Moni stand am Panoramafenster und betrachtete die Sonne, wie sie lautlos hinter den Berggipfeln verschwand. Hier oben merkte man jetzt schon, dass sich der Sommer langsam verabschiedete.
Ein wunderschöner Tag lag hinter ihr. Morgens half sie Franz im Stall bei ihren geliebten Kühen. Danach spazierte sie mit Bruno und Aaron durch den Wald. Den restlichen Tag verbrachte sie mit Käthe und Olga in der Küche. Sie zeigte den Mädchen, wie man Ungarisch Gulasch zubereitete. Für zwölf Personen war das gar nicht so leicht, denn der Geschmack sollte nicht unter der Quantität leiden. Noch dazu hatte sich Moni in den Kopf gesetzt, als Beilage schwäbische handgeschabte Spätzle zu servieren. Obwohl das gar nicht so richtig passte. Käthe und Olga kümmerten sich derweil um den Salat und wogen die Zutaten für den Spätzleteig ab. Uwe kam schon nachmittags aus Innsbruck und befasste sich ausgiebig mit seinem Rondo.
Beim gemeinsamen Abendessen mit den Angestellten und Familienangehörigen, lobten alle Monis leckere schwäbische Spezialität. Uwe strahlte und gab ihr einen liebevollen Kuss. „Ich habe es schon immer gewusst, dass ich mir die perfekte Frau geangelt habe.“ „Ja,“ lachte Käthe, „Liebe geht eben auch durch den Magen.“
Es war Käthes letzter Tag in Montan. Zusammen mit Olga, Stefan und Karls Sohn Felix verbrachte sie den Abend im Gasthof. Freitags gab es dort immer ein abwechslungsreiches Unterhaltungsprogramm und Live-Musik. Eine willkommene Abwechslung für die jungen Menschen hier im Dorf.
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Am nächsten Morgen saß Käthe bei Uwe im Wagen, schaute aus dem Fenster und dachte wieder einmal an die letzten Wochen und Monate. Wie sich ihr Leben doch verändert hatte, kaum zu glauben. Uwe drehte am Radio und suchte einen klassischen Sender. Er liebte es, zusammen mit Käthe diese Art von Musik zu hören. Denn sie war ein echtes Käpsele, wie man im Schwabenland zu sagen pflegte, wenn sich jemand besonders gut auskannte.
„Uwe, ich bin dir so dankbar. Weißt du noch, wie wir uns kennenlernten?“ Uwe nickte grinsend, im Hintergrund ertönte Carmina Burana. „Ja, du bist wie von Sinnen aus dem Aufenthaltsraum gestürmt und hast mich dabei fast überrannt. Übrigens war es Georg, der versprach, dir zu helfen.“ „Ihr seid beide toll und ich habe euch sehr lieb.“ Daraufhin gab sie ihm einen schmatzenden Kuss auf die Wange. „Gerne, meine liebe Käthe. Du bist eine tolle junge Frau. Ich freue mich jetzt schon auf deine Klarinettenkonzerte.“ Käthe strahlte über das ganze Sommersprossengesicht, immer seltener vermisste sie die Zigaretten.
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Uta verstaute den Einkauf im Kofferraum. Zum Glück durfte sie ihre drei Hunde bei Sandra und ihrer Tochter Claudi abgeben. Gestern beim Stricktreffen hatte sie nun endlich die restlichen Mitglieder kennengelernt. Uta war restlos begeistert. Sandra war eine unglaublich hilfsbereite und freundliche Person, die Uta sofort in ihr Herz geschlossen hatte. Auch ihre Tochter Claudi, erst zarte achtzehn Jahre alt, war ein ganz liebes Mädchen. Kein Wunder hatte sich ihre Schwester immer so wohl gefühlt hier. Sie wohnten in einer noch kleineren Gemeinde, direkt an der berühmten Neckarschleife. Mit den vielen Weinbergen, die spektakulär in den steilen Hängen der Felsengärten lagen, ein kleiner Geheimtipp sozusagen. Man konnte sogar den Fernsehturm von Stuttgart sehen.
Sandras Grundstück besaß einen großen Garten, in dem Hunde herzlich willkommen waren. Im Grunde genommen, verfügte das Haus über so viele Räumlichkeiten, dass sogar Platz für ein Strickcafe wäre. Doch hier in der Abgeschiedenheit war viel zu wenig los. Uta versprach, „In vier Stunden bin ich auf jeden Fall zurück. Ist das wirklich ok für euch?“ „Na klar, mach dir koi Sorge, es isch alles gut!“
Klara sah, wie Utas Auto vor der Garage parkte. Schnell lief sie die Treppen hinunter, um Uta die schweren Taschen abzunehmen. „I bin so froh, dass du mir hilfsch.“ Klara fing an zu weinen, denn es ging Adolf wirklich sehr schlecht.
