Rita drehte sich aufgeregt zur Seite. Georg unterstützte sie beim Aufstehen, vorsichtig trippelte sie mit ihm ins Badezimmer. Ab und zu zwickte es in ihrem Bauch, aber sie hatte keine Schmerzen. Darüber war sie so dankbar, sie betete jeden Tag mehrmals, damit es auch so blieb. Georg räumte die wenigen Kleider zusammen und stopfte alles in die Reisetasche. Rita kramte nach den Pflegeutensilien. Dank Uwes guten Beziehungen hatte er einen Hubschrauber organisiert. Noch heute Abend wurden sie beide in die Innsbrucker Klinik geflogen. „Fliegen? Oh jemine!“, jammerte die ängstliche Rita. „Was ist mit dem Auto?“
„Mach dir keine Sorgen meine Liebe, ich bin bei dir und kümmere mich um alles. Auf dem Hof läuft es sehr gut, sie wissen schon Bescheid und werden dich nach und nach besuchen kommen.“ Sanft schloss er Rita in seine Arme und küsste sie.
***
Unschlüssig stand Moni neben der Holzbank, überlegte krampfhaft wie sie es am besten formulieren könnte.
„Es war schon immer unser sehnlichster Wunsch. Einen Laden zu haben mit einer großen Auswahl an verschiedener Wolle und sämtlichem Zubehör. Gleichzeitig viel Platz zum gemeinsamen Stricken und Erfahrungsaustausch bei Kaffee und Kuchen. Gerne möchte ich bei dem Projekt dabei sein. Bei der Planung, beim Ausarbeiten des Konzepts, bei der Eröffnung. Wir bieten verschiedene Workshops und Strickkurse an, die nebenan im Café stattfinden werden.“
Uwe steckte seine Hände in die Hosentasche und lief ein paar Schritte schneller. Dann drehte er sich um, mit Tränen in den Augen fragte er verzweifelt: „Du willst in deine Heimat zurück? Du willst mich verlassen?“
„Nein, ich...“
„Scheiße! Scheiße! Scheiße!“ Uwe schrie laut und rannte in Richtung Dunkelheit.
„Lass es mich ausführlich erklären, bitte.“ Sie lief ihm hinterher und nahm seine Hand.
Traurig und enttäuscht musterte er Moni. Mit seiner sanften Stimme sagte er leise:
„Weißt du mein Engel. Noch nie habe ich eine Frau so sehr geliebt wie dich. Ich liebe deine natürliche Fröhlichkeit, dein Temperament, deine Art und Weise wie du läufst, wie du redest, einfach alles an dir. Du gibst mir, was ein Mann sich nur wünschen kann. Dein Körper, deine Küsse, deine Zärtlichkeiten. Ich brauch das alles! Du bist meine Traumfrau. Ich kann nicht mehr ohne dich sein!
Allein der Gedanke lässt mich durchdrehen.“
Sie hielt ihn fest umschlungen, unfähig ihm eine Antwort zu geben.
„Wir wollten zusammen in den Urlaub nach Mallorca. Mit unseren Freunden und den Kindern, die sich so sehr freuen. Aber stattdessen möchtest du in deine Heimat und ein Strickcafé eröffnen?“ Uwe stopfte sich seine geballte Faust in den Mund, um nicht laut aufzuschreien.
„Schatz, ich benötige endlich Zeit für mich alleine. Gerne möchte ich meine Vergangenheit bewältigen und um Herbert trauern. Ich habe sogar endlich einen Termin mit dem Pfarrer vereinbart. Ich möchte loslassen, frei sein! Frei sein für dich, für unsere gemeinsame Zukunft.
Während du die paar Tage auf Mallorca bist, werde ich in Montan auf dem Hof sein. Ich werde alles dafür tun, um Rita ein klein wenig zu ersetzen. Werde in der Küche und im Stall helfen, auch um deinen Rondo kümmere ich mich. Das mit dem Strickcafé dauert ja noch ein wenig.“
Sie setzten sich auf die Bank und schwiegen lange Zeit. Uwes Handy brummte. Geistesabwesend wischte er auf dem Display die Tränen weg. Thommy schickte Fotos von Mallorca, von der bezaubernden Finca, dem Pool und dem wunderbaren Strand. Neugierig schaute Moni mit ihm die Bilder an. Sie gab ihrem Uwe einen zärtlich Kuss und stand auf.
Langsam spazierten sie zurück auf die Hotelterrasse, wo das Dessert bereits unter einer Abdeckhaube auf sie wartete: Zweierlei vom Schokolodenmousse.
Der Kellner brachte lächelnd die Gläser mit dem bestellten Goldmuskateller. „Ach wie schön, die Herrschaften sind zurück.“ Uwe schaffte es, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, lächelte freundlich zurück und bedankte sich höflich.
