Moni fühlte sich schnell wohl in der neuen Wohnung. Es fehlten nur noch ein paar Kleinigkeiten. Nach und nach würde sie die Einrichtung vervollständigen. Die Zeit verging wie im Nu, entweder hatte sie Besuch oder sie war unterwegs mit ihren Freundinnen. Bruno liebte den großen Garten, auch er hatte sich rasch eingelebt. Claudi kam ab und zu vorbei und spielte gerne den Hundesitter. Die Vorfreude auf das Strickcafé war bei allen Beteiligten riesengroß.
Klara hatte Moni gebeten, mit ihr ins Krankenhaus zu fahren, um Adolf zu besuchen. Es sah nicht gut aus für den alten Mann. Zu seiner Diabeteserkrankung kam nun noch eine Niereninsuffizienz dazu. Moni übernahm das Gespräch mit dem Stationsarzt. Sie ließ sich die weitere Vorgehensweise und Therapie erklären. „Leider ist ihr Schwiegervater einiges zu spät zum Arzt gegangen. Wir können nicht mehr viel für ihn tun.“ Moni bedankte sich freundlich für seine Ehrlichkeit und notierte sich die Fachbegriffe. Heute Abend würde sie Uwe davon erzählen und ihn um seine Meinung dazu bitten. Vielleicht konnte er den Arzt sogar anrufen.
Beim Abschied steckte Moni der weinenden Klara einen weiteren Umschlag mit Geld zu. „Moni, du bisch so a liebe Fra“, sie bedankte sich überschwänglich bei ihrer Schwägerin.
***
Die erste Nacht verbrachte Uwe in der Klinik. So konnte er seinen frisch operierten Patienten engmaschig betreuen und überwachen. Gleich am nächsten Tag bestätigte ein aktuell durchgeführtes MRT, dass Uwe den Tumor komplett entfernt hatte. Der Patient zeigte keinerlei Ausfallerscheinungen, es ging ihm den Umständen entsprechend sogar richtig gut.
Am nächsten Tag fuhr Uwe nach Montan. Hier wartete nicht nur Rondo sehnsüchtig auf einen Ausritt mit seinem Herrchen, sondern auch Lara und Linus. Die Kinder freuten sich darauf, endlich wieder mit ihrem Onkel zu spielen. Außerdem würde er bestimmt ein Überraschungsei mitbringen. Uwe genoss die Zeit auf dem Hof, aß Ritas leckeren Kuchen, erzählte seinem Vater von der gelungenen Operation und bedankte sich bei Karl für die gute Pflege von Rondo. Abends gingen die Männer zusammen in den Gasthof und spielten Karten.
Hier in Montan, ohne seine Moni zu übernachten, löste in Uwe ein seltsames Gefühl aus. Er fühlte sich einsam und verlassen. Am frühen Morgen ließ er sich von Herrn Rudel abholen. Ein stressiger Tag in der Klinik erwartete ihn. Doch er freute sich darauf, verging die Zeit doch wie im Nu.
Müde und ausgelaugt ließ sich Uwe abends auf die Couch nieder. Er war zurück in der Innsbrucker Wohnung. Von Moni erhielt er folgende Nachricht: Schatz, bei mir wirds heute später. Wir Mädels gehen lecker essen und danach ins Kino. Ich schicke dir viele liebe Küsse!
Uwe hatte sich eigentlich auf ein ausgiebiges Telefonat mit Moni gefreut. Enttäuscht schloss er seine Augen, schnell döste er ein. Nach über einer Stunde wachte er hungrig auf und bestellte sich Pizza sowie einen Salat. Während er auf das Essen wartete, telefonierte er mit Eva. Sie versicherte ihm, dass auf Station alles ruhig war. „Genieß deinen Feierabend, den hast du dir verdient!“
Gelangweilt zappte er durch die Programme, knabberte an seiner Pizza und spürte die Macht der Einsamkeit. Das Gefühl der Verlassenheit, weckte in ihm diese Traurigkeit und trieb ihm Tränen in die Augen. Er öffnete eine Flasche Bier, lehnte sich zurück und wählte die Nummer von Thommy. Vielleicht konnte ihn der Freund auf andere Gedanken bringen. Doch leider war er bei einem Einsatz. Mit Resi unterhielt er sich nur kurz und wünschte ihr einen schönen Abend.
Seufzend stand er auf und lief hinaus in den Garten. Es regnete in Strömen, trotzdem setzte er sich auf den Gartenstuhl und überlegte, wie er den Abend verbringen könnte. Da ihm nichts Sinnvolles einfiel, ließ er Wasser in die Wanne laufen. Er kramte die Kiste mit den Zigarren hervor, öffnete ein weiteres Bier und legte eine seiner Lieblings-CD in die Anlage. Das durch ein Handtuch geschützte Telefon wartete direkt neben der Wanne auf dem Beistelltisch, wo auch schon eine Flasche Wein stand.
