Triggerwarnung! Thema Kindesmissbrauch wird angesprochen
Das Telefon läutete, Uta stolperte über ihre Hunde, die ausgestreckt auf dem Wohnzimmerboden lagen. „Ja, Nasser?“ „Tantchen, ich bins Käthe.“ „Ach wie schön, dass du dich bei mir meldest. Das freut mich ganz arg. Wie gehts dir denn inzwischen?“ Schon die Stimme ihrer Tante löste in Käthe ein ungutes Gefühl aus. Das war neu.
„Naja, es geht so. Es gibt sehr viele verschiedene Neuigkeiten, die ich aber nicht am Telefon besprechen möchte. Übrigens, seit heute wohnt Mama hier mit Uwe auf dem Hof.“ „Na prima, dann seid ihr ja wieder vereint.“ „Genau. Du, wir würden nächstes Wochenende zu Besuch kommen, passt es da bei dir?“
„Aber na klar, du weißt, du bist immer herzlich willkommen bei uns.“ Käthe verabschiedete sich schnell. Sie spürte eine große Wut in sich. Sie rief die Hunde herbei, um mit ihnen in den Wald zu spazieren. Dort konnte sie nach Herzenslust schreien. Einfach nur laut schreien. Wie Dr. Marowski es ihr schon beim ersten Termin vorgeschlagen hatte.
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Uwe trank einen großzügigen Schluck aus dem Sektkelch. Er räusperte sich, streichelte Monis Hand, dann sprudelte es aus ihm heraus.
„Meine Mutter war Erbin einer Hotelkette, von ihrer Seite stammte schon die Hälfte meines Vermögens. Übrigens auch das Hotel in Salzburg. Tina und ich erhielten den kompletten Anteil direkt nach ihrem Tod. Mein Vater kommt selber aus reichen Verhältnissen, hat durch seinen Beruf, der Klinik und der Stiftung zusätzliches Vermögen aufgebaut. Noch dazu hatte er vor vielen Jahren auf die richtigen Aktien gesetzt. Ein Glücksvogel sozusagen. Ich selber habe viele Operationsinstrumente und Methoden in der Gehirnchirurgie erfunden sowie patentieren lassen, da mich Georg dazu ermutigt hatte. Nun ja, ähm, inzwischen ist ganz schön viel zusammengekommen.“ Jetzt lachte der Chefarzt laut.
Moni hatte die Lippen zu einer Schnute geformt. „Ja, ja, so ist das. Der Hahn scheißt immer auf den größten Misthaufen!“ Daraufhin lachte sie ebenfalls.
Uwe war erleichtert, dass die Stimmung nicht gekippt war. Er kuschelte sich nah an Moni, flüsterte ihr sanft ins Ohr, „Mein Engel, ich liebe dich so sehr, du bist eine wunderbare Frau.“ Sie küssten sich lange und leidenschaftlich. Uwes Hände waren überall, fordernd und doch rücksichtsvoll und zärtlich. Moni stöhnte auf, „Mhmm, komm! Unser neues Bett wartet schon auf uns“, interessiert trottete Bruno seinem Frauchen hinterher.
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Nach wenigen Tagen war die neue Wohnung komplett und geschmackvoll eingerichtet. Den Luxus und Komfort sah man zwar schon von weitem, doch es gefiel Moni sehr. Durch das viele Holz an Wänden und Möbeln strömten die Räume dennoch Gemütlichkeit aus. Die Luxus-Wellnessbadewanne war das Highlight. Das ganze Badezimmer war eine reine Wohlfühloase. Da Moni keine Sauna mochte, hatten sie sich für eine Infrarotkabine entschieden. Uwe meinte, es wäre wunderbar, in den Wintermonaten diese Wärme zu spüren.
Ein Ankleidezimmer, oder besser gesagt, ein großer begehbarer Kleiderschrank zwischen Bad und Schlafraum, war eine weitere wunderbare Idee von Uwe. Für Bruno gab es zwei riesige Kuschelkörbchen, auch der Hund fühlte sich inzwischen wohl. Wobei er oft nicht wusste, ob es ihm draußen in der Freiheit doch besser gefiel.
Während Uwe tagsüber in der Klinik arbeitete, versuchte Moni sich auf dem Hof einzuleben. Käthe war seit dem Hypnoseereignis aufgedreht und umtriebig. Ihre stille, leise Tochter schien aus sich herauszuwachsen. Eifrig übte sie stundenlang auf ihrer Klarinette, fluchte laut, wenn sie eine Passage nicht auf Anhieb meisterte. Natürlich fieberte sie dem Schnuppertag in der Schule entgegen. Die Entscheidung, was nun mit dem bösen Onkel geschehen sollte, stand noch aus.
