Karl saß bei Kerzenlicht und einer Flasche Wein alleine in seiner kleinen Stube. Die Gedanken an sein schreckliches Schicksal machten ihm das Leben schwer. Durch den Brand hatte er nicht nur Haus und Hof verloren, sondern auch seine liebe Frau und drei Pferde. Beinahe hätte er sich das Leben genommen, doch da gab es schließlich Felix, seinen Sohn. Für ihn lohnte es sich, weiterhin zu funktionieren. Es grenzte an ein Wunder, dass Felix hier in Montan eine freie Azubi-Stelle als Koch gefunden hatte. Zusätzlich das Glück, dass sie beide hier auf dem Wagnerhof ein neues Zuhause gefunden hatten. Die Stelle als Stallbursche war einmalig, denn sie war gut bezahlt, noch dazu hatten sie Kost und Logis frei. Tagsüber arbeitete er, abends hing er seiner Trauer nach. Mehrmals in der Woche betrank er sich.
Dann sah er diese wunderschöne Frau, die in ihm sonderbare Gefühle erwachen ließ. Bald würde sie etwa 800 Meter von ihm entfernt wohnen. Zusammen mit einem der reichsten Männer Österreichs. Das Leben war unfassbar hart.
Erst neulich hatte er zufällig von Max erfahren, dass Uwe mit dem Gedanken spielte, sich ein Pferd zu kaufen. Dann wäre Moni womöglich ebenfalls öfters im Stall? Auf der einen Seite freute es ihn, aber auf der anderen...
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„Guten Morgen mein Engel, ich habe einen Notruf erhalten, deswegen bin ich schon weg“, Uwe gab Moni einen dicken Kuss. Sie murmelte unverständliche Worte, drehte sich schnell wieder um, dabei zog sie die Decke über den Kopf.
Als Moni später Richtung Küche schlenderte, sah sie Georg an der Terrassentür mit einer Tasse in der Hand. „Guten Morgen, bist du noch nicht in der Klinik?“ Georg drehte sich zu Moni um und strahlte sie an. „Hey, guten Morgen Sonnenschein. Meinen ersten Termin habe ich erst um acht.“
„Frühstückst du mit mir? Es gibt Rührei ohne Zwiebeln, dafür mit Apfel,“ Moni lachte, „Gerne,“ freute sich der Senior-Chefarzt.
„Sag Georg, was denkst du, wann kommen meine Erinnerungen wieder? Warum habe ich immer wieder diese hartnäckigen Kopfschmerzen?“
Georg schaute sie lange an, schürzte die Lippen und fuhr sich mit der Hand übers Kinn. Dann schüttelte er leicht den Kopf, „Es tut mir so leid Moni, ich habe keine Ahnung. Wir haben überhaupt keine Erklärung, ich persönlich denke es ist psychosomatisch. Was deine Erinnerungen betrifft, sie werden kommen, auf jeden Fall! Gib dir Zeit. Meine Idee wäre, fahr nach Toblach, geh hoch auf den Monte Piano.“ Er hielt einen Moment inne, „Und mach dich darauf gefasst, dass es eine schwere Zeit wird“, Moni nickte.
Georg beobachtete sie weiterhin. „Was ist?“ Moni wurde nervös.
„Als Arzt möchte ich dir sagen, dass du eine sehr tapfere und starke Kämpferfrau bist.
Als Mann möchte ich dir sagen, dass du eine sehr hübsche, sympathische Frau mit ordentlich Sexappeal bist.
Als Vater von Uwe möchte ich dir sagen, herzlich willkommen in unserer Familie! Ich freue mich sehr für meinen Sohn. Er wirkt so lebendig, fröhlich, dynamisch ...“ Schmunzelnd zog er davon.
Moni blieb noch ein paar Minuten sitzen und dachte über Georgs Worte nach.
Bei einem kurzen Besuch auf Station traf sie auf Nicole. Moni erzählte ihr vom heutigen Vorhaben. Doch diese hörte gar nicht richtig zu, ganz aufgeregt verkündete sie: „Du, Moni. Stell dir vor, ich bin schwanger.“ „Was? Na, das ist ja wundervoll!“ Moni nahm Nicole überschwänglich in die Arme.
„Pssst, es ist noch ganz früh. Niemand weiß es bis jetzt.“
„Ich schweige wie ein Grab!“
Dann schaute Moni bei ihrem Uwe-Schatz vorbei, doch er war bereits steril eingepackt und konnte lediglich durch die Glasscheibe winken. Er hob den Daumen, nickte ihr aufmunternd zu und zwinkerte. Neben ihm stand Maria und himmelte ihn an, wie immer. So humpelte sie alleine Richtung Autohaus. Inzwischen freute sie sich wahnsinnig auf den BMW.
Um den Wagen hatte man ein breites rotes Band mit Schleife gelegt. Überall waren Luftballons angebracht. Rote Rosenblätter lagen verstreut auf dem Boden. Moni knipste viele Fotos und schickte sie ihren Töchtern und Uwe. Feierlich übergab man ihr den Schlüssel, erklärte ihr alle wichtigen Funktionen, Schalter und Knöpfe. Das große Tor ging auf und sie fuhr die ersten Meter mit dem Hybrid. Die Mitarbeiter des Autohauses drehten dazu ein Video, welches man ihr später schicken würde.
