Sie saßen mit ihren Kaffeetassen in der Abendsonne auf der Terrasse der Kantine. Maria nahm Uwes Hand. „Es tut mir so leid, die Sache mit Moni.“ Uwe nickte, „Danke, das ist lieb von dir. Na, was möchtest du denn mit mir bereden?“ Vorsichtig zog er seine Hand zurück, um damit an seinem Augenverband herumzunesteln.
„Uwe, stell dir vor, meine Tochter ist wieder in Innsbruck. Du weißt doch, Nele! Nach drei Jahren ist sie endlich aus Südamerika zurückgekehrt und hat gleich nach dir gefragt. Sie würde gerne mal mit dir ausgehen. Ihr habt euch doch früher so gut verstanden. Hattet ihr nicht mal ein Date?“ Uwe war perplex. Er fühlte sich überrumpelt und völlig überfordert. „Aber ... Maria! ... Ich und Moni...“
„So wie es aussieht, brauchst du doch einen Tapetenwechsel, oder? Die Beziehung mit Susan ist ja längst Geschichte und das mit Moni“, sie hielt inne und lächelte ihn liebevoll an. „Das wird doch nichts mehr, oder? Schau dich an! Du bist ja völlig fertig! Es wäre ja auch nichts dabei...“
„Aber Maria!“
„Oder noch besser, ihr kommt zu mir. Gerne backe ich einen Kuchen, gleich morgen Nachmittag?“
„Maria!“ Uwe schlug mit der Faust auf den Tisch und stand auf. „Hör sofort auf damit!“
Doch sie unterbrach ihn ein weiteres Mal.
„Uwe, ich liebe dich! Ich liebe dich wie meinen eigenen Sohn...“ Sie verstummte und blickte schüchtern zu Boden.
Auch das noch!
Langsam ließ sich Uwe zurück auf seinen Stuhl gleiten, schloss die Augen und schluckte. Seine Stimme klang sehr wütend. „Maria, es tut mir wirklich leid, wir sind gute Freunde, ja. Wir kennen uns schon eine Ewigkeit. Ja! Und du bist eine hervorragende Oberschwester und Stationsschwester. Wir waren schon immer ein gutes Team. Aber das geht jetzt absolut zu weit. Schluss damit! Ich ziehe hier eine Grenze. Ich möchte weder mit dir, noch mit deiner Tochter zusammen sein!
Ich liebe Moni, und das wird sich nie wieder ändern, egal was passiert. Hörst du? Wir werden heiraten!“
Stinkesauer rannte er davon. Sein einziger Gedanke war die Whiskyflasche für den angeblichen Freund. Er hatte sie im Arztzimmer versteckt. Doch unterwegs traf er auf Victor, der ihm ein Tablet in die Hand drückte. „Hier schau, die Bilder und Auswertungen von Herrn Moser! Einzigartig!“ Stolz tätschelte der Oberarzt seinem Chef auf die Schulter. „Du bist ein Genie!“ Uwe streckte die Arme in die Höhe. Genervt schrie er laut: „Ja, ein absoluter Genie!“
Leise klopfte Uwe an Monis Tür und trat ein. Das Fenster stand auf, aus dem Fernseher dudelte Musik. Moni lag auf ihrer Decke und hatte die Augen geschlossen. Doch sie wackelte mit den Zehen, er setzte sich zu ihr auf die Bettkante. „Mein Engel, wie geht es dir?“ Ihre Antwort bestand aus einem Seufzen. Wie immer streichelte er zärtlich ihre Hand, da sah er das Blut unter ihren Nägel. „Huch mein Liebling, was ist das denn?“ Doch sie zuckte nur mit den Schultern. Die Augen hatte sie inzwischen halb geöffnet.
„Kommt bestimmt vom Kratzen, es juckt so.“
„Aber was denn?“ „Na die Kopfhaut, meine Haare, sie sind seit Tagen nicht gewaschen.“
Erleichtert lächelte er seine Herzdame an. „Gehen wir ins Badezimmer? Ich helfe dir gerne.“ Er küsste sie zärtlich auf die Wange. „Oder möchtest du schlafen?“ Sie nickte, „Ich mag jetzt nicht aufstehen.“ Verständnisvoll streichelte er Monis Haare, welche inzwischen strähnig, teilweise sogar verknotet waren. Uwe kuschelte sich zu ihr auf das Bett und nahm sie liebevoll in seine Arme. Er genoss die Nähe und Wärme. Lange sagten beide kein Wort, sie lagen nur da und hielten sich fest. Dann brach Moni in Tränen aus.
