Käthe stand rauchend auf der Terrasse, betrachtete den parkähnlichen Garten und schor sich, bald mit dieser sinnlosen Qualmerei aufzuhören. Energisch drückte sie die Zigarette aus und lief vergnügt zu dem kleinen Gehege. Die sieben Vorwerk-Hühner waren schon fleißig gewesen, Käthe fand immerhin fünf Eier für das Rührei. Heute war sie für das Frühstück zuständig. An den Wochenenden wechselten sich die Mädchen ab, damit die Arbeiten im Haushalt gerecht aufgeteilt waren. Kim stand schon unten bei der Waschmaschine, sie hatte heute nur kleine Dienste, da sie für den Spätdienst in der Klinik eingeteilt war. Erst letzte Woche kam der Brief, der auch für Kim die Weichen für die Zukunft stellte. Sie hatte es tatsächlich geschafft und einen der wenigen Plätze ergattert. Sie durfte ihren Traum verwirklichen und Humanmedizin studieren. Was waren sie bloß für Glückspilze?
Während Käthe zufrieden in der Küche hantierte, kam ihr ein schrecklicher Gedanke. Der Gedanke, wie wunderbar doch die Tatsache war, dass ihre Mutter damals diesen Unfall hatte. Nur dadurch hatte sie dieses neue Leben. Genau genommen ihr erstes richtiges Leben. Die Last der frühkindlichen furchtbaren Erfahrungen war abgefallen, sie fühlte sich befreit. Und so richtig glücklich! Gleichzeitig aber schämte sie sich dafür. Wie konnte sie nur so denken? Wie konnte man nur einen Unfall gut finden? Schließlich war dabei Herbert zu Tode gekommen.
Sie schluckte schwer, legte den Pfannenwender auf die Arbeitsplatte, schaltete den Herd aus und rannte nach draußen. Tränen liefen über ihr Gesicht, als sie hektisch nach einer weiteren Zigarette suchte. Käthe nahm sich vor, später Hannes anzurufen, sobald sie alleine war. Diesbezüglich wollte sie sich nicht ihrer Freundin anvertrauen. Dafür schämte sie sich zu sehr.
***
Moni drehte sich von rechts nach links, doch an Schlaf war nicht mehr zu denken. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr warum. „Ach herrje, ist ja schon halb neun“, sagte sie zu sich selber, da die Seite neben ihr im Bett leer war.
„Schaahaatz! Bringst du mir einen Kaffee?“ Laut dröhnte ihre Stimme durch die Wohnung. Bruno sprang kläffend ans Bett und holte sich erste Streicheleinheiten ab.
Ein paar Sekunden stand Uwe lächelnd im Bademantel vor ihr. „Ah, Madame Langschläfer ist auch schon aufgewacht,“ er gab ihr einen Kuss. „Moment, dein ehrfürchtiger Diener bringt ihn dir sofort.“ Daraufhin lachten beide, Moni strahlte ihn an, freute sich auf den Kaffee und auf den Tag.
Uwe telefonierte mit der Klinik, Moni traf letzte Vorbereitungen. Nachdem alles erledigt war, spazierten sie rüber zu Rondo. Moni blickte sich zufrieden um, dabei sog sie die frische Landluft tief ein. Bruno spielte in der Hofeinfahrt mit Aaron, Franz lehnte rauchend an der Stalltüre und winkte den beiden zu. Georg hatte Gießkannen in der Hand und lief Richtung Kräutergarten. Rita und Olga deckten die Tische, denn bei diesem genialen Wetter würden sich heute einige Wanderer hierher verirren.
Der junge Hengst wieherte laut und aufgeregt. Karl hatte Rondo bereits gestriegelt und gesattelt. Er stand ungeduldig auf der kleinen Koppel. Die Sonne blitzte vom blauen Himmel. Im Hintergrund zeigten sich die Berge in ihrer ganzen Pracht. Moni lächelte. Ja, das ist es! Ein glückliches, erfülltes Leben in einem Bergdorf. Sie gab Uwe einen Kuss und flüsterte ihm ein „Ich liebe dich“, ins Ohr.
Pünktlich zum Mittagessen trafen sich alle bei Rita, Georg und Olga. Es gab trotz der Hitze einen leckeren Gemüseeintopf. Eben das typische Samstaggericht auf dem Hof. Lara und Linus rutschen aufgeregt auf ihren Plätzen hin und her. „Onkel Uwe, wann gehen wir hoch? Was für Überraschungen gibt es?“ „Sobald wir alle brav gegessen haben, gehts los!“ Uwe zwinkerte den beiden Kinder zu. Linus kuschelte sich nah an ihn heran, „Bielen, bielen.“ „Ja mein Süßer, gleich spielen wir,“ Uwe streichelte seinen Neffen und lächelte ihn liebevoll an. Olga versprach eine Bastelstunde am Nachmittag.
Tina und Max verabschiedeten sich ein wenig unsicher von den Kleinen. „Mal schauen wie das klappt, es ist ja das erste Mal, dass die Kinder bei euch schlafen.“ Uwe verdrehte die Augen.
