Mit nur einer Pinkelpause kamen sie nach einer dreistündigen Fahrt gut gelaunt am Mirabellenhof an. Moni hatte mit den Kindern Lieder gesungen und ihnen erklärt, wie wichtig Äpfel sind. Brav nagten die Kleinen schon über eine Stunde daran herum. Sie parkte direkt am Eingang des Hauses. Das Display auf ihrem Handy leuchtete, sie hatte drei verpasste Anrufe von Uwe, dazu zig Nachrichten. Peinlich fiel ihr ein, dass sie sich nicht wie versprochen bei ihm gemeldet hatte. Schnell drückte sie auf seine Nummer. Leise hörte sie Uwes Stimme, „Mein Engel.“
„Uwe Schatz gerade sind wir in München angekommen. Wann kommt dein Zug an?“ Moni tat ganz unschuldig, „Sorry ich...“
„Ist schon gut, wir sehn uns ja gleich. Ich komme mit der S-Bahn, sie hält um die Ecke bei der Einrichtung.“ Er wollte noch etwas Zeit gewinnen, in der Hoffnung, sie würde den Alkohol bis dahin nicht mehr riechen. Er schob sich das dritte Bonbon in den Mund, aß den zweiten Apfel und kam sich sehr schäbig vor. Er machte sich solche Vorwürfe. Beim Bahnhofskiosk in Innsbruck war es passiert. Er hatte sich, wie ein Penner, einen kleinen Flachmann gekauft und das Zeug zitternd in sich hineingeschüttet. Erbärmlich.
Warum? Er fand keine Antwort. Diese ganze Scheiße nur wegen Susan und Peter? Er schwor sich, seiner geliebten Moni alles zu erzählen.
Er hörte das Lachen der Kinder, sah Monis Auto stehen und drückte sich noch eine Weile vor dem Gebäude herum. Dann erblickte er sie am Fenster, sie schaute raus, sah ihn und strahlte übers ganze Gesicht. Schon wenige Sekunden später rannte sie aus dem Haus und flog in seine Arme. Beim Kuss drehte sie sich angewidert weg. „Sag mal, stinkst du nach Schnaps?“ Er nickte bloß und schloss seine Augen. Monis Enttäuschung war nicht zu übersehen. „Wir klären das später, komm mit rein. Ich möchte mich noch verabschieden.“ Uwe überreichte den aufgedrehten Kindern das kategorische Kinder-Überraschungsei. Umständlich begrüßte er Paul. In der kleinen Wohnung lagen überall chaotisch Taschen, Boxen und Kleidungsstücke herum.
„De Baba schloft heit hier“, Lina hatte vor Aufregung rote Wangen.
„Lina, hier für euch“, erstaunt nahm Lina den Umschlag, sah sie zu Uwe auf. „Da sind München CityTourCards für euch drin. Sie gelten einen ganzen Monat. Damit könnt ihr nicht nur die öffentlichen Verkehrsmittel umsonst nutzen, sondern auch verschiedenen Sehenswürdigkeiten besuchen. Er zwinkerte Monis Tochter zu. Diese umarmte ihn spontan und bedankte sich überschwänglich. „Wow isch des subber! Dange.“ Er rang sich ein Lächeln ab.
Moni lenkte den Wagen auf einen Parkplatz nur wenige hundert Meter von der Einrichtung entfernt. Sie schnallte sich ab und drehte den Kopf zu Uwe. „Ich bin gespannt, was du mir zu erzählen hast!“
„Mein Engel, es tut mir so leid. Irgendwas ist passiert bei mir. Ich weiß nicht genau wann und warum. Ich habe mir den ganzen Tag schreckliche Dinge vorgestellt. Immer wenn du weg bist, bekomme ich Angst. Es passiert einfach, ich kann es nicht abwenden. Mit mir stimmt was nicht, du hast recht.“ Er hielt inne und wartete auf eine Reaktion von Moni. Doch sie starrte inzwischen zum Fenster hinaus.