Moni sah die Tränen in den Augen. Liebevoll erklärte sie: „Mein lieber Schatz, ich möchte mich nicht von dir trennen. Ich wär nur ab und zu weg. Du arbeitest doch sowieso oft bis zu zwölf Stunden oder mehr.“
Uwe nickte, „Selbstverständlich! Das ist ja das Schlimme, Mensch!“ Seine Stimme wurde lauter. „Wir sehen uns doch sowieso viel zu wenig. Wie stellst du dir denn ein gemeinsames Leben vor? Montan, Stuttgart, Innsbruck, Salzburg, wie soll das denn funktionieren?“
„Das werden wir sehen. Du kannst ja auch immer wieder ein verlängertes Wochenende mit mir in der Heimat verbringen. Oder du stellst noch ein paar Ärzte ein.“
Uwe starrte Moni trotzig an, trank sein Glas in einem Zuge leer und griff nach der Weinflasche im Kühler.
„Bis jetzt habe ich noch nicht einmal einen ordentlichen Ersatz für Dr. Peter Wahl gefunden, erinnerst du dich? Gute Ärzte stehen nicht Schlange. Die kann man nicht einfach pflücken wie Äpfel vom Baum.
Entschuldige bitte, ich leite die Klinik und bin nicht die austauschbare Putzfrau. Ich kann mein Spital nicht einfach ausgraben und hinter dir hertragen!“ Uwes Augen blitzten bitterböse.
Hui. So kannte sie ihn ja gar nicht. Moni kratzte sich verlegen am Kopf und verzog ihr Gesicht. „Es tut mir leid. Warten wir einfach ab, wie sich alles entwickelt. Morgen sind wir zum Mittagessen bei Andy und Tom eingeladen, du wirst sie alle mögen, glaube mir.“
Schweigend löffelten sie ihren Nachtisch, der überaus schmackhaft war, wie das komplette Dinner heute.
Moni räusperte sich einige Male, bevor sie sich traute: „Uwe Schatz, da wär noch eine Sache.“ Er schnappte nach Luft, blickte sich hilflos um. „Um Gottes willen, was denn noch? Ich kann nicht mehr.“ Der Chefarzt hob seine Hand, um eine weitere Bestellung aufzugeben. Dabei fiel sein Blick auf die Uhr, „Oder sollen wir lieber gehen? Wir können daheim weiter reden, wenn es sein muss oder morgen auf der Fahrt. Ich bin jetzt am Ende. Unser Chauffeur kommt ja schon sehr früh, um halb sieben, oder?“ Moni nickte einverstanden.
Aber anstatt zu reden, beschäftigten sich die beiden auf eine andere Art und Weise.
***
Der südländisch wirkende Chauffeur stellte sich als Jan Rudel vor. Er begrüßte Moni und Uwe mit einem kräftigen Händedruck und versprach eine hundertprozentige Diskretion. Unaufgefordert zeigte er Uwe seinen Ausweis, Führerschein und verschiedene Papiere. Moni musterte den neuen Mitarbeiter. Er trug einen dunkelgrauen Anzug und passende hochwertige Schuhe. Sein extravaganter Kurzhaarschnitt, das gepflegte Äußere sowie die kräftige Statur erinnerte Moni an einen Leibwächter. Verstohlen hielt sie Ausschau, ob der gute Mann einen Gürtel trug, in dem womöglich ein Colt steckte.
Uwe kniff Moni in die Seite, dabei flüsterte er ihn ihr Ohr: „Sag mal. Wo guckst du denn hin?“ „Ich such seine Waffe.“ Da lachten sie alle drei.
Uwe schien ebenfalls sehr zufrieden zu sein, der Mann war ganz nach seinem Geschmack. „Es freut mich außerordentlich, dass Sie für mich und meine Verlobte tätig sein möchten. Auf gute Zusammenarbeit und eine allzeit unfallfreie Fahrt.“ Uwe übergab ihm die Autoschlüssel. Herr Rudel bedankte sich freundlich und verbeugte sich tief. Dann half er ihnen dabei, die Geschenke und die Taschen im Kofferraum zu verstauen. Moni und Uwe setzten sich gemeinsam auf die Rückbank, so wie geplant. Leise flüsterte Uwe: „Ich hoffe, er gefällt dir nicht.“
Sie kicherte, „Nein, du weißt ich steh auf blaue Augen. Du gefällst mir!“ Die Autofahrt verlief turbulent, denn tatsächlich gab es unterwegs immer wieder heftige Gewitter, Sturm und Starkregen. Ab und zu musste Herr Rudel auf dem Seitenstreifen halten und die Wolkenbrüche abwarten.