Ein lauter Schrei hallte durch die Station K1. Schnell rannte Heidi in Monis Zimmer. Diese saß weinend auf dem Bett. „Warum ist das alles passiert? Warum?“ Die Schwester versuchte Moni zu trösten, doch sie schrie los, „Weg von mir, niemand soll mich anfassen!“ Heidi wählte Uwes Nummer, aber er meldete sich nicht. Moni beruhigte sich wieder, drehte sich um und schlief weiter. „Nur ein Alptraum, was?“ Heidi schlich sich aus dem Zimmer, ließ die Türe offen stehen.
Etwa eine Stunde später das gleiche Spiel. Moni schrie wie am Spieß. Jetzt funkte Schwester Heidi Uwes Pager an, den Notruf sozusagen. Doch auch dieses Mal erschien er nicht.
„Ist Uwe nicht da? Wo ist mein Uwe-Schatz.“ Nachdem sie die weinende Patientin beruhigt hatte, lief Heidi zum Arztzimmer. Unschlüssig stand sie davor, sah auf die Uhr. Es war kurz nach vier, sie klopfte beherzt an die Türe und öffnete sie.
Mit dem Rücken zur Tür stand Chefarzt Dr. Ortner mit nacktem Oberkörper vor dem geöffneten Fenster. Er zog sich gerade den Reißverschluss seiner neuen weißen, etwas knapp sitzenden Jeanshose hoch. Heidi erschrak, „Oh, es tut mir leid, entschuldige bitte.“ Sie trat einen Schritt zurück, die Hand noch am Türgriff und drehte schnell den Kopf zur Seite. Mein Gott, sah er gut aus! Sie hatte ihren Chef bis jetzt noch nie als Mann wahrgenommen.
„Kein Problem, alles gut Heidi, komm ruhig rein.“ Er zog sich ein weißes Poloshirt über und drehte sich zu ihr um. „Willst du mir auch sagen, dass du mich liebst?“ Heidi stutzte, hielt kichernd ihre Hand vor den Mund. „Ähm, ehrlich gesagt, nein. Aber du wärst sicher eine gute Partie.“ Er zwinkerte ihr zu, dann hob er seinen Kopf unters eiskalte Wasser, fuhr sich durch seine wuscheligen Haare.
„Hast du deinen Pager ausgeschaltet?“ „Nein, habe geschlafen wie ein Bär, sorry. Was gibt es?“ „Moni, sie weint. Schon seit über einer Stunde. Sie braucht dich.“ Er nickte, „Danke Heidi, ich gehe gleich zu ihr. Gibt es Kaffee?“ „Natürlich! Und selbstgebackenen Kuchen.“
Moni saß wieder schluchzend auf der Bettkante. Sie zitterte am ganzen Körper. Als sie Uwe sah, stand sie auf und fiel ihm um den Hals.
„Mein Engel, ich bin jetzt da!“, zärtlich schloss er sie in seine Arme und brachte sie zurück ins Bett. „Uwe-Schatz, ich... es tut mir so leid. Dein Auge...“, sie schluchzte, das sprechen klappte kaum. „Ich... bitte bleib bei mir. Ich bin ganz alleine auf der Welt,“ dann vergrub sie ihr Gesicht an seiner Brust. „Nein, mein Engel, nein.“ Moni schloss ihre Augen, Uwe bettete ihren Kopf auf dem Kissen, deckte sie wieder zu. Er lehnte sich ebenfalls zurück. Die ganze Zeit über hielt er ihre Hand, gab ihr zärtliche Küsse auf die Wange und Stirn.
„Ich liebe dich!“ Eng aneinander gekuschelt schliefen beide ein.
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„Aufstehen Mami!“ Die Kids waren extrem früh wach. Dafür hatte Bruno gesorgt, der kläffend vor der Türe des Gästezimmers stand. Lina sah lächelnd zu Irene und Gerhard, die eilig ihre Kleider anzogen. Ihre Tochter benötigte noch Hilfe bei Knöpfen und Reißverschluss. Lina war überglücklich, solch aufgeweckte, süße und vor allem gesunde Kinder zu haben. Gemeinsam halfen sie Käthe bei den Vorbereitungen für das Frühstück. „Ich will Kaba!“ „Ich auch!“ „Nö, ich will nur Milch!“, „Ich auch!“ Käthe verdrehte genervt die Augen. An Lina gewandt murmelte sie frech: „Hast du vergessen, dass ich kleine Kinder nicht leiden kann?“ Lina boxte ihre Schwester zum Spaß in die Seite.
