Leider schaffte Moni es nur selten, Olga in die Kirche zu begleiten. Sie waren so oft unterwegs oder beschäftigt. Wenn sie das Wochenende auf dem Hof verbrachten, stand das Ausschlafen auf dem Programm. Aber das ukrainische Mädchen ließ nicht locker und klopfte sonntags gerne der Türe. In den Gesprächen, bei denen manchmal auch Stefan dabei war, munterte Moni sie auf, ihre Eltern ausfindig zu machen und anzuzeigen. Sie würde sie auf jeden Fall bei diesem Vorhaben unterstützen. Doch soweit war die schüchterne Olga noch nicht.
Georg hatte seine Rita inzwischen für eine Reise in die Staaten überredet und ihr eine überdimensionale Landkarte geschenkt. Immer wenn Rita Zeit hatte, kreuzte sie eine Stadt oder Sehenswürdigkeit an, die sie gerne besuchen wollte. An einem Abend waren ihre Bauchschmerzen so stark, dass Georg es endlich bemerkte. Daraufhin hatte der besorgte Arzt eine große Untersuchung anberaumt. Dabei stellte man einige kleinere Magengeschwüre fest, die scheinbar harmloser Natur waren und medikamentös behandelt werden konnten. Ein operativer Eingriff war derzeit nicht notwendig.
Ab und zu verbrachten Moni und Uwe die gemeinsamen Abende mit den Familienangehörigen im Gasthof oder Biohotel. Dadurch kannte Moni bald alle Bewohner des kleinen Bergdorfes. Uwe war sehr dankbar und glücklich, so viele Stunden mit seiner geliebten Herzdame hier in Montan, auf dem Hof und auch im Stall zu verbringen. Stolz beobachtete Moni ihren Chefarzt dabei, wir erfahren und elegant, ja beinahe majestätisch er auf seinem Rondo saß. Die enge Reithose, die Stiefel, sein ganzes Erscheinungsbild wirkte auf sie sehr männlich, irgendwie erotisch. Sie spürte eine tiefe Liebe zu dem Arzt, der sie vor einem knappen Jahr rettete.
Linus und Lara nahmen ihren Onkel immer wieder in Beschlag, dann spielten und tobten sie laut und lachend. Uwe ging so liebevoll mit den Kleinen um, es tat Moni im Herzen leid, dass er keine eigenen Kinder haben konnte. Er wäre mit Sicherheit ein wunderbarer Vater. Schon von weitem sah man den glücklichen Gesichtsausdruck von Uwe, vor allem wenn er mit Linus alleine war. Der Bub war ganz vernarrt in seinen Onkel. Immer wieder nahm Uwe ihn mit in die Klinik.
Wie versprochen hatte Uwe moderne E-Bikes gekauft. In der wenigen Freizeit düsten sie damit durch die belebte Stadt oder den Inn entlang. Einmal im Monat hatten beide ihren Wellnesstag bei Victors Frau Irina im Schönheitsstudio. Uwe liebte es, von Kopf bis zu den Zehen gepflegt, massiert und verwöhnt zu werden. Es waren immer vergnügte Stunden mit Törtchen, Prosecco und jede Menge Spaß.
Was Moni immer noch fehlte, waren die Erinnerungen an den Unfall und die Zeit davor. Die Gedanken an ihren verstorbenen Mann Herbert waren unvollständig. Grübelte sie zu lange nach, so bekam sie heftige Kopfschmerzattacken. Hannes, Georg, sogar Ärzte aus Salzburg hatten verschiedene Ideen. Doch nichts brachte den gewünschten Erfolg. „Mein Engel, mache dich darauf gefasst, dass es eines Tages soweit sein wird.“ Uwe küsste zärtlich ihre Stirn, nahm sie sanft in die Arme. „Dann bin ich an deiner Seite und stehe dir bei. Ich liebe dich so sehr!“ „Ich liebe dich auch, mein Uwe-Schatz!“
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Da Uta sehr unglücklich in Köln war, zog sie zurück in die Heimat. Jedoch nicht in die kleine Gemeinde, sondern in die Stuttgarter Vorstadt. Sie verkaufte die alte Wohnung und investierte das Geld in ein modernes Zweizimmer Appartement in einem größeren Mehrfamilienhaus. Durch die vielen Bewohner fühlte sich Uta nicht mehr einsam. Nur ein paar Kilometer weiter wohnten Freunde, mit denen sie sich nun wieder öfters traf. Nach kurzer Suche fand sie eine Anstellung als kaufmännische Mitarbeiterin in einer Tierarztpraxis. Hier arbeitete sie vier halbe Tage. Es war erlaubt, die eigenen Hunde mitbringen. Langsam aber sicher kehrte auch für Uta wieder ein wenig Ruhe im Leben ein.