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Lina bekam Post vom Mirabellenhof. In einem freundlichen Brief teilte man ihr mit, dass sie kurzfristig einen Platz in der heißbegehrten Wohngruppe erhielt. Man erwartete sie am Osterwochenende zum Einzug in die Zwei-Zimmerwohnung. Lina war glücklich, aufgeregt, aber auch dankbar. Sie telefonierte stundenlang mit allen Freunden sowie der ganzen Familie. Ihr Vater Paul hielt nicht viel davon, doch er versprach ihr finanzielle Unterstützung. Sie hatte noch vier Wochen Zeit alles auszumisten und sich für das neue Leben vorzubereiten. Die Nachricht, dass Käthes Hypnosetermin Licht ins Dunkel brachte, hatte sie dazu veranlasst, sie so lange zu löchern, bis Käthe vorsichtig das Thema ansprach. Doch Lina erinnerte sich nicht an sexuelle Handlungen oder Spiele des Onkels. Georg meinte, es läge daran, dass sie damals noch ein Kleinkind war. Man würde sich der Sache in der Münchner Einrichtung annehmen.
Jetzt freute sich Lina auf den Besuch ihrer Mama und der Schwester. Schon am kommenden Wochenende war es soweit. Schließlich fragten auch die Kleinen immer wieder nach ihrer Omi.
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Aufgeregt saß Käthe mit Kim auf der Rückbank des BMW. Moni hatte sich entschieden, selbst zu fahren, damit Uwe wichtige Telefonate der Klinik entgegennehmen konnte. Von Dr. Marowski hatte er einen ausführlichen Bericht in der Tasche, den ein Gutachter bestätigt hatte. Außerdem kamen bei Käthe nach und nach die Erinnerungen an die sogenannten Spiele zurück. Sie hatte sich damals gedanklich weg geträumt, in einen imaginären Freund, um diese Erlebnisse nicht selbst zu spüren. Ein Teil von ihr war immer dieses Kind geblieben. Das Trauma hatte die Depressionen in der Pubertät ausgelöst. Durch Medikamentengabe und einigen Aufenthalte in Psychiatrien waren verschiedene Symptome und Fehldiagnosen aufgetaucht. Die wiederum waren teilweise falsch behandelt worden.
In all dem Jammer freute sich Käthe dennoch, Kim ihre Heimat zu zeigen. Schließlich war es auch am schwäbischen Neckarstrand landschaftlich wunderschön.
Moni bestand darauf, direkt zu Uta und Otto zu fahren und erst später im Hotel einzuchecken. Sie wollte diesen schrecklichen Termin so schnell wie möglich hinter sich bringen.
Überschwänglich begrüßte Uta ihre Nichte. Otto stand freundlich wie immer daneben, nahm den Gästen die Jacken ab. Nur Uwe wich seinem Blick aus. Uta hatte sich wie immer Mühe gegeben. Auf dem liebevoll gedeckten Tisch lagen verstreut bunte Blumenblüten. Neben einer Schwarzwälder Kirschtorte lehnte ein Schild, darauf stand in einer verschnörkelten Schrift HERZLICH WILLKOMMEN. Kim hielt ganz fest umklammert die Hand ihrer Freundin. Ganz nach Uwes Vorschlag kam Käthe gleich nach dem ersten Schluck Kaffee auf den Punkt.
„Ich muss dir was sagen Onkel Otto.“ Der blickte verärgert in die Runde. „Mhmm“.
„Ich kann mich erinnern. An die Spiele im Kindergartenalter. Was du gemacht hast mit mir und auch mit Lina. Weiß es deine Frau?“ Mit Tränen in den Augen schaute Käthe zu ihrer Tante. Die saß stocksteif auf ihrem Stuhl und runzelte die Stirn. „Was?“
Der Onki stand auf, ging ein paar Schritte Richtung Haustür, doch Uwe stellte sich ihm in den Weg. „Nein, Otto, so geht das nicht. Du musst dich jetzt deiner Vergangenheit stellen!“ „Einen alten verfickten Scheißdreck muss ich. Was hat sich Käthe nur dabei gedacht euch so zu verarschen?“ Alle waren erstaunt über die plötzliche Fäkaliensprache des sonst so freundlichen Mannes. „Setz dich bitte wieder auf den Stuhl!“ Uwes Stimme wurde laut und energisch. Jetzt erhob sich auch Uta, „Um was um alles in der Welt geht es denn hier?“
Stille im Raum.
Moni verlor die Beherrschung, sie fing an, laut zu schimpfen. „Dein Mann hat meine Kinder zu sexuellen Handlungen missbraucht. Um das geht es hier.“ Uta blinzele, Otto schüttelte den Kopf und redete beschwichtigend auf sie ein. „Glaub ihnen kein Wort, so ein Quatsch. Du weißt doch, dass es Quatsch ist.“