„Zur Beruhigung habe ich einen Kräuterschnaps am Bahnhof getrunken.“ Damit war es raus. Ungläubig schüttelte Moni langsam ihren Kopf. „Oh Mann, auch das noch. Uwe, das ist echt bescheuert.“ „Ich weiß,“ Uwes Stimme klang heiser, „Ich werde zu Hannes gehen.“ Moni nickte und gab Uwe einen Kuss. „Ja, bitte mach das. Ich bin so müde, lass uns ins Hotel fahren, ja?“
Uwe dirigierte seine Moni durch Münchens Innenstadt. Nach einer halben Stunde gab sie ihren Autoschlüssel an den Portier des Hotels. Gleichzeitig versuchte sie, den prächtigen Prunk dieses Gebäudes zu ignorieren. Sie erhielten eine Suite mit einer einzigartigen Aussicht auf die Stadt. Die Räume jedoch waren altmodisch eingerichtet, es war dunkel und roch eingesperrt. Moni war das jetzt alles egal, sie plumpste übermüdet auf das mächtige Bett. Uwe ging derweil ins Badezimmer und duschte. Anschließend bestellte er das Abendessen aufs Zimmer. Er öffnete die Fenster und trat hinaus auf den kleinen Erkerbalkon. Im Hintergrund hörte er Monis leises Schnarchen.
Zärtlich küsste er seinen Engel wach. Verschiedene Gerichte standen auf dem liebevoll gedeckten Glas-Esstisch bereit. Daneben eine Flasche Rotwein. Moni nahm sie verärgert in die Hand und stellte sie vor die Tür. „Die benötigen wir sicher nicht heute, gell?“ Uwe nickte, sein Blick hatte etwas Trauriges. „Du weißt, warum ich mit von Paul getrennt habe?“ Wieder nickte Uwe, sagte aber nichts.
„Ein Alkoholproblem zu haben ist richtig scheiße! Ich kann und will nicht mit so einem Menschen zusammen sein. Mein Vater war Alkoholiker. Ich habe durch ihn eine schlimme Zeit in der Kindheit mitgemacht. Er hatte meine Mutter oft zum Weinen gebracht. Ich war noch so klein und musste hilflos zuschauen. Immer wieder hatten sie sich laut gestritten. Wegen ihm bekam sie Krebs., so denke ich heute noch. Einmal mussten wir mit ihm nachts im Auto heimfahren. Obwohl er total betrunken war und kaum noch laufen konnte, wurden wir dazu gezwungen. Ich habe Todesängste gehabt, verstehst du? Es war der pure Horror!“
Betroffen blickte der Chefarzt seine Moni an und nickte wieder. „Es tut mir so leid! Um Gottes willen, verlass mich nicht.“ Er schlug die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen. Moni nahm seine Hand und weinte auch. Das gute Essen blieb unberührt.
***
Stefan klopfte vorsichtig an Olgas Tür. „Hereinspaziert“. In der Hand hielt er einen dicken Pack mit Prospekten. Er gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, dabei lächelte er sie schüchtern an. „Bist du fertig?“ „Ja, natürlich.“ Das ukrainische Mädchen trug heute ein buntes, langes Kleid. Käthe hatte ihr in die Haare zwei Bänder geflochten. Mit dieser neuen Frisur sah sie entzückend aus. Olga strahlte ihren Stefan an, griff vorsichtig nach seiner Hand und drückte sie. Gemeinsam spazierten sie Richtung Dorf Montan. Am Ostersonntag gab Stefan ein Orgelkonzert. Jetzt würde jedes Haus und jeder Bewohner dazu herzlich eingeladen. Käthe rief den beiden nach. „Viel Spaß euch zwei, wenn ihr Hilfe braucht, dann ruft mich an.“
***
Am nächsten Morgen brachte Moni ihren Uwe zum Bahnhof, er sah aus wie ein Gespenst. Beide waren völlig übernächtigt. In der Morgendämmerung hatten sie sich über das kalte Essen hergemacht. Es war die erste Nacht, in der Moni ihren Uwe von sich gewiesen hatte, seine Streicheleinheiten ablehnte. „Lass mich in Ruhe“, war alles, was sie ihm zu sagen hatte.
Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und brauste sofort los, ohne auszusteigen. Während der Fahrt mit dem Zug biss er sich seine Unterlippe blutig. Seine Gedanken spielten immer noch verrückt. Ein Anruf von Victor brachte endlich die ersehnte Ablenkung. Ein Patient ist aus dem Koma aufgewacht, es ging ihm den Umständen entsprechend gut. Die restliche Fahrt döste er vor sich hin.
Nachdem Moni noch einmal Lina und ihre Enkeln besucht hatte, trat sie den Rückweg an. Sie fuhr jedoch direkt nach Montan, nicht wie ausgemacht zur Innsbrucker Wohnung. Im Nachhinein kam sie sich streng vor, aber was sie zu Uwe sagte, war ihr Ernst. Sie hatte mit Paul schon eine Alkohol-Ehe hinter sich. Daher hatte sie sich geschworen, nie wieder! Auf keinen Fall.