Ganz zum Schluss wurde ihr Handy mit dem Auto gekoppelt und das Navi eingestellt. Auch hierzu gab es viele Informationen. Sie hoffte, dass sie sich das alles merken konnte. Aufgeregt und vorsichtig lenkte Moni den schicken BMW in Richtung Montan, denn heute kamen die ersten Möbel an.
Eine Obsession aus Holz, Aluminium, Glas und Edelstahl erwartete sie. Es handelte sich um handgefertigte Einzelstücke, ganz nach ihren Wünschen hergestellt. Olga nahm Moni freudestrahlend in Empfang, Franz winkte lächelnd aus dem Stall. Aaron, der Schäferhund von Georg sprang aufgeregt herbei, schnupperte an ihr und lief ums Auto. Er suchte seinen Spielkameraden Bruno. Moni streichelte ihn, „Feiner Hund, jaa feiner Hund, bald kommt der Bruno wieder.“
Ein wohliges Gefühl breitete sich aus. Sie liebte die Menschen, diesen wunderbaren Ort und die Landschaft sowie diese frische Luft hier oben. Ja, so fühlte sich es an, wenn man nach Hause kam. Oder?
Schnell lief sie nach oben in den Neubau, um die Prachtstücke in Augenschein zu nehmen. Der Wohnzimmertisch, die beiden Sessel und die Couch standen bereits an Ort und Stelle. Sprachlos stand Moni davor und bewunderte die einzigartigen Möbel, streichelte vorsichtig darüber. Sie sah sich in der Wohnung um, im Badezimmer gab es noch einiges zu tun. In Uwes Büro fehlten die Holzdecke und der Wandanstrich. Erst dann konnte auch für diesen Raum das Mobiliar geliefert werden. Das kleine Gästezimmer neben dem Büro war bereits fix und fertig.
Die Mitarbeiter der Firma hatten freundlich nachgefragt, ob sie Fotos von der fertig eingerichteten Wohnung schießen dürften. In einem neuen Prospekt sollte dieser Artikel erscheinen, unter dem Namen Landleben 2.0. Moderne trifft auf Tradition. Dafür bekämen sie die Balkonmöbel umsonst. Also stimmte es doch, dass der Hahn immer auf den größten Misthaufen scheißt.
„Nächsten Freitag liefern wir Bett und Schlafzimmerschrank“. „Super, das sind sehr gute Neuigkeiten, vielen lieben Dank.“ Moni gab den Möbelpackern ein ordentliches Trinkgeld und verabschiedete sich wieder. Sie nutzte den Besuch auf dem Hof, um mit den Frauen ein kleines Kaffeekränzchen abzuhalten. „Bald ist es soweit. Ich freu mich so sehr auf euch!“ Olga saß kerzengerade auf dem Stuhl, ihren Wangen waren rot vor Aufregung und sie strahlte mit Moni um die Wette. Max und Tina kamen kurz vorbei, um das neue Auto zu bestaunen. In der Zwischenzeit begrüßte Moni die Kühe.
Auf der Rückfahrt sah sie den schüchternen Stallburschen Karl an der Pferdekoppel stehen. Sie fuhr extra langsam, ließ die Scheibe herunter, um auch ihn freundlich zu begrüßen. „Hallo Karl, wie gehts?“ Dieser senkte den Kopf, hob aber die Hand zum Gruß, „Guten Tag, Moni, alles gut und bei dir?“ „Alles Bestens, bis bald, dann sehen wir uns öfters, ja?“ Freudig fuhr Moni zurück nach Innsbruck. Sie genoss es, in dieser faszinierenden Bergwelt unterwegs zu sein, ohne dass es sich um eine Urlaubsreise handelte. Tief in ihrem Inneren spürte sie gleichzeitig eine Art Sehnsucht.
Herbert, immer wieder kam er ihr in den Sinn. Sie streichelte sich über ihre Brust. „Schatz, du wirst immer in meinem Herzen sein.“ Sie fuhr rechts ran, um sich ordentlich auszuweinen. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie den Termin mit dem Pfarrer verpasst hatte.
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„Warum ist Käthe schon wieder weg? Wollte sie nicht mehrere Nächte hier sein?“ Otto blickte skeptisch drein. „Ja, das dachte ich auch. Scheinbar ist sie viel lieber bei Lina und den Kindern.“ „Diese Tatsache ist mir völlig neu. Hatten sie nicht immer Streit?“ Uta zuckte mit den Schultern, „Es hat sich viel verändert bei Käthe. Sie ist auf einem sehr guten Weg, finde ich.“ Otto hatte schlechte Laune. Uta verstand ihren Mann nicht, er war doch sonst immer voller Sorge um seine Käthe. „Freust du dich nicht?“
Doch Otto lief mürrisch, ohne seiner Frau eine Antwort zu geben, aus dem Zimmer.