Zusammen mit Käthe lud Lina die Taschen und Rucksäcke aus. Die Kinder sprangen aufgeregt in den Garten, wo Bruno bereits schwanzwedelnd auf sie wartete. „Willkommen meine liebe Lina, sieh nur, das hier ist unsere Villa.“ Käthe machte eine ausladende Armbewegung. „Boa isch des geil, wirklich wohr.“ Lina hatte bisher nur Bilder von dem neuen Zuhause ihrer Schwester gesehen. Kim beendete ihre Arbeit bei ihrer Mutter. Sie hatte sie gewaschen, umgezogen und in das frisch bezogene Bett gelagert. Jetzt öffnete sie die Terrassentür, damit die Nachmittagssonne in das Zimmer scheinen konnte. „Aha, schau nur Mutter, der Besuch ist da. Sie werden sicher auch gleich zu dir kommen.“ Kims Mutter lächelte dankbar, sie freute sich auf die Abwechslung in ihrem tristen Dasein.
Olga kam freudestrahlend aus dem Haus, auch sie liebte Linas Kinder abgöttisch. „Tante Olga, Tante Olga.“ Die Kleinen begrüßten sie stürmisch. „Hallo Irene, hallo Gerhard. Kommt mir ins Haus, ich habe Kuchen gebacken!“
Lina betrachtete ihre Kinder. „Ha des isch subber, dass Olga a do isch. No kennet mir nochher in aller Ruh d`Muader bsuche, odr?“
Gerhard und die kleine Irene beobachteten voller Freude die Hühner, tobten mit Bruno im großen Garten und pflückten Gänseblümchen. Diese brachten sie stolz zu der Oma im Zimmer, die nicht mehr laufen konnte. „Für dich“, Gerhard bekam als Dankeschön einen feuchten Schmatz von Kims Mutter.
***
Thommy hatte seinen Freund zu einem Abendessen beim Italiener überredet. Uwe verspürte zwar gar keinen Hunger, doch freute er sich über diese Idee. Sie bestellten Pizza, Salat und Bier. Es war Freitag Abend und jede Menge los. Sie suchten sich einen ruhigen Tisch hinten im Nebenzimmer. Jetzt erzählte Uwe endlich, was passiert war. Wie immer vertraute er seinem besten Freund all seine Ängste und Wünsche an.
„Oha, scheiße! Wenn du möchtest, rede ich in Ruhe mit ihr über den Unfallhergang. Ich war schließlich gleich vor Ort.“ Uwe nickte, schnell wischte er eine Träne weg. „Ja vielleicht ist das eine gute Idee“. Er aß gerade mal die Hälfte seiner Pizza, „Mir hat die Sache auf den Magen geschlagen, sorry!“ „Komm, dann lass uns gehen, wir nehmen die Reste mit. Ich habe uns einen Kasten Bier organisiert. Er steht schon in deinem Garten.“
„Na dann,“ Uwe verpasste seinem Kumpel lachend einen Boxhieb in die Seite.
Nach zwei Flaschen Bier maulte Uwe: „Bier! Eigentlich dachte ich heute an einen gediegenen Whiskey-Rausch, der all meine Sinne und Gedanken betäubt hätte. Ich brauche ein richtiges Besäufnis!“ Thommy lachte, „Nein, auf keinen Fall! Deswegen bin ich ja hier.“ Genervt stellte sich Uwe unter die kalte Dusche und zog sich den Trainingsanzug an. Er nahm den Augenverband ab und versuchte, die Schmerzen zu ignorieren. Dann träufelte er die verordneten zwanzig Augentropfen ein, verteilte großzügig die Schmerzsalbe und schluckte eine Tablette Ibuprofen 800. Vorsichtig legte er die Augenklappe wieder an.
Schmunzelnd beobachtete er, wir Thommy draußen mit dem Gartenschlauch hantierte und Monis Pflanzen und Blümlein wässerte. Uwe zeigte auf die Rotwein-Flecken an der Wand, „Kannst du die abwaschen?“ Thommy tippte mit seinem Zeigefinger gegen seine Stirn „Das machste mal schön selber!“
Uwe stellte Kekse, die Pizzareste und die Schachtel mit den Zigarren auf den Tisch, schob ihn unter die Markise, nahm sein Telefon in die Hand und tippte die Nummer seiner Station. Zuerst erkundigte er sich nach Moni. Sie hatte noch Besuch von Uta und Conny. Auch Käthe und Lina wurden erwartet, die Mädchen hatten sich in den Kopf gesetzt, über Nacht bei ihrer Mutter zu bleiben. Victor erklärte ihm außerdem, dass Georg zurück auf den Hof gefahren war, Rita ging es wohl nicht gut.
