Aus unterschiedlichen Gründen verschob sich die geplante Operation um zwei Tage. Moni war von München zurück und bei Uwe in der Klinikverwaltung beschäftigt. Sie hatte ihm versprochen, ihn bei der Büroarbeit zu unterstützen. Gleichzeitig war sie so in seiner unmittelbaren Nähe, was ihm die Kraft verlieh, die er im Moment benötigte. In der Innsbrucker Wohnung hatte sie vier leere Weinflaschen entdeckt, die Uwe ungeschickt unter dem Bett versteckt hatte.
Moni war immer noch am Überlegen, ob und wie sie ihn darauf ansprechen sollte.
Heute Abend waren sie bei Victor eingeladen. Irina und ihre Cousine planten ein russisches Essen. Moni freute sich auf diese Abwechslung und auf lustige, sorgenfreie Stunden. Diese kostbare Zeit wollte sie nicht mit Ärger zerstören. Der richtige Moment würde bestimmt noch kommen.
Am späten Nachmittag lief Moni mit einer Aktentasche zur Station K1. Sie benötigte dringend einige Unterschriften von Uwe. Maria kam gerade aus dem Schwesternzimmer, sie vermied den direkten Blickkontakt. Doch Moni ließ sich nicht beirren, grüßte sie freundlich, „Hallo Maria, wie gehts dir? Weißt du zufällig, wo sich mein Schatz rumtreibt?“ Maria nickte zum Gruß und zeigte mit dem Finger auf Uwes Arztzimmer. Sie sprach kein Wort, wirkte insgesamt sehr kühl.
Moni fand dieses Benehmen unmöglich. „Maria, sag mir, was habe ich dir getan? Kannst du es nicht akzeptieren, dass Uwe und ich ein Paar sind? Wir lieben uns, auch wenn ich in Zukunft nicht immer hier in Innsbruck sein werde, wird sich daran nichts ändernd. Niemals!“
Maria senkte ihren Kopf, „Es tut mir leid. Ich...“ Sie wurden unterbrochen, denn Uwe eilte mit schnellen Schritten herbei. Schon von weitem rief er: „Mein Engel, wie schön dich hier zu sehen.“ Er gab Moni einen zärtlichen Kuss, nahm ihre Hand und zog sie mit sich. Traurig blickte Maria den beiden hinterher.
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Schon wieder war Moni mit Packen beschäftigt. Ihr Auto war bis auf den letzten Zentimeter beladen. Die Hälfte der Rückbank wurde durch Bruno und sein Gepäck belagert. Olga und Rita brachten ihr einen Korb mit Leckereien vorbei. „Für deine lange Fahrt. Bitte, komm bald wieder.“ Moni nahm die Frauen herzlich in den Arm und versprach ihnen, nur für einige Tage weg zu sein.
Franz und Karl winkten traurig vom Stall aus zu. Von Tina, Max und den Kindern hatte sie sich bereits verabschiedet. Moni war zuversichtlich, dass sich alle an diese neue Situation gewöhnen werden. Sie hatte nämlich keine Lust darauf, jedes Mal so ein Szenario des Abschiedes zu erleben.
Kaum war sie losgefahren, da klingelte auch schon ihr Telefon. Es war Uta, die ihr glücklich verriet: „Stell dir vor, die Handwerker sind fast fertig. Die Räume des Strickcafés erstrahlen bereits in hellem Weiß. Die neuen Holzdecken, Türen und Fenster sind angebracht. Ist das nicht toll?“
„Wow! Super, ich freue mich so!“ In einem langen Telefonat erfuhr Moni, dass in der kommenden Woche auch die sanitären Anlagen fertig gestellt werden. Selbst die Klimaanlage war schon geliefert und wartete im Lager auf die Montage.
Jetzt konnten die Freundinnen endgültig die Inneneinrichtung planen und sich um den Feinschliff kümmern. Möbel, Regale, Deko und Küche wollten sie gemeinsam aussuchen. Moni hatte sogar erste Termine mit Woll-Lieferanten vereinbart. Um die Finanzierung hatten sich die Männer gekümmert. Tom hatte die brillante Idee gehabt, eine Firma auf Monis Namen zu gründen, die das Gebäude kauft, um es an das Strickcafé, welches von Andy, Conny und Sandy geführt wurde, zu vermieten. So wurde für alle Beteiligten das Risiko niedrig gehalten, falls sich der gewünschte Erfolg nicht einstellen würde.