„Bitte, geh jetzt! Ich brauche Zeit. Zeit für mich, für diese Gedanken, für meine Erinnerungen. Ich möchte alleine sein. Bitte, kannst du es verstehen?“
Natürlich verstand er das nicht.
Traurig lief er in sein Zimmer, wischte sich die Tränen weg. Hilflos kramte er die Flasche aus dem Schrank, öffnete sie und nahm einen großen Schluck. Der Whiskey brannte in seiner Kehle. Er schloss die Augen, welch wunderbarer Schmerz. Das Piepsen in seinem Arztkittel erinnerte ihn daran, dass er im Dienst war. Vorsichtig spähte er ins Schwesternzimmer. Maria konnte er nirgends sehen. Heidi war es, die mit ihm zusammen die Nachtschicht übernahm. Sie besprachen die allgemeine Lage und was heute noch zu tun war. Zum Schluss ließ er sich von ihr einen neuen Verband anlegen. „Chef, das sieht schon viel besser aus. Die Haut ums Auge wird aber noch ziemlich bunt werden.“ Sie lächelten beide, dann besuchte er seine Patienten.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Moni schlief, gab Uwe im Schwesternzimmer Bescheid, dass er sich jetzt hinlegen würde. Einer der Assistenzärzte versicherte, sich um anfallende Kleinigkeiten zu kümmern. Es war schon nach Mitternacht und er war hundemüde. Auf dem Display seines Handys entdeckte er zwei verpasste Anrufe und eine Nachricht von Georg. Den Rückruf verschob er auf morgen. Uwe genehmigte sich großzügig einen weiteren Schluck, bevor er sich und seinem Körper den dringend benötigten Schlaf schenkte. Was für ein irrsinniger Tag, war sein letzter Gedanke.
***
Sie kamen ohne Stau gut in Linz an. Rita war sehr aufgeregt. „Ich bin bei dir, meine Liebste, hab keine Angst,“ waren die beruhigenden Warte von Georg.
Den Wagen konnten sie kostenlos im Parkhaus unterstellen. Nach der Ankunft und den ersten Gesprächen sowie kleinere Voruntersuchungen, wie Blutabnahme und Ultraschall des gesamten Bauchraumes, begleitete Georg seine Rita in ihr Komfort-Einzelzimmer. Für ihn wurde eine Liege neben das Krankenbett gestellt, so dass er jederzeit in ihrer Nähe sein konnte. Er kannte einige der Ärzte dieser Klinik sehr gut und war deshalb zuversichtlich.
Für Rita begann nun der lange Prozess des Abführens, eine weitere wichtige Vorbereitung für die vielen Untersuchungen, welche am nächsten Tag stattfinden würden. In dieser Zeit schickte sie ihn weg. „Ich möchte nicht dass du dabei bist, ich finde das nicht schön.“ Georg verstand sie, gab ihr einen lieben Abschiedskuss und nutzte die Gelegenheit, um in das gebuchte Zimmer im Gästehaus, welches zur Klinik gehörte, einzuchecken. Hier konnte er seine persönlichen Sachen und Kleider unterbringen. Er buchte für sich Halbpension und nahm sich vor, die Mahlzeiten hier einzunehmen, damit Rita nicht neidisch sein musste. Für sie war Essen die nächsten Tage wahrscheinlich tabu. Nach einer angenehmen Dusche in dem luxuriösen, eleganten Badezimmer legte er sich erschöpft aufs Bett, zappte durch die Fernsehprogramme. Er meldete sich bei Olga auf dem Hof, bei Tina und zum Schluss in der Klinik. Uwe war nicht zu sprechen, er würde sich bestimmt zurückmelden. Es gab ja sowieso noch keine Diagnose und Ergebnisse zu berichten.