„Natürlich klappt das gut,“ versicherte Moni. „Ich bin schließlich schon eine erfahrene Omi.“ Tina und Uwe verhandelten die Schlafenszeiten und die Menge der Süßigkeiten. Schließlich übergab Tina ihm eine kleine Tasche, denn Linus war nachts noch nicht trocken. Das große Geschäft landete öfters in der Hose, daher wurde vereinbart, dass er ausnahmsweise an diesem Wochenende Windeln verpasst bekam. Lara trug stolz den Rucksack mit Lieblingsspielsachen, wichtige Kuscheltiere und Schlafanzügen.
„Onkel Uwe, was ist die erste Überraschung?“
„Wir machen Knete. Schau nur Lara, hier haben wir alle Zutaten.“ Uwe zeigte ihr den Inhalt des Kartons, Mehl, Salz, Öl, Zitronensäure und bunte Lebensmittelfarben. „Oh das ist ja cool!“ Linus flitzte durch die Küche, in der Hand hielt er ein Feuerwehrauto. „Linus auch machen?“ Wieder streichelte Uwe dem Knirps liebevoll übers Haar, „Na klar, du kleiner Spatz. Komm zu mir, du kannst uns bestimmt helfen.“ Moni kochte das benötigte Wasser ab, während Uwe mit den Kindern die weiteren Zutaten wog, vermischte und in vier Schüsseln aufteilte. Lara suchte sich die Farben rot und grün aus und war mit großem Eifer bei der Sache. Es machte ihr unheimlich viel Spaß, denn Uwe ließ seiner Nichte freie Entfaltung. Selbstständig arbeitete sie die Farben in die noch ziemlich warme Masse ein. Linus beschäftigte sich vor allem mit dem Mehl, welches er inzwischen großzügig auf dem Boden verteilt hatte. „Ich mach das nachher wieder sauber, kein Problem,“ beruhigte Moni ihren pingeligen Uwe-Schatz.
Sie packten die frisch zubereitete Knete in Alufolie und breiteten Zeitungspapier auf dem exklusiven Esszimmertisch aus. „So ihr Lieben, geht mit der Tante Moni Hände waschen. Ich hole uns inzwischen Werkzeug.“ Uwe strahlte mit den Kleinen um die Wette. Linus aber rieb sich ständig die Augen. „Die Knete muss jetzt sowieso abkühlen. Komm kleiner Mann wir legen uns auf die Couch, ich lese dir eine Geschichte vor.“
Moni besuchte mit Lara die schon wartende Olga. Gemeinsam bastelten sie Streichholzmännlein. Später fand Moni zwei schnarchende Männer auf der Couch. Bruno sprang herbei und bellte laut. Schnell waren die beide wach und endlich wurde die brandneue Knete getestet und wahre Meisterwerke entstanden. Bunte Brezeln, Pizza und Regenwürmer mit Gesichtern standen zum Trocknen bereit.
„Jetzt kümmern wir uns ums Abendessen, ok?“ Die Kinder hüpften nickend durch die Wohnung. „Ja, ja, ja“... Moni brachte einen altmodischen CD-Player, Uwe dachte an lustige Kinderlieder. Aber als er den Kleinen erklärte, wie man Popcorn selber zubereitet, dudelten jamaikanische Klänge aus dem Gerät. Bob Marleys Three Little Birds war der Hit des Mittags. Es dauerte nicht lange, da summten alle vier diese Melodie mit. Wieder leuchtete der hochwertige Holzboden weiß. Dieses Mal schleuderte Linus den Puderzucker durch die Luft. Moni putzte eifrig hinterher, damit Uwe die Ruhe behielt.
Wie vereinbart, gingen sie abends zusammen mit Bruno und Aaron nach draußen zum Toben. Uwes Schwester Tina legte Wert auf Bewegung an der frischen Luft. Schnell wurde Linus müde, Uwe trug ihn auf seiner Schulter nach oben. Der Kleine sah seinem Onkel verblüffend ähnlich, er hätte durchaus sein eigener Sohn sein können. Moni schnitt Äpfel, Birnen und Bananen klein, verteilte sie auf bunte Kinderteller und stellte daneben die große Schüssel mit dem Popcorn für die versprochene Märchensendung. Uwe saß glücklich zwischen den zufriedenen Kindern. Beide hatten sich an ihren Onkel, der ja so selten Zeit hatte, gekuschelt und genossen seine Streicheleinheiten. Immer wieder hörte Moni die süßen Kinderstimmchen quietschen und lachen.
„Sodala, jetzt marschieren wir aber Richtung Bett“. Beherzt packte Uwe die Kleinen jeweils rechts und links unter die Arme und verschwand im Badezimmer. Einer der schönsten Tage in Uwes Leben neigte sich dem Ende zu. In seinen Augen lag ein seltsamer Glanz, seine Wangen leuchteten rot.
Sein liebevoller Umgang mit den Kleinen versetzte Moni einen Stich ins Herz. Sie verliebte sich direkt noch einmal in diesen einzigartig wunderbaren Mann.