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Genau heute vor einem Jahr passierte das tödliche Unglück. Schon zum zweiten Mal an diesem Tag schob Moni die düsteren Gedanken beiseite und dachte an den vergangenen Abend mit ihrem Uwe Schatz. Sie hatten sich stundenlang Zeit füreinander genommen. Sich gegenseitig den Rücken massiert, gemeinsam gebadet, dabei eine Flasche Champagner getrunken und diese wunderbaren Trüffel gegessen.
Kurz bevor er heute Morgen mit traurigem Blick ins Auto stieg, versuchte ihn Moni zu beruhigen. „Schatz, mach dir keine Sorgen, ich bleibe nicht lange.“ Doch Uwes Gesichtsausdruck blieb finster.
„Bitte, tu mir einen Gefallen, lass die heimliche Trinkerei. Du weißt, das gefällt mir überhaupt nicht.“
Uwe schluckte laut. „Ich geb mir Mühe“, war alles, was er daraufhin zu sagen hatte. Dann gab er seinem Chauffeur das Zeichen, er solle losfahren.
Jetzt wählte sie seine Nummer, denn gleich würde der Chefarzt für viele Stunden in den Operationssaal verschwinden.
„Mein Engel, wie schön, dass du dich bei mir meldest. In wenigen Minuten geht es los. Bei dir alles gut?“
„Ja Schatz, alles bestens. Ein paar kleinere Staus um München, wie immer. Ich drück dir ganz feste die Daumen und denk an dich!“
Monis erstes Ziel war der Friedhof in ihrem Heimatort. Dort warteten ihre Freundinnen mit einem großen Blumenstrauß. Jetzt, da sie an Herberts Grab stand, ließ Moni ihrer Trauer und ihren Tränen freien Lauf. Was für ein schlimmes Unglück doch damals geschehen war. Ein Jahr war das jetzt her? Sie schüttelte den Kopf, flüsterte leise: „Unglaublich, mein armer Liebling!“ Sie lief an das hölzerne Kreuz und streichelte über Herberts Namen. „Es wird Zeit für einen angemessenen Grabstein. Ich kümmere mich drum.“
Dann setzte sie sich zu Conny und Andy auf die Bank. Gemeinsam beteten sie in aller Stille.
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Nachdem das Team von Dr. Uwe Ortner den Patienten für die Operation vorbereitet hatte und seinen Kopf mit der sogenannten Mayfield-Klemme fixiert hatte, malte der Chefarzt einen Halbkreis auf die abrasierte Kopfhaut. Mit einer Art Stichsäge sägte er ein Loch in den Schädel. Der bekannte Politiker spürte dabei keinerlei Schmerzen, hatte er doch vorher eine gute Spritze mit Propofol sowie eine lokale Anästhesie erhalten. Die Schädeldecke wurde frei gelegt, schon sah man die Gehirnwindungen, nur noch verdeckt von der zähen Hirnhaut.
Im Raum war es durch die vielen Scheinwerfer, Geräte und Monitore heiß. Die ersten Schweißperlen bildeten sich an Uwes Stirn, welche die OP Schwester fürsorglich abtupfte. Dankbar fiel sein Blick auf seine ruhigen Hände.
Langsam und vorsichtig durchtrennte Uwe die Hirnhaut und klappte sie zur Seite. Nun lag das Gehirn sowie der Tumor frei. Sein Kollege stellte sich neben ihn, der Logopäde nahm die Hand des Patienten und signalisierte ihm, dass es gleich los gehen würde.
Die Kollegen schoben zwei große Bildschirme über den Kopf des Patienten. Der Chefarzt stand auf, um einen letzten Schluck Wasser zu trinken. Die Schwester half ihm dabei, das OP-Mikroskop aufzusetzen.
Jetzt tauchte Uwe ab in seine Welt. Hochkonzentriert vergaß Uwe seine Umwelt, es gab nur noch ihn und den zu operierenden Tumor.
Vorsichtig arbeitete er sich durch das gesunde Hirngewebe, um bis zu dem Geschwulst vorzudringen. Leider konnte man nicht verhindern, dass bei der Operation auch gesunde Neuronen zerstört werden. Meistens aber ohne merkliche Folgen. Millimeter für Millimeter tastete sich Uwe vor, während der Logopäde mit dem Patienten die Übungen wiederholte. Nur mit seiner Hilfe und Antworten war es Uwe möglich, sicher zu sein, wo sich das gesunde Gewebe befand und wo er den Tumor abschaben, besser gesagt absaugen konnte. Er markierte alle Stellen, erst nach über eine Stunde waren die Tests abgeschlossen und das Ärzteteam konnte die Operation fertigstellen. Den Patienten hatte man für diese Phase wieder in den Tiefschlaf geschickt.
Die Ärzte und das komplette Team gratulierten Dr. Uwe Ortner für die gelungene OP.