Man hatte Moni inzwischen in ein freies Bett verfrachtet und in Uwes Arztzimmer geschoben. Georg verpasste ihr ein starkes Beruhigungsmittel, sie würde jetzt eine Weile schlafen. Uwe verließ wortlos das Zimmer. Kaum war er draußen, begann er hemmungslos zu weinen. In seiner Wohnung öffnete er energisch eine Flasche Wein. Er nahm sie mit auf die Terrasse, hier schien die Welt in Ordnung. Die Sonne brannte vom immer noch wolkenlosen Himmel.
Uwe starrte auf die bunte Blütenpracht, welche Moni erschaffen hatte und fühlte sich leer und verbraucht. Er trank in schnellen Zügen den Wein direkt aus der Flasche. Ja, das tat gut. Er fühlte sich wie ein Versager, der alles verloren hatte. Moni! Die Sorgen um sie trafen ihn mit voller Wucht. „Mein Engel, ich liebe dich so sehr. Was wird jetzt aus uns?“, flüsterte er. In seiner Verzweiflung knallte er die Weinflasche gegen die Wand, wo sie in tausend Scherben zerbrach und einige rote Flecken auf der makellosen Fassade hinterließ. „Ist doch sowieso alles scheißegal!“
Mehrmals schon hatte er bei Thommy angerufen, doch er erreichte immer nur die Mailbox. Uwe hinterließ eine kurze Nachricht. Bitte, kannst du sofort nach Innsbruck kommen? Ich brauche dich dringend. Er holte eine weitere Flasche Wein dazu einen großen Rotweinkelch und setzte sich an den Esszimmertisch. Die Hände stützten seinen Kopf, um das schmerzende Auge hatte er ein kühles Tuch gebunden.
Dann meldete sich seine Schwester bei ihm. „Uwe! Gut, dass ich dich erreiche. Wie geht es dir? Pa hat mir erzählt, was passiert ist.“ „Es geht mir schlecht und ich werde mich jetzt besaufen.“ „So ein Quatsch! Hör sofort auf damit! Sagamal, bist du bescheuert? Geh zurück in deine Klinik. Du wirst dort gebraucht! Soll ich kommen?“ „Es ist schon gut, Tina. Thommy wird mich besuchen, sobald er kann.“
Uwe dachte an seine Herzdame, an seine Familie und vor allem an Linus und Lara. Dann stand er auf, leerte das Glas in einem Zug und schüttete den Rest der Flasche ins Clo. Er duschte eiskalt, putzte sich die Zähne und zog sich frische Kleidung an. Mit zwei Äpfeln in der Hand spazierte er durch den Park. Sein Telefon klingelte, endlich meldete sich der Freund. „Thommy,“ Uwe setzte sich auf eine Parkbank, doch er war nicht im Stande die Vorkommnisse auszusprechen. Satt dessen fing er an zu weinen. „Ach herrje, Uwe. Was ist denn los? Also ich komme natürlich zu dir nach Innsbruck. Sobald es geht, ja? Ich habe Dienst bis 22 Uhr, danach sollte ich ein paar Stunden schlafen.“
Erst nach weiteren zehn Minuten schaffte es Uwe, aufzustehen. Schwerfällig trat er den Weg in die Klinik an. „Mein Gott, du siehst furchtbar aus!“ Begrüßte ihn sein Vater, „Sie ist noch nicht aufgewacht. Kommst du mit? Ich bin gerade bei der Visite.“ Er tätschelte Uwe den Rücken.
***
Sein Lachen war laut und herzlich. Die Sonne blitzte aus einem sauberen, blauen Himmel. Sie stiegen von den Fahrrädern, legten sich ins Gras und schlossen die Augen. Moni streichelte ihren Mann. Glücklich strahlte er sie an. Dann küssten sie sich leidenschaftlich. Wie immer. Sie nahm Herberts Kopf zwischen ihre Hände, doch da zerbröselte sein Körper wie Staub. Plötzlich war überall Blut, dunkelrotes dickes Blut...
Ein schriller Schrei hallte durch die Station. Entsetzt schauten sich die Ärzte an, dann rannte Uwe in sein Arztzimmer. Moni saß schweißgebadet im Bett und zitterte am ganzen Körper. „Herbert, er... er ist tot, oder?“ Stammelte sie und sah den Arzt mit flehenden Augen an. Uwe nickte, kam näher und setzte sich an den Bettrand. Doch sofort schob sie ihn weg. „Hau ab, ich will dich nicht bei mir haben!“ „Aber mein Engel, ich bins, dein Uwe Schatz.“ Langsam und vorsichtig nahm er ihre Hand und streichelte sie. Sie legte ihren Kopf zurück auf das Kissen und starrte mit Tränen in den Augen an die Decke. Schwester Heidi klopfte an die Tür. „Georg meinte, es wäre sinnvoll, Moni in ein richtiges Krankenzimmer zu verlegen. Ist das in Ordnung?“ Uwe nickte und half ihr, das Bett zu schieben.
