Hilfe! Doktor! Wir brauchen Doktor! We urgently need a doctor“, eine männliche Stimme schrie laut. Moni bekam es mit der Angst zu tun. Heftig schüttelte sie ihren Uwe. „Wach auf, Schatz! Wach auf, man braucht einen Arzt! Komm!“ Uwe reagierte blitzschnell und zog sich sein Shirt und die Shorts an, während er die Tür einen Spalt breit öffnete. Der Nachtportier des Hotels stand mit verzweifeltem Gesichtsausdruck und hektischen Armbewegungen da. Moni entdeckte zwei der Blondinchen vom Schiff, sie rannten hysterisch den Gang rauf und runter.
„Liebes, bitte zieh dir was an und bringe mir meinen Notfallkoffer!“ Uwes Stimme wirkte ruhig und sanft wie immer.
Der Nachtportier konnte sich nur auf Englisch mitteilen, „Bitte Herr Doktor, in der Suite vorne gibt es einen Notfall. Der Rettungsdienst ist schon alarmiert, es sieht nicht gut aus, bitte kommen Sie mit“. Mit schnellen Schritten entfernten sich die beiden. Moni bekam vor Aufregung kaum Luft, das leichte Klopfen in der Schläfe kündigte Kopfschmerzen an. Umständlich zog sie sich Hose und Shirt an, suchte den Koffer und rannte aus dem Zimmer. Sie hörte, wie sich Uwe mit dem Portier am Ende des Korridors unterhielt. Sie sprachen inzwischen einen Mix aus englisch, italienisch und deutsch.
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Lina trug die kleine Irene vorsichtig zurück ins Bett. Das süße Gesichtchen war heiß, die Wangen leuchteten rot. Sie hatte Fieber und den ganzen Abend geweint. So gerne hätte Lina ihre Mama angerufen und Aufmunterung benötigt. Doch erstens war es inzwischen Mitten in der Nacht und zweitens befand sie sich schließlich im Urlaub. Sie gönnte es ihrer Mutter, natürlich. Lina war ja überglücklich, dass sie alles so gut überstanden hatte. Aber trotzdem kam sie sich hier in München manchmal einsam und vernachlässigt vor. Sie vermisste ihre Mama und ihre Heimat. Immer wieder dachte sie an den vergangenen Herbst, an den Unfall, der alles veränderte. Beim Gedanken an den rabiaten Flo wurde es ihr schlecht.
Sie schaute sich im Kinderzimmer um, atmete tief ein, warf einen Blick auf das zweite Bett, lächelte ihren Sohn an und gab ihm vorsichtig einen Kuss auf die Stirn. Sie hatten ein gutes Leben hier in der Einrichtung. Der freundliche Betreuer Simon, den Lina heute neu kennen gelernt hatte, kam ihr in den Sinn. Der Gedanke brachte sie zum Lächeln. Vermutlich war sie ein wenig verliebt. Es war mehr eine Schwärmerei. Vielleicht würde auch sie bald ein normales Leben führen können? Mit diesen schönen Gedanken schlief Lina auf dem Kinderzimmerboden ein.
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Dr. Uwe Ortner fand einen leblos wirkenden Oligarchen Usmanov vor. Er brachte ihn in die stabile Seitenlage, überprüfte Puls und Atmung. Doch leider zeigte der alte Mann keinerlei Reaktionen. Uwe riss ihm das Hemd vom Leib, drehte ihn wieder auf den Rücken und begann sofort mit der Herzdruckmassage. Der Portier schob die weinenden Mädchen aus dem Zimmer.
Uwe gab Moni ein Handzeichen, daraufhin kniete sie sich neben ihn. In dieser Suite roch es unangenehm sauer. Richtig ekelhaft sogar. Der alte Mann stank fürchterlich nach Schweiß und anderen Ausdünstungen. Moni würgte und hielt sich die Hand vor den Mund. Eigentlich würde sie am liebsten wieder davon rennen. Uwes sprach mit seiner ruhigen, doch sehr ernsten Stimme leise zu ihr: „Hör zu mein Liebling. Atme tief durch. Herr Usmanov hat einen Herzinfarkt. Wir werden ihn jetzt retten, ja? Oben links im Koffer ist ein rotes Fach, da drin ist eine Infusionsflasche, auf der ist ein Herz Symbol zu sehen.“ Moni fing an zu schwitzen, ihre Hände zitterten, sie nickte. „Ok, ja, hab ich.“ „Siehst du die eingepackten Kanülen und Spritzen unten links?“ Ruhig und besonnen reanimierte er wie beiläufig den dicken Körper. Moni gab ihm zitternd und angewidert das rettende Medikament, welches die Blutgefäße erweiterte und Blutgerinnsel vorbeugte.