„Warum weiß ich davon nichts?“ „Es tut mir leid, aber dein Vater hat mir nichts Näheres erzählt. Eva war so freundlich und hat die Rufbereitschaft übernommen.“
Als Nächstes telefonierte Uwe mit Salzburg und sagte die Teilnahme an dem kleinen Kongress für kommenden Montag ab. Steffi zeigte sich besorgt. „Sag den Leuten bitte, dass etwas Wichtiges dazwischen gekommen sei!“ Dann schrieb er seiner Schwester Tina eine Nachricht. Hi, Thommy ist jetzt bei mir, ich komme morgen auf den Hof. Grüß mir die Kinder und gebe ihnen einen dicken Kuss von mir. Habe euch lieb!
Seinen Vater konnte er leider nicht erreichen.
Thommy durchsuchte Uwes CD-Sammlung und fand von David Bowie Nothing has changed, die größten Hits von dem verstorbenen Idol ihrer Kindheit. Als Uwe zurückkam, stand eine weitere leere Flasche Bier neben Thommy.
„Und was ist mit dir?“
„Ach.“
„Na los, erzähl schon! Ich hol uns eine Flasche Wein.“
„Mhm, also mit mir und Resi ist es grad schwierig, aber das kommt eben in jeder Beziehung mal vor.“ Uwe glotzte ihn erstaunt mit dem gesunden Auge an.
„Oh, das tut mir leid. Was ist denn los?“ Der Gedanke, dass andere Pärchen ebenfalls Probleme haben, tröstete ihn für einen kurzen Moment.
„Ich habe das Gefühl, dass sich Resi als meine Partnerin in letzter Zeit etwas gehen lässt, wenn du verstehst.“ Im Raum herrschte Stille.
Nein, sowas verstand Uwe nicht.
„Was meinst du denn damit? Resi ist eine wunderbare, hübsche und intelligente Frau. Noch dazu eine liebevolle Mutter. Wie lange seid ihr jetzt schon zusammen? Was erwartest du?“ Uwe schüttelte den Kopf und befüllte die beiden Weinkelche. Thommy stellte die Musik lauter, setzte sich raus und zündete zwei Zigarren an.
Paffend erklärte er seinem Kumpel: „Was ich erwarte? Ich möchte wieder richtig geilen Sex mit ihr haben, ganz einfach!“ Uwe verschlug es die Sprache über diese Offenheit.
„Ich habe es satt. Immer dieses Ausreden, wie zum Beispiel, die Kinder könnten es hören, ich habe Kopfweh, ich bin müde... Verstehst du?“ Uwe fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, nestelte nervös an seinem Verband. „Ähm, ich weiß jetzt leider nicht, was ich dazu sagen soll. Ein ziemlich intimes Problem, schätze ich!“ „Du musst nichts sagen,“ in einem Zug leerte Thommy sein Glas.
„Sprich das Thema doch direkt an und sage ihr, freundlich und liebevoll, was du dir wünscht! Vielleicht musst du dir mehr Mühe geben? Bring die Kinder zu deinen Schwiegereltern, geh mit ihr aus und streng dich an!“
„Das sollte ich tun, ja. Bist du mit deinem Liebesleben zufrieden?“ Uwe ließ sich Zeit für seine Antwort.
„Ja Thommy, das weißt du doch. Ich bin jetzt Mitte vierzig und hatte noch nie eine dermaßen erfüllte Beziehung mit so viel Liebe, Zärtlichkeit, Nähe und wunderbarem Sex. Ja, ich war wahnsinnig glücklich, bis gestern.“
„Ja, so ein Mist!“
„Stell dir vor, Moni war schon einmal in einem Swingerclub, also früher.“
„Geil! Und? Was hat sie alles erzählt?“ Thommy hüpfte hibbelig auf seinem Stuhl hin und her.
„Nichts! Also ich wollte nichts darüber hören. Alleine die Vorstellung, wie Moni ....“
Thommy winkte ab, „Alles klar, verstehe. Lass uns das Thema wechseln. hast du was von Peter gehört?“
Uwe gähnte herzhaft, warf seinem Freund einen bösen Blick zu. „Du weißt genau, dass ich darauf keinen Wert lege über ihn zu reden. Ich habe die Nase voll von diesem Arschloch!“ Ja, jetzt kam Uwe richtig in Fahrt. „Er ist seit zwei Monaten in Wien. Scheinbar gibt es für ihn und seiner Familie dort eine Art Neuanfang. Deswegen suchen wir immer noch einen Nachfolger. Eva ist toll! Aber leider fehlt ihr noch die nötige Erfahrung.“ Thommy nickte und gähnte ebenfalls.
„Wir können über den Mallorca Urlaub reden. Ist schon in einer Woche.“ Doch Uwe winkte ab. „Keine Ahnung ob er stattfindet!“ „Wie bitte? Das kannst du uns und den Kindern nicht antun.“
Beide tippten auf ihren Handys, bis Uwes Augen zu fielen. Scheinbar vertrugen sich der Alkohol und die Menge an Schmerzmitteln nicht.