt?“ „Ich hatte dich gefragt ob wir einen Kaffee bestellen sollen.“ Uwe nickte, „Na klar, gerne. Obwohl, ich nehme lieber ein Bier,“ schon hielt ihm Lara ein Buch unter die Nase. „Liest du mir vor, bitte, Onkel Uwe.“
Uwe trank sein Bier in einem Zug leer. Wegen Margits seltsamen Blick bestellte er jetzt ebenfalls einen Kaffee. Linus war eingeschlafen, Lara guckte interessiert aus dem kleinen Fenster. Das Zeichen Bitte Anschnallen leuchtete rot auf, sie waren bereits auf dem Landeanflug. Uwe konnte es kaum erwarten, seinen Freund Thommy zu sehen. Er freute sich darauf mit ihm über seine Probleme zu reden, er würde ihm hoffentlich Halt geben. Dann riss er sich zusammen und erklärte Lara, wie eine Flugzeug-Landung funktionierte.
***
Bruno begrüßte Aaron laut bellend, die beiden Hunde sprangen wie vom Blitz getroffen hintereinander über den Hof. Hier in Montan regnete es stark. Moni wurde beim Entladen des Autos pitschenass. Franz kam aus dem Stall und winkte ihr freudig zu. „Meine Aushilfe ist gekommen, super! Kommst du um halb sechs?“ „Ja, das habe ich dir ja versprochen!“
Zuerst blieb Moni bei der hilflos wirkenden Olga in der Küche. Gemeinsam besprachen sie den Essensplan der nächsten Tage. Moni beruhigte sie: „Wir sind ja insgesamt nur acht Personen, das schaffen wir locker! Ich habe bereits alles eingekauft sowie organisiert.“
„Weißt du, Rita fehlt mir so.“ Tränen liefen lautlos über die Wangen des Mädchens.
Olga benötigte Aufmerksamkeit und ein paar Kuscheleinheiten. „Na du, komm her zu mir. Magst du mir ein wenig erzählen? Wie geht es dir? Wie läuft es mit deinem Stefan?“ Sie setzten sich auf die Eckbank, Moni legte den Arm um sie. Da sprudelte es nur so aus ihr heraus. Moni hörte geduldig und verständnisvoll zu.
Mit Olgas Hilfe war Monis Gepäck schnell verstaut und aufgeräumt. Sie stellte die Waschmaschine an, lüftete die Wohnung und zum Schluss brachte Olga frischen Ziegenkäse, Eier, Quark, Butter und Brot vorbei.
Moni hatte genau zehn Minuten um sich umzuziehen, schon war es Zeit für die Kühe. Auch Rondo wartete noch auf sie, Karl hatte bereits nachgefragt. Ihre Laune war inzwischen im Keller. Zusätzlich klingelte genau jetzt ihr Handy. Genervt starrte sie auf das Display. Es war Uwe. Na klar.
„Hey, Uwe Schatz.“
„Mein Engel, ich wollte dir sagen, dass wir gut angekommen sind. Thommy hat uns abgeholt. Wir sind jetzt auf der Fahrt zur Finca.“
Moni schloss ihre Augen, am Liebsten würde sie laut schreien, doch er würde es nicht verstehen. Stattdessen antwortete sie freundlich: „Schön, das freut mich. Bitte richte Grüße aus, ja? Ich bin grad auf dem Weg in den Stall.“
„Mein Engel, entschuldige, ich wollt dich nicht nerven. Sagen wir uns nachher noch gute Nacht?“
„Aber sicher, ich freue mich schon und schick dir einen lieben Kuss!“
„Ich dir auch, mit ganz viel Liebe!“ Die letzten Worte hörte Moni nicht mehr, sie hatte schon aufgelegt.
***
Uwes erster Abend in der Finca verlief gemütlich und entspannt. Nachdem sie ihre Zimmer bezogen hatte, hüpfte alle gemeinsam in den Pool und hatten jede Menge Spaß. Anschließend spielte Thommy den großen Grillmeister. Nach einem leckeren Abendessen tobten die vier Kinder auf dem kleinen Spielplatz, bis es dunkel wurde. Uwe und sein Freund liefen ein paar Schritte und setzten sich mit ihrem Bier auf eine Mauer. Endlich war die Zeit gekommen, Uwe schüttete Thommy sein Herz aus.