„Bitte öffne die Folie der Einweghandschuhe und ziehe sie mir über, sobald ich hier aufhöre. Die Handschuhe liegen im unteren Fach. Siehst du das Desinfektionsmittel? Leg es mir bitte zusammen mit dem kleinen Wattebausch bereit. Er ist in einer Tüte daneben.“ Moni nickte und kramte aufgeregt nach den gewünschten Sachen. Das hier, das war nichts für sie, so gar nicht. Sie war schließlich keine OP Schwester. Nein, nie im Leben. Sie spürte den Drang sich zu übergeben und nur mühsam gelang es ihr, diesem Drang nicht nachzugeben. „Ruhig bleiben, schön langsam weiteratmen mein Engel. Schau her, bitte! Mach genau so, in diesem Rhythmus, weiter hier.“
Der Schweiß tropfte ihr von der Stirn. Sie spürte noch immer den Würgereiz. Nickend und mit einem dicken Kloß im Hals reanimierte Moni zum ersten Mal in ihrem Leben einen Menschen. Einen ekelhaft stinkenden, hässlichen unsympathischen Oligarchen. Uwe hatte dem Patienten inzwischen eine Spritze verabreicht und war gerade dabei die Infusion zu legen, da wurde die Zimmertüre aufgerissen. Zwei weiß bekleidete Männer stürmten herein. Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, begrüßte Uwe diese auf Italienisch. Es schien eine Art Übergabe zu sein. Uwe redete und zeigte auf die Infusion. Der Hotelangestellte half Moni auf einen Stuhl, inzwischen zitterte sie am ganzen Körper. Sie hatte das Gefühl, inzwischen selber ein Notfall zu sein.
Der Oligarch fing an zu stöhnen und zu röcheln. Uwe redete beruhigend auf ihn ein. Der Mann lebte! Er hustete und gab seltsame Laute von sich. Alle klatschten Beifall, die blonden Mädels sprangen herein, sie schrien hysterisch laut und eine fing an zu heulen. Jetzt erst löste sich bei den Anwesenden die Anspannung.
Zwei Hotelangestellte brachten Kaffee, Tee, Cola und eine Flasche Schnaps. Moni entschied sich für den Schnaps und leerte das kleine Glas in einem Zug. Der Schock stand ihr ins Gesicht geschrieben. Herr Usmanov lag bereits auf der Trage der Rettungskräfte. „Danke, oh danke du bist guter Kerrrrl. Und auch Frrrrrau, sehr gute Frrrrau!“ Sagte der dicke mächtige Kerl in einem harten Dialekt. „Ihrrr habt was gut!“ Dann schoben sie ihn davon. Uwe lächelte freundlich und nahm sich dankend eine Flasche Cola und ebenfalls einen Schnaps.
Uwe füllte ein Formular aus, dann wurden Moni und Uwe vom Hotelpersonal aufs Zimmer begleitet. „Haben Sie noch irgendwelche Wünsche? Nach diesem Vorfall möchten wir Sie bitten, doch noch einen weiteren Tag unsere Ehrengäste zu sein. Sozusagen als Dankeschön für Ihre großartige Hilfe.“ Uwe nickte und bedankte sich freundlich, nahm seine Moni in den Arm. „Du warst mir eine tolle Assistentin!“ Aber ihr war immer noch schlecht, sie hatte diesen furchtbaren Geruch in der Nase. „Uwe, es war ekelhaft für mich. Ich will das nicht, bitte! Ich kann das nicht! Nie wieder!“ Zurück in der Suite verschwand sie für lange Zeit im Badezimmer.