Kim hielt Käthe fest an der Hand. Gemeinsam betraten sie leise den dunklen Raum. Schnell stand der Chefarzt auf, begrüßte freundlich die Mädchen. Dann ließ er sie alleine. Niemand sollte seine Tränen sehen. Er fühlte sich elendig, hilflos und verlassen. Käthe schrieb ihm später eine Nachricht: Lieber Uwe, es ist alles so schrecklich. Meine arme Mami tut mir so leid. Ist es ok, wenn ich über Nacht bei ihr bleibe? Ich schlafe im Gästebett. Kim ist heim zu ihrer Mutter und zu Bruno. Für dein Auge wünsche ich dir viel gute Besserung! Grüße, deine Käthe.
Er saß in seinem Arbeitszimmer, nur wenige Meter entfernt und klickte durch seine E-Mails, unfähig sie zu lesen oder gar deren Inhalt zu verstehen. An sein geschwollenes Auge hielt ein frisches kühles Tuch. Freundlich wie immer antwortete er: Liebe Käthe, aber selbstverständlich. Sie wird sich bestimmt sehr darüber freuen. Es wird ihr gut tun, nicht alleine zu sein. Du kannst mich jederzeit anrufen, ich bin immer für euch da. Danke danke für die Wünsche für mein Auge. Es tut echt saumäßig weh.
Völlig entkräftet legte sich der Chefarzt auf seine schmale Pritsche. Er hoffte auf ein wenig Schlaf und auf die damit verbundene Erholung.
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Uta informierte aufgeregt Monis Strickfreundinnen. Alle waren schockiert und ebenfalls voller Sorge. „Ich werde am Samstag ganz früh nach Innsbruck fahren, möchte jemand von euch mitkommen? Ich traue mich eigentlich nicht, so eine lange Strecke alleine mit dem Auto zu fahren, ich hatte ja immer meinen...“ Uta verstummte. Sofort bekam sie schlechte Laune. Nur ein winziger Gedanke an Otto reichte dafür aus.
Andrea, von Moni immer nur Andy genannt, antwortete ehrlich: „Das verstehe ich sofort. Leider kann ich dieses Wochenende nicht weg, aber ich frage meine Schwester Cornelia. Wenn du magst, dann bring deine Hunde zu mir, ich kann sie über das Wochenende zu mir nehmen, die lange Fahrt ist doch bestimmt lästig.“ „Prima, ja, das wäre ja wirklich klasse. So lieb von dir, danke. Moni hatte recht, als sie damals von euch schwärmte: Andy und Conny, das sind richtige Freundinnen, wenn du weißt, was ich damit meine!“ Kurze Zeit später meldete sich Conny. Sie versprach, ohne zu zögern, mit nach Innsbruck zu gehen. „Wenn du möchtest, kann ich dich mit meinem Auto fahren. Ich mach das gerne, kein Problem.“
So entstanden in nur wenigen Minuten neue Freundschaften.
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Nachts wurde Moni von weiteren schrecklichen Alpträumen geplagt, immer wieder stieß sie spitze Schreie aus. Käthe klingelte dreimal nach der Nachtschwester. Georg verabreichte ein weiteres Medikament, in der Hoffnung, sie würde dadurch endlich zur Ruhe kommen. Sie vereinbarten, den schlafenden Uwe nicht zu wecken. „Der hat es auch nicht leicht.“ Käthe nickte verständnisvoll.
Um fünf Uhr früh wachte Uwe auf. Sein verletztes Auge schmerzte, noch dazu war die schmale Pritsche äußerst unbequem. Vorsichtig wusch er sein Gesicht mit kaltem Wasser. Das Auge selbst war inzwischen blutunterlaufen und durch das Sekret verklebt. Der stechende Schmerz verhieß nichts Gutes. Im Schwesternzimmer suchte er nach frischem Kaffee. Georg hatte sich hingelegt, auf Station war noch alles ruhig. Leise schlich er sich ins Krankenzimmer zu seiner Herzdame. Da hörte er die Atemzüge von Moni und Käthe, was ihn ein wenig beruhigte. Er beschloss, seinem frisch operierten Patienten, Herr Moser, einen Besuch abzustatten.