Später brachte Hannes Tee und Kekse vorbei. Er blieb noch eine Weile bei den Frauen sitzen. Käthe telefoniert mit Kim, die Freundin versprach gleich vorbei zu kommen. Moni starrte an die Wand. Otto! Unfassbar!
Otto? Der liebevolle Schwager, der sich immer um alles und jeden kümmerte. Konnte das wirklich wahr sein? Nein, das war doch nicht möglich. Ihre Schwester Uta würde es nie im Leben glauben. Niemals. Doch eins war sicher. Käthe hatte diese Sache nicht erfunden. Wenn sie zurückdachte, wie oft ihre Kinder dort die Wochenenden verbrachten. Es wurde ihr ganz schlecht.
Auch Uwe stand auf einmal in der Tür. Ernsthaft betroffen betrachtete er Käthe. „Ach du meine Güte, meine Liebe, was hat man dir denn angetan?“ Tröstend legte er den Arm um das Mädel, gleichzeitig streichelte er Monis Hand. Sofort sah er ihren besorgten Gesichtsausdruck. Sein
liebevoller Blick tat so gut. Ein warmes Gefühl durchströmte sie.
Uwes Nähe war für Moni eine Art Kraft-Ort. Wenn sie zurück an die Zeit nach dem Unfall dachte, als sie schutz- und wehrlos in ihrem Krankenbett lag. Wochenlang war sie auf fremde Hilfe angewiesen. Uwe war rund um die Uhr für sie und Käthe da. Er sowie sein Vater waren wunderbare Menschen. Sie hatte wirklich großes Glück im Unglück gehabt.
„Uwe! Danke, dass es dich gibt!“ Tränen liefen ihr übers Gesicht.
„Mein Engel, ich habe dir versprochen, dass ich immer für dich da sein werde.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich liebe dich!“
Erstaunlicherweise gab sich Käthe schon am selben Abend wieder stark und tapfer. „Mein Entschluss ist gefasst. Nie wieder! Nie wieder werde ich auch nur einen Fuß Richtung Heimat machen. Die können mich alle am Arsch lecken!“
Uwe meinte zuversichtlich: „Das ist wirklich schlimm. Alle Achtung, nie im Leben wäre ich darauf gekommen. Was habt ihr nun vor mit Otto? Gibt es eine Anzeige?“ „Käthe möchte noch einige Tage darüber nachdenken. Es geht ihr auch um die Tante. Wir gehen davon aus, dass sie nichts über diese Angelegenheit weiß.“ Moni war immer noch kreidebleich. „Lina werden wir mit dieser Geschichte erst konfrontieren, wenn sie in der Einrichtung in München angekommen ist. Dort wird man ihr den nötigen Halt geben können.“
Uwe nickte. „Aber es hat auch was Gutes. Es ist keine bleibende Krankheit. Wir können eine Therapie anstreben, Käthe wird wieder ganz gesund werden, das verspreche ich dir!“ Dankbar streichelte Moni Uwes Hand.
***
Den ganzen Tag hatten sie schwer geschuftet. Alle Männer halfen beim Schleppen und Tragen. Moni hatte mit Olga alles geputzt sowie eingeräumt. Käthe und Rita waren in der Küche beschäftigt, die Köchinnen hatte einen leckeren Pfundstopf für 10 Personen zubereitet.
Nach dem Essen blieben die Helfer bei einem Bierchen gemütlich am großen Esstisch sitzen. Uwe und Moni verabschiedeten sich jedoch früh, sie waren müde und freuten sich auf die erste Nacht in der gemeinsamen Wohnung. Sie saßen auf dem Boden vor dem großen Panoramafenster, welches sich über die ganze Front von Ess- und Wohnzimmerbereich erstreckte, und schauten in die Ferne. Die höchsten Gipfel wurden gerade noch ein wenig von der Sonne beleuchtet. Das sogenannte Alpenglühen, ein wahrlich grandioser Anblick.
Uwe strahlte wie ein aufgeregtes Kind. „Mein Engel, du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich bin!“ Er nahm sie zärtlich und liebevoll in seine starken Arme, eine Freudenträne machte sich auf den Weg. Verärgert darüber wischte er sie schnell weg. „Ich bin eine männliche Heulsuse, oder?“
„Uwe, mein Schatz, du bist ein toller Mann. Ich liebe dich so wie du bist! Ein echter Kerl, der seine Gefühle so offen zeigen kann. Was hab ich doch für ein Glück. Ich kann das alles noch gar nicht glauben“. Sie küsste ihn leidenschaftlich, dabei dachte sie für einen kurzen Moment an ihren Herbert. Bedingt durch die vielen Vorkommnisse der letzten Tage, hatte sie die Termine beim Pfarrer abgesagt. Die Trauerarbeit musste noch ein wenig warten. Glücklicherweise waren Kopfschmerzen und Alpträume im Moment nicht vorhanden.