Sie saßen gemütlich am Tisch, löffelten die frischen Eier und besprachen den Tag, da klingelte Kims Telefon. „Ach herrje, die Klinik.“ „Guten Morgen Kim,“ es war die freundliche, sanfte Stimme von Chefarzt Dr. Ortner. „Entschuldige, dass ich euch störe. Maria hat sich krank gemeldet, ich wollte dich fragen ob du heute Mittag ihre Schicht übernehmen könntest?“ Kim zögerte keinen Moment. „Hallo Chef, ich klär das mit kurz Käthe und melde mich gleich zurück.“ Die Mädchen besprachen sich, schnell war klar, dass Kim zusagte.
„Mein Bruder springt ein und kommt nachher zu Mama, so kannst du wie ausgemacht nach Montan zu Olga.“ Käthe nickte, „Danke, wir sind doch wirklich ein gutes Team.“ Kim versorgte ihre Mutter, Käthe räumte die Küche auf und Lina suchte die Spielsachen zusammen und packte den Koffer. Draußen tobten Gerhard und Irene mit Bruno durchs Gras. Die Sonne blinzelte durch ein paar harmlose Schleierwölkchen hindurch. Es versprach ein wunderschöner Sonntag zu werden.
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Der Chefarzt höchst persönlich brachte für Moni das Frühstück. Er hatte auch für sich eine Brezel und Kaffee dabei. Sein Liebling wirkte ausgeruht, lächelte sogar ein klein wenig. „Danke, du bist so lieb“, Moni hauchte ihm einen Kuss auf die bärtige Wange.
„Wie geht es dir mein Liebling? Gerne möchte ich mit dir was besprechen.“ Moni nickte und biss in ein Brötchen mit Erdbeermarmelade. „Victor meinte, da du ja im Moment sowieso hier auf Station bist, wäre es eine gute Möglichkeit, die Metalle und Schrauben zu entfernen. Dann hättest du diese lästige Sache hinter dir, das eine Jahr ist bald um.“ Er hatte den Satz kaum beendet, da flippte Moni aus. Unbeherrscht schrie sie ihn an. „Seid ihr alle bescheuert? Auf gar keinen Fall! Mir geht es schlecht, ich fühle mich schwach und weiß nicht wie es weitergeht. Ich hasse es hier im Krankenbett zu liegen. Aber ihr kommt daher mit einer Operation?“
Uwe stopfte sich den Rest der Brezel in den Mund, wischte die Brösel weg und versuchte Moni zu besänftigen, indem er seinen Arm um sie legte. Doch sie wehrte ihn ab, „Lass mich bloß in Ruhe!“ Zurück im Bett zog sie die Decke über den Kopf und raunte: „Bin fertig mit essen, du kannst abräumen.“ Schon wieder kam sich Uwe vor wie ein Trottel. Nachdenklich blieb er noch ein paar Minuten sitzen, presste die Lippen aufeinander. Innerlich verfluchte er Victor mit seiner Idee. Endlich stand er auf, „Also dann, bis später,“ achselzuckend zog er davon, in der Hand hielt er seinen Kaffee. Im Arztzimmer schenkte er einen großen Schluck Whiskey in die Tasse. Vorsichtig nippte er an dem Mischgetränk, verzog das Gesicht, genoss aber das Brennen im Hals.
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Die Magen- und Darmspiegelung hatte Rita gut überstanden. Die Ärzte hatten sich für die kombinierte Untersuchung entschlossen, da sie für den Patienten weniger belastend war. So musste man nur einmal abführen und nüchtern bleiben. Sie lag auf einem bequemen Bett im Nebenzimmer, Georg hielt ihre Hand und streichelte über ihre Stirn. „Wie geht es dir?“ Rita fühlte sich sehr müde durch die Sedierung. „Naja, war schon mal besser.“ „Der Chefarzt kommt gleich vorbei, er möchte noch eine Ultraschalluntersuchung durchführen.“ Ängstlich blickte ihn Rita an. Er runzelte die Stirn, „Sie haben eine kleine Veränderung, eine Art Wucherung entdeckt und auch gleich eine Gewebeprobe entnommen.“ Er flüsterte ihr sanft ins Ohr: „Hab keine Angst mein Schatz, das kann auch ein gutartiger Tumor sein. Ich bin bei dir. Alles wird gut, wir denken positiv!“ Liebevoll drückte er ihre Hand.
In Wirklichkeit machte sich Georg große Sorgen. Er hatte bereits alle Befunde sowie Auswertungen nach Innsbruck geschickt. Uwe und sein Ärzteteam sollten sich den Tumor ebenfalls anschauen, auch wenn sich dieser nicht im Gehirn befand.