„Wie ihr wisst, überlege ich schon seit längerer Zeit, was ich mit der Stadtvilla machen soll. Die Erdgeschosswohnung wird von uns schließlich seit längerer Zeit nicht mehr benötigt. Der Architekt Rolf Rösch würde sehr gerne mit seinem Büro und seinem Dackel in den oberen Etagen bleiben. Sein Sohn macht derzeit ein Praktikum bei ihm, er wohnt in der Mansardenwohnung. Das ist ok für mich, sie haben freundlich darum gebeten. Sie zahlen auch stets pünktlich die Miete, ich möchte ihm ungern kündigen. Der große Garten, nun, ihr wisst ja, niemand hat Zeit dafür. Ich fände es sehr schade, wenn das Anwesen verwildern oder verwahrlosen würde.“
Tina und Uwe nickten zustimmend.
„Gerne würde ich Käthe mit ihrer Kim und deren kranke Mutter die Wohnung überlassen.“ Ein lautes Raunen war zu hören, Käthe schlug sich die Hand vors Gesicht. Kim starrte fassungslos den Senior an. „Was? Aber... Das, das wäre ja wunderbar!“
„Es gibt aber natürlich ein paar Bedingungen“, die Mädels nickten eifrig. „Ihr seid gleichzeitig Hausmeister, Verwalter, Müllabfuhr und Gärtner. Noch dazu müsst ihr euch um die Nebenkosten kümmern. Von den Mieteinnahmen werden die Renovierungs- und Instandhaltungskosten gedeckt. Im großen Keller könnt ihr euch einen musikalischen Proberaum einrichten. Die Wände sind dick genug.“
Käthe strahlte, sie war überglücklich, denn die Villa lag ganz in der Nähe der Schule. Uwe meinte gelangweilt: „Und nun lieber Vater sagst du uns bestimmt noch den Grund, warum Tina und ich hier sitzen, wenn du bereits entschieden hast.“ Tina lachte, „Ich kanns mir denken.“ Sie rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Uwe grinste, „Ach so, ja, stimmt! Ich für meinen Teil verzichte natürlich.“ Georg freute sich. „Gut, danke mein lieber Sohn. Tina bekommt 850.000 € ausbezahlt, dann kann ich das Haus überschreiben.“
Tina klatschte in die Hände, „Du hast an meinen Gnadenhof gedacht, oder?“ Max küsste seine Frau liebevoll auf den Kopf. „Siehst du, jetzt klappt es doch noch!“ Tina bedankte sich bei Uwe mit einem dicken Kuss direkt auf den Mund. „Du mein Gönner, danke du Lausbub,“ sie boxte ihn spielerisch in die Seite. Dann nahmen sich die Geschwister herzlich in die Arme. Georg freute sich, so viele Menschen an einem Abend glücklich zu sehen. Rita freute sich ebenfalls, ihre eigenen Probleme sah man ihr nicht an.
Uwe sprang auf, um eine seiner besten Sektflaschen zu holen. „Darauf müssen wir anstoßen!“ Käthe und Kim konnten sich nun all ihre Träume verwirklichen. Das Thema „Wohin mit der Mutter“ war ebenfalls endlich geklärt. Ein eigener Proberaum? Das Leben war wunderschön! Käthe gab Georg einen Kuss auf die Wange, Kim erklärte feierlich, „Georg, du bekommst von unseren Konzerten immer eine kostenlose VIP-Karte.“
„Na, das will ich doch hoffen“.
Rita räumte den Tisch ab, kurz hielt sie inne. Da war er wieder. Dieser stechende Schmerz, der ihr für eine Sekunde den Atem nahm. Spätestens am Wochenende würde sie Georg einweihen.
***
Am Karfreitag klingelte schon um vier Uhr früh der Wecker. Mit Uwe trank Moni einen schnellen Kaffee, bevor sie in ihre schwäbische Heimat fuhr. Er wollte unbedingt abends mit dem Zug nach München zu kommen. Denn als Uwe erfuhr, dass Monis Exmann Paul auch beim Umzug helfen würde, war es zu einem weiteren Disput gekommen. Beinahe wäre er ausgerastet. Diese grundlose übertriebene Eifersucht musste er unbedingt in den Griff bekommen. Moni hatte ihm zur Strafe dafür einen Tag lang keinen Kuss gegeben. Abends hatte er ihr jedoch hoch und heilig versprochen, daran zu arbeiten.