Den Kontakt zu Otto hatte sie komplett blockiert, obwohl dieser über seinen Anwalt immer wieder Briefe schickte. Alleine bei dem Gedanken an ihren Exmann wurde es ihr kotzübel. Ottos Verhandlung war schon einige Wochen her, man hatte ihn zu lächerlichen vier Jahren verurteilt. Bei guter Führung würde man ihn vermutlich früher entlassen. Was für eine ekelhafte Vorstellung. Uta hasste ihn aus tiefster Überzeugung.
Mit Moni hatte sie sich wieder versöhnt. Wann immer die Schwestern die Möglichkeiten hatten, besuchten sie sich. Ansonsten telefonierten sie mehrmals in der Woche miteinander. Ganz so wie früher.
Manchmal traf sich Uta mit Monis Strickfreundinnen Andy, Conny und Sandy. Immer wieder besuchte sie auch Klara und Adolf. Herberts Vater war inzwischen sehr krank und hatte nicht mehr lange zu leben. Er war nach wie vor tief erschüttert von dem Unglück. Noch immer war er wütend auf Moni, gab ihr die Schuld an Herberts Tod. „Das böse Weibstück! Was hat sie mit ihm gemacht? Warum ist sie ohne ihn zurück gekommen?“ Diese Sätze hatte er täglich auf Lager und nervte damit die ganze Familie.
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Lina und die Kinder fühlten sich sehr wohl im Mirabellenhof. In der Mutter-Kind-Therapie arbeiteten sie ihre Vergangenheit auf. Die Betreuer und Mitarbeiter der Einrichtung waren vertrauenswürdige und liebevolle Ansprechpartner für Lina. Durch ihre Hilfe ging es ihr seelisch inzwischen viel besser. Bei den langen Gesprächen, Spielen und Videositzungen hatte sich herausgestellt, dass Flo in Linas Abwesenheit die Kleinen öfters geschlagen hatte. In den Situationen, als sie nicht auf ihn hörten oder frech waren, wusste er sich nicht anders zu helfen. Doch auch die drei waren auf einem guten Weg in eine glückliche Zukunft. Lina lernte, sich den Problemen zu stellen. Ab und zu war sie wütend auf ihre Mutter.
Dann griff sie zum Telefon und brüllte in ihrem ausgeprägten schwäbischen Dialekt: „Weisch Muader, i glab du bisch an allem schuld! Hättsch de du net vom Vadder trennt!“ In solchen Momenten blieb Moni die Ruhe selbst. „Ach bitte nicht schon wieder. Melde dich bei mir, wenn du normal bist, ok?“ Damit beendete Moni solche Telefonate.
„Wann tommt Omi wieder zu uns? Fliegt der Opa noch immer im Himmel?“ Der inzwischen fünfjährige Gerhard vermisste seine Großeltern sehr. Sein süßes Köpfchen steckte noch voller Erinnerungen an Herbert. Bei seiner jüngeren Schwester Irene war das anders. Auf Fotos erkannte sie ihn nicht mehr, dafür nannte sie Uwe liebevoll den Doktor-Opa. „Bist du mein echter Opa?“ Fragte sie ihn immer wieder, küsste ihn gerne auf die stachelige Wange. „Du bist ein Igel-Opa!“ Uwe war vernarrt in die Kleine und liebte fast so innig wie seinen Linus.
Doch nach München fuhr er nicht gerne, die schrecklichen Erinnerungen an seine Ex hatte er noch immer nicht verdaut. Die Schlampe hatte bei ihm einen Schaden hinterlassen, ihn regelrecht traumatisiert. Die Demütigung, die er spürte, als Susan damals aus dem Männer-Clo trat, saß tief. Mit Moni redete er darüber nicht gerne, es war ihm einfach peinlich. Jedoch war die Lust auf Schnaps oder Whiskey in solchen Momenten sehr groß. Nur mit höchster Disziplin und der Angst, dass Moni ihn deswegen verlassen könnte, schaffte er es, diesem Drang nicht nachzugeben.