Von der Band Nightwish tönte laut der Song Dead Boy’s Poem durch die Wohnung.
Er sog an der qualmenden Zigarre, summte die Melodie mit und übersetzte im Geiste den Text des Liedes:
...So viel zum leben, so viel zum sterben,
wenn doch bloß mein Herz ein zu Hause hätte,
Sing, was du nicht sagen kannst,
Vergiss, was du nicht spielen kannst,
Eile, um in wunderschönen Augen zu ertrinken,
Gehe mit meiner Poesie, dieser sterbenden Musik,
- mein Liebeslied an niemanden...
Inzwischen hatte Uwe das zweite Glas Rotwein eingeschenkt. Genussvoll trank er in kleinen Schlückchen, dachte dabei an die Sängerin des Liedes, in die er früher mal verknallt war. An ihre grünen Augen, die langen schwarzen Haare, dabei überlegte er krampfhaft, ob Moni ihr ähnlich sah. Dann war der Moment gekommen, vor dem er sich so gefürchtet hatte. Die Sehnsucht nach seiner Herzdame traf ihn mit aller Wucht.
Mit einem Anruf bei seiner Schwester versuchte er sich abzulenken, doch diese war leider ebenfalls nicht zu erreichen.
Uwe öffnete sein digitales Fotoalbum auf dem Handy und klickte durch die schönsten Bilder von Moni. Er schloss die Augen, stellte sich vor, wie sie bei ihm nackt in der Wanne liegen würde. Dachte an ihre wunderschönen Brüste und spürte, wie die Sehnsucht nach ihr langsam Besitz von ihm ergriff.
Diese starken Gefühle, erinnerten ihn an seinen tiefsitzenden Schmerz. Verzweifelt versuchte er, diesen in Alkohol zu ertränken.
In kürzester Zeit leerte er die ganze Flasche. Erst als Uwe das in der Zwischenzeit eiskalt gewordene Wasser fühlte, fing er an zu weinen und stieg aus der Wanne. Im Hintergrund lief immer noch die Nightwish CD in der Endlosschleife.
Eingemummelt in den Bademantel suchte er im Kleiderschrank nach der Whiskeyflasche, welche er selber versteckt hatte.
Endlich, nachdem er schon die Hoffnung aufgegeben hatte, erklang die Melodie seines Klingeltons.
„Mein Engel, ich vermisse dich so sehr.“
„Schatz, ich komme schon morgen Abend wieder zurück.“
„Ich weiß, dennoch, es iss ... du bist... es iss ganz schlimm, dieses Mal. Ich... ich... fühl mich einsam, ich möchte dich bei mir haben...dich schpüüren...“
Moni schaute lange Zeit auf ihr Handy. Wie seltsam seine Stimme klang, was um alles in der Welt quasselte er da?
Da kam ihr ein schrecklicher Gedanke: „Sag mal, bist du betrunken?“
„Ja, glaub schon.“ Uwe antwortete ehrlich.
Lange Zeit war es still, bis Moni enttäuscht ihre Stimme wiederfand.
„Ach Uwe, du musst damit aufhören! Und jetzt?“
„Kannichdichsehen?“, flehte der Chefarzt.
Sie beendeten das Gespräch, um per Videochat eine neue Verbindung aufzubauen.
Dann lächelten sie sich zu, küssten sich durchs Telefon. Uwe streichelte zärtlich über das Display, „Mein Engel, wie schöndubisss“, dann schlief er auf der Couch ein.
Monis Laune war komplett dahin. Dabei hatte sie so einen fröhlichen Abend hinter sich.
Sie biss sich auf die Lippe und spürte, wie sich der Ärger in ihr breitmachte. Auf so was hatte sie absolut keine Lust. Am Liebsten würde sie eine weitere Nacht hierbleiben. Das aber konnte sie ihm nicht antun.
Vielleicht war Uta noch wach, sie benötigte dringend jemanden zum Reden. Sie wählte ihre Nummer und tatsächlich meldete sich ihre Schwester. „Huch Moni, ist was passiert?“
„Ja, irgendwie schon. Hast du Zeit? Ich muss dir dringend was erzählen.“
„Schieß los, ich kann sowieso nicht schlafen. Um was geht es denn?“
„Es geht um Uwe. Er ist Alkoholiker und ich weiß nicht, ob ich damit umgehen kann.“
„Was? Um Gottes Willen. Das ist ja schrecklich!“