Die Holzscheite lagen schon bereit, gemeinsam zündeten sie zum ersten Mal den modernen Kamin-Ofen an. Schnell züngelten kleine Flammen, das Holz knisterte romantisch. Uwe öffnete vorsichtig eine Flasche von seinem besten Champagner, Moni nahm behutsam die schlanken Sektkelche aus der Vitrine. Alles war neu und ungewohnt.
Mit dem Rücken an die überdimensionalen Kuschelkissen angelehnt, prosteten sie sich zu. „Auf eine wundervolle, gemeinsame Zukunft!“ In der einen Hand hielten sie ihr Glas, die andere hatten sie fest ineinander verschlungen. Beide hatten einen bequemen Hausanzug an sowie bunte, selbstgestrickte Socken an den Füßen. Uwe fühlte sich wohl und heimelig. Moni saß zufrieden neben ihm.
„Es bedeutet mir wahnsinnig viel, mit dir hier zu sein. Ich kann es noch gar nicht glauben. Susan hasste das Landleben, den Geruch von Kuh und Stall. Es war schon immer ein Herzenswunsch von mir, hier zu leben. Weißt du, wir hatten auf dem Hof eine glückliche Zeit erlebt. Es war eine ganz besonders schöne Kindheit, diese Freiheit mit dem vielen Platz und den Tieren. Ich hatte schon als kleiner Bub mein eigenes großes Pferd. Leider waren wir immer nur für eine paar Tage hier. Wir hatten ein großes Haus in Innsbruck, die Stadtvilla, von der ich dir schon erzählt hatte. Aber wir haben auch lange Zeit in München und in Wien gelebt. Mein Pa war ein angesehener, erfolgreicher Gehirnchirurg, hatte einige neuen Methoden der Tumor-Operationen erfunden. Er war ständig unterwegs. Tina und ich hatten unsere Privatlehrer, die mit uns zusammen wohnten, so war der Ort und das Land egal. Mama ist mit uns in den Ferien oder am Wochenende immer hierher nach Montan zu ihrer Schwester Rita geflüchtet, vor allem wenn sie Streit mit Georg hatte.“
Er schaute zu Moni, „Langweile ich dich?“ „Nein, gar nicht, erzähl weiter. Ich hör dir sehr gerne zu“, sie streichelte seine Hand.
„Georg stand immer gerne im Mittelpunkt, leider auch bei den Frauen. Immer wieder hatte er kurze Liebschaften, was teilweise an die Öffentlichkeit gelangte. Meine Mutter litt sehr unter dieser Tatsache, schaffte es aber nicht, sich von ihm zu trennen. Während meines Studiums wurde sie krank, bekam unheilbaren Bauchspeicheldrüsenkrebs. Sie verstarb innerhalb weniger Monate.“ Er hielt inne und sah seine Herzensdame mit wässrigen Augen an. Moni küsste ihn zärtlich, „Ich kann mitfühlen, ich weiß sehr gut wie das ist, wenn man seine Mama viel zu früh sterben sieht. Ich selber war gerade mal 16 Jahre.“
Uwe nickte wissend, sie hatte ihm diese Geschichte schon erzählt. Eine ganze Weile saßen sie engumschlungen da, hielten sich fest. Bruno wackelte daher und legte sich zu ihnen auf ihre Füße. Moni lächelte und streichelte den wuscheligen, lieben Hund.
Uwe räusperte sich, nippte an seinem Glas, „Tina und ich gaben Georg die Schuld an der Krankheit. Viel zu spät zeigte er Reue, erkannte, was er angerichtet hatte und zog sich zurück. Er tingelte einige Monate durch die Weltgeschichte, kam dann wieder nach Innsbruck. Er gründete die Stiftung und baute die Klinik. Schlussendlich haben wir ihm verziehen. In seiner Trauer wollte er helfen, sich nützlich machen. Gemeinsam sind wir nach Afrika zu den Ärzten ohne Grenzen. Dort habe ich Susan kennengelernt. Dann wurde ich schwerkrank, Malaria, du weißt...“ Moni war inzwischen aufgestanden, hatte zwei Holzstücke nachgelegt und die Gläser noch einmal gefüllt. Bruno beobachtete jeden Schritt von seinem Frauchen. Für ihn war diese Wohnung schließlich auch neu. Daher kläffte er dreimal laut.
„Das Leben ist hart und ungerecht, also nimm dich in Acht!, pflegte mein Vater immer zu sagen.“ Moni schüttelte sich die langen Haare aus dem Gesicht.
„Uuund, wie ist das jetzt mit dem Reichtum? Kommt das alles von Georg und seiner Arztkarriere?“ Uwe schloss die Augen. „Das Thema gefällt dir doch nicht“.
„Naja, neugierig bin ich inzwischen aber schon,“ Moni lächelte.