„Mensch Uwe, was ist bloß los mit dir? Diese Moni hat dir ganz schön den Kopf verdreht, was?“ Kumpelhaft boxte er ihn in die Seite.
Uwe guckte nur treu-doof und gab keine Antwort.
„Komm schon, es ist nur die Liebe!“
„Ja Thommy, es ist nur Liebe. Aber für mich die erste richtige Liebe!“
„Uwe, das ist was Schönes! Also freu dich darüber und grübel nicht so viel. Für morgen Mittag habe ich für uns zwei Hübschen eine Überraschung geplant!“
Sie wurden alle schnell müde, Uwe sagte gute Nacht und brachte die Kinder ins gemeinsame große Bett. Sie bestanden darauf, bei ihrem Onkel zu schlafen. Er erzählte ihnen eine witzige Geschichte und setzte sich anschließend mit seinem Handy und einer Flasche Bier auf den Balkon. Es war erst halb zehn, sollte er sie schon wieder anrufen? Er entschied sich für eine Nachricht:
Mein Engel, die Kinder sind im Bett. Ich liebe Dich!
***
Moni lag entspannt in der heißen, duftenden Wanne, hörte Musik und blätterte in ihrem Strickcafé-Notizbuch. Mit ihrem wasserdichten Stift ergänzte sie die Einträge oder es fiel ihr etwas Neues ein, sie sprudelte nur so vor Ideen. Sie konnte ihr Glück noch immer nicht fassen, dass dieser Traum Wirklichkeit werden würde. Dank ihrem verrückten Uwe Schatz.
Für morgen hatte sie sich für ein langes Videogespräch mit Andy und Conny verabredet, sie freute sich schon sehr darauf.
Gähnend legte sich Moni eingemummelt in dem flauschigen Bademantel ins Bett. Bruno legte sich aufmerksam auf den Boden, mit einem Auge beobachtete er sein Frauchen.
Sie würde ihrem Uwe Schatz jetzt gute Nacht sagen, vielleicht noch ein klein wenig lesen und dann hoffte sie auf einen erholsamen Schlaf, ohne, dass der Wecker klingelt.
***
Pünktlich zum Sonnenaufgang wachte Uwe auf. Vorsichtig stieg er über die Kinder aus dem Bett. Im Haus war es noch ruhig. Leise schloss er die Türen und spazierte an den frisch gereinigten Sandstrand. Nur wenige Menschen waren unterwegs. Vergnügt beobachtete er die Frühsportler mit ihren teilweise seltsamen Übungen. Sonnenaufgangsfanatiker platzierten ihre Kamera auf dem Stativ und warteten auf das perfekte Licht. Uwe setzte sich an die leichte Brandung, zog seine Schuhe aus und ließ seine Füße von dem kalten Wasser umspülen, welches mit zarten Wellenbewegungen hin und her schwappte. Ein paar kleine, spitze Muschelstücke verfingen sich zwischen seinen Zehen. Minikrebse flüchteten vor unsichtbaren Gefahren und vergruben sich im nassen Sand. Weit draußen auf dem Meer sah er weiße Dreiecke schaukeln. Segelschiffe mit unbekanntem Ziel schipperten sorglos durch das dunkle Blau.
Dann legte er sich auf den Rücken, sog die frische Meeresluft tief ein und starrte in den immer heller werdenden Himmel. Obendrein fing er an zu weinen. Dieses ganz bestimmte Gefühl, tief in seinem Inneren verborgen, eine Art Sehnsucht nach dem Leben selbst, weckte in ihm diese große Traurigkeit. Niemand, nicht einmal seine Herzdame, war imstande, ihm diesen Schmerz zu nehmen.
Uwe leckte sich über die Lippen, schmeckte das Salz seiner Tränen. Das zauberte ihm ein Lächeln in sein Gesicht, denn es erinnerte ihn daran, dass er den Kindern heute zum ersten Mal in ihrem Leben das Meer und den Strand zeigen durfte. Voller Freude joggte er zurück zum Haus.