So war es dazu gekommen, dass sie die Nacht gemeinsam in Tinas Stadthotel verbringen würden, welches er ihr schon so lange zeigen wollte. Aber in München lebte inzwischen Susan, daher hatten sie beide bis jetzt noch keine große Lust dazu verspürt.
Immer wenn Moni zu wenig Schlaf hatte, brachten sich diese ollen Kopfschmerzen in Erinnerung. Sie würde mit Victor darüber reden, bald hatte sie bei ihm den Kontroll-Termin. Er entschied darüber, wann sämtliche Schrauben, Platten und Nägel wieder aus ihrem Körper entfernt wurden.
Bruno blieb bei Käthe auf dem Hof. Sie hatte Olga versprochen mit ihr zur Karfreitagsmesse zu gehen. Kim hatte heute Frühschicht, alles war perfekt geplant.
Die Autobahn war wie erwartet frei, so dass Moni schon kurz nach 10 Uhr bei Lina eintraf. Diese war bereits ein einziges Nervenbündel und den Tränen nahe. „Muader, isch des schee,dass du scho do bisch. I schaffs net.“ Moni schmunzelte über diesen ausgeprägten Dialekt. Jetzt, mit dem Abstand zur Heimat, fiel ihr das erst richtig auf. Liebevoll nahm sie ihre Tochter in den Arm, „Das wird schon, wir schaffen das zusammen!“
Sie verstauten die ersten Koffer und Taschen in Monis Auto. Die Kleinen hüpften aufgeregt zwischen Wohnung und den Autos herum. „Mit Omi fahn, mit Omi fahn,“ Irene war nicht zu bremsen, sie belagerte Monis BMW. Lina verdrehte die Augen, „Die wellet mit dir fahrn“.
„Kein Problem.“
„Mama, moinsch i schaff die lange Fahrt?“ Moni nickte ihrer Tochter aufmunternd zu, „Na klar, hab keine Angst, heute sind die Straßen wie leer gefegt, zudem sind keine LKWs auf den Autobahnen.“
Linas Vater Paul kam ebenfalls mit seinem großen Wagen. Er wollte vor allem die kleinen Regale und sperrige Sachen transportieren. Flo half ihm beim Beladen. In Linas Auto passten perfekt die restlichen Boxen. Aus den Resten im Kühlschrank zauberte Moni einen Auflauf. Für die Fahrt schmierte sie ein paar Brote, Äpfel für die Kleinen waren schon im Auto. Schon um 14 Uhr waren alle startklar. Die Verabschiedung ging schnell und einfach über die Bühne. Bei Lina liefen ein paar Tränen, aber die Kinder winkten fröhlich dem Bauernhof und Flo zu. „Tsüß Papa Flo, mir gehn jetzt in die Datd,“ Irenes süßes Stimmchen trieb dem armen Kerl Tränen in die Augen. Er blinzelte sie schnell weg.
***
Unkonzentriert und nervös raste Uwe an diesem Tag durch seine Station. Schwester Heidi und Kim verstanden den Grund nicht. Verwundert schauten sie ihm hinterher. Immer wieder starrte er auf seine Uhr und fuhr sich dabei mit der Hand durch sein Haar. Während der Visite kramte er sogar nach seinem Handy. Moni hatte sich immer noch nicht gemeldet. In seinem Kopf spielten sich schreckliche Szenen ab:
Moni und Paul hatten Sex im Auto.
Moni und Paul hatten Sex auf einem Parkplatz.
Moni und Paul hatten Sex in München.
Er wurde schier verrückt mit seinen Gedanken. Er hastete zum Zimmer von Dr. Marowski, aber da heute Feiertag war, arbeitete er nicht.
Schlussendlich telefonierte er mit Thommy. Der Freund schaffte es wie immer, ihn auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen. „Uwe, also echt! Du spinnst absolut. Deine Moni hat bestimmt jede Menge zu tun, ihr seht euch doch heute Abend, oder?“ Nach dem Anruf zog Uwe seinen Mantel aus und verabschiedete sich. In der Innsbrucker Wohnung lag seine gepackte Tasche bereit. Er sah sich um, es gelüstete ihn dermaßen nach Whiskey, da wurde ihm bewusst, dass er ein echtes Problem hatte. „So eine Scheiße!“ Seine Narbe an der Schläfe leuchtete dunkelrot. Mit zitternden Fingern schnappte er sich zwei Äpfel und rannte zum Bahnhof.