Uta versuchte sie zu trösten. „Na komm, alles wird gut. Stell dir vor, wer morgen als Überraschungsgast kommen wird.“ „Oh nein! Moni kommt?“ Vor Freude heulte Klara noch viel mehr.
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Moni saß konzentriert und strickend auf der Couch. Im Hintergrund lief ein Krimi, dem sie aber nicht folgen konnte. Denn die ganze Zeit über dachte sie nach, wie sie ihrem Uwe vom geplanten Strickcafe erzählen sollte. Unbedingt heute noch wolle sie es loswerden. Sie hörte das Plätschern im Bad und musste schmunzeln. Er liebte es, den Geruch von Pferd und Stall in der großen, modernen Wellnesswanne abzuwaschen und dabei zu entspannen. Manchmal legte sie sich dazu, dann verwöhnten sie sich gegenseitig, tranken Sekt und pafften dicke, teure, vor allem unnötige Zigarren.
Nur mit dem Handtuch um die Hüfte marschierte Uwe nervös durchs Zimmer. Bruno beobachtete jeden Schritt. „Hilfst du mir bitte beim Packen, habe keine Ahnung was ich mit auf die Insel nehmen soll.“ Sein Handy klingelte, „Ah, es ist Georg.“
Kurze Zeit später ertönte das Piepsen von Uwes Diensthandy. Moni suchte seinen Blickkontakt, seine Geste deutete an, sie solle bitte rangehen.
Freundlich meldete sich Moni: „Dr. Ortners Apparat, hier spricht Moni Häberle.“
„Ähm, ja hallo Moni, ich bins Maria. Ist Uwe zu sprechen?“ „Im Moment leider nicht, soll ich ihm was ausrichten?“ „Also ja, gerne. Kannst du ihm bitte sagen, dass ich wieder im Dienst bin?“ „Alles klar, danke. Das mache ich gerne, tschüss Maria.“
Sie widmete sich wieder diesem neuen, schwierigen Zopfmuster. „Ich breche mir noch die Finger dabei, es ist total kompliziert!“ „Bestimmt eine gute Übung mein Engel! Machst du dann Schluss? Wir sollten ja bald los.“ Uwe umarmte sie vorsichtig, um ja nichts kaputt zu machen. Zärtlich hob er ihre Haare hoch und küsste ihren Nacken.
„Ja ja, ich weiß. Übrigens, es war Maria, die angerufen hat.“ Uwe hielt in seinen Bewegungen inne, blieb wie versteinert stehen.
„Maria?“ Aus seinem Gesicht wich sämtliche Farbe.
Moni drehte sich zu ihm.
„Sag mal hast du ein Gespenst gesehen?“
„Was...“, stotterte er, „Was hat sie dir gesagt?“
„Was sollte sie mir denn gesagt haben?“ Neugierig und verwundert legte Moni ihr Strickzeug beiseite und stand auf. Uwes Blick konnte sie nicht zuordnen.
„Schatz, was soll das?“
Er erzählte ihr, was sich vor kurzem in der Kantine abgespielt hatte.
Moni blinzelte, dann wurde sie stinkesauer. „Du hast Geheimnisse vor mir?
Du? Der gute Mister Saubermann? Wow! Na toll.“ Ihre Stimme überschlug sich.
„Nicht nur dass du heimlich trinkst, nein, jetzt gehts auch noch um andere Frauen! Nele heißt sie, ja? Und Maria? Das ist ja sagenhaft.“
Jetzt flippte sie regelrecht aus und klatschte laut in die Hände. „Ich kann die Schlagzeilen schon lesen: Berühmter, erfolgreicher Innsbrucker Chefarzt bumst Tochter und Mutter in einer Nacht
Klasse! Du schreckst ja vor gar nichts zurück. Na, da müsste ich mir auch den Hals mit Schnaps zu schütten!“
Ein anders Mal hätte sich Uwe womöglich gefreut, Moni endlich eifersüchtig zu sehen, doch jetzt war das ein ganz schlechtes Timing.
Entsetzt ließ sich Uwe aufs Sofa fallen, presste die Lippen zusammen, „Um Gottes willen, Liebling. Ich hab doch gar nichts gemacht. An diesem Tag, da ging es dir sehr schlecht. Da hatte ich keine Möglichkeit, dir davon zu erzählen. Es war ja auch ein irrsinniger Quatsch von Maria.“
„Ja genau. Nimm dich gerne selber in Schutz. Du hast nie Möglichkeiten, mir wichtige Dinge zu erzählen. Weißt du auch warum? Weil du nie Zeit hast! Es geht immer nur um dich und deine Klinik. Du und deine olle Scheinheiligkeit!“
Damit lief sie nach draußen Richtung Wald. Bruno knurrte, folgte ihr jedoch mit schnellen Sprüngen.
Wie ein Idiot saß er da, die Hände vors Gesicht. Und weinte bitterlich, mal wieder. „Mein Engel, oh mein Gott!“