Adolf hakte sich wider Willen bei seiner Tochter Klara unter. Mit ihrer Unterstützung trippelte er den dunkeln Gang entlang Richtung Badezimmer. Heute war kein guter Tag, denn beim ersten Versuch auf die Toilette zu gehen, stürzte der alte Mann und flog der Länge nach auf den Boden. Es war ein glücklicher Zufall, dass er mit einem Arm nach dem Telefon greifen konnte, dass er versehentlich auf dem Stuhl hatte liegen lassen. Er drückte einige Tasten, dabei erwischte er die Funktion Wahlwiederholung und erreichte seinen Enkelsohn Tim. Er alarmierte Klara, die sich natürlich sofort auf den Weg machte. Sie schimpfe mit ihrem Vater: „Siehsch, es geht nimmer aloi. Du brauchsch Hilfe, ne Pflegekraft.“ „Nie im Leben!“ Schrie er sie an. „Oder du kommsch in an Altersheim!“ „Du spinnst wohl!“
Früher wäre sie zu Herbert gegangen und hätte sich mit ihm beraten. Sie versuchte Moni zu erreichen, doch da meldete sich nur die Mailbox. Uta kam ihr in den Sinn und tatsächlich versprach diese, so schnell wie möglich zu kommen. „Gott sei Dank, des isch lieb.“ Klara weinte, während ihr Vater dabei war, das komplette Bad zu versauen, da er im Stehen pinkelte und die Schüssel nicht traf.
***
Durch das Klingeln seines Diensttelefons wurde Uwe kurz nach sieben wach. Monis gleichmäßige Atemzüge ließen ihn wissen, dass der Lärm nichts an ihrem tiefen Schlaf änderte. Vorsichtig und leise verließ er das Schlafzimmer, um sich zu erkundigen, was der Grund des Anrufes war. Während Eva ein paar unwichtige Fragen stellte, schaltete er die Kaffeemaschine ein, streichelte Bruno, öffnete für ihn die Terrassentür und setzte sich mit ihm in den Garten. Die Luft roch angenehm frisch, es war noch kühl, doch der Himmel erstrahlte in einem wunderschönen Blau, bereit für einen weiteren herrlichen Sommertag. Freundlich wie immer beendete er das für ihn völlig unnötige Telefonat. Er las die Nachricht seines Vaters, sofort wurde er traurig.
Zurück im Bett streichelte er zärtlich seine Herzdame, doch sie schlief immer noch tief und fest. Da er topfit war, stand er wieder auf und marschierte in die Küche. Beim Anblick der Unordentlichkeit, die dort herrschte, verzog er angewidert das Gesicht. Nach einer weiteren Tasse Kaffee und dem letzten Stück Kuchen seufzte er laut und begann mit Tätigkeiten, die er hasste. Dafür hätte er sehr gerne Mitarbeiter angestellt. Aber Moni war ja dagegen. Jetzt hatte er den Salat. Er!
Chefarzt Dr. Uwe Ortner krempelte die Ärmel hoch, befüllte die Spülmaschine, putzte die Ablage und holte den neumodischen Staubsauger. Ganze zehn Minuten benötigte er, um das Ding überhaupt zum Laufen zu bekommen. Grinsend lief er mit dem Gerät durch die Wohnung. Es machte ihm vor allem viel Spaß, Bruno damit zu ärgern, denn scheinbar hatte der große Hund tierische Angst vor dem Gerät. Er erinnerte sich an die Handtücher, steckte diese in den Trockner. Die exklusiven Fliesen im Badezimmer zeigten Wasserränder, Staub und Fusseln überall. Er raufte sich die Haare, suchte den Eimer mit den Putzmitteln. Nach über einer Stunde Arbeit im Haushalt gefiel ihm die Wohnung wieder. Leise öffnete er die Tür ins Schlafzimmer und setzte sich an die Bettkante. Ein klein wenig räkelte sie sich unter seinen zärtlichen Händen, doch sie brummte nur. „Boah, ich bin voll müde.“ Daraufhin drehte sie sich auf die andere Seite.
Uwe wählte Georgs Nummer, aufgeregt meldete sich dieser. „Uwe danke, dass du zurück rufst. Ich fühl mich ganz schön einsam und hilflos.“
„Ja Pa, das glaub ich dir gerne. Wie lange wird die Operation dauern?“ „Weißt du, es ist ein großer Eingriff, etwa sechs Stunden reine OP-Zeit, je nachdem. Es werden ja nicht nur Teile der Organe entfernt, sondern auch die Magen-Darm Passage wieder hergestellt. Keine Ahnung wie sowas überhaupt gehen soll!“ Georg lachte ein seltsames Lachen.
Nachdem Uwe seinen Vater einigermaßen beruhigt hatte, erzählte er von Moni und der aktuellen Situation derzeit auf Station. Zuversichtlich verabschiedeten sich die beiden Hirnchirurgen, die keine Ahnung von der Gastroenterologie hatten.
Sein Handy klingelte schon wieder. Dieses Mal kam er nicht drum herum. Das Gespräch mit Thommy bezüglich des anstehenden Mallorca-Urlaubs stand an.
„Weißt du was Uwe, es ist nicht schlimm. Nehmt euch die Zeit, denkt in Ruhe über alles nach. Wir fliegen definitiv am Donnerstag, denn sonst haut das mit meinen Urlaubstagen nicht hin. Ihr kommt dann einfach nach, ja?“
Bruno bellte laut und spielte mit dem leeren Napf. Uwe gab ihm sein Premiumfutter, überhäufte ihn mit Streicheleinheiten, steckte Mozarts Sinfonie 39 in den Player und entspannte auf der Couch. Er telefonierte zuerst mit Tina, anschließend mit Käthe und Olga. Er versprach den Mädchen morgen Nachmittag vorbei zu kommen, Rondo wartete bestimmt ebenso auf ihn.
Als sein Magen knurrte, zog er den Trainingsanzug an, setzte die Baseballmütze auf, welche ihm sein Vater mit den Worten: Falls dich mal niemand erkennen soll schenkte. Uwe hielt sein Ohr an die geschlossene Schlafzimmertür. Noch immer war es still. Freundlich erklärte er Bruno, dass er nur schnell Frühstück holen würde. Kurz darauf schlenderte er gemütlich zum Kiosk in der Klinik.
Tatsächlich schien ihn niemand zu erkennen, erst als er seine Bestellung aufgab, riss die freundliche Verkäuferin die Augen auf. „Ach, Herr...“ Schnell schüttelte der Chefarzt seinen Kopf. „Psst“. Er orderte zwei Butterbrezeln, drei Vollkornbrötchen, ein Überraschungsei sowie eine Packung Ferrero Küsschen. Großzügig wedelte er mit einem fünfzig Euroschein, „Sie haben mich nicht erkannt und nicht gesehen.“
Zurück in der Wohnung stellte er liebevoll für Moni ein kleines Frühstück zusammen, kochte Tee und noch einmal Kaffee. Leise brachte er alles ins Schlafzimmer auf das kleine Tischchen neben dem Bett. Bruno brachte ihm den Ball, damit tobten sie eine weitere Runde im Garten. Um halb zwölf entschied er, Moni nun endgültig zu wecken. Uwe zog die Jalousien hoch, öffnete Tür und Fenster bevor er sich zu seinem Liebling ins Bett legte und sie liebevoll in seine Arme schloss. „Mein Engel, guten Morgen.“ Doch ihre Antwort bestand nur aus einem leisen Brummen. Ihr Blick war leer, die Augen vom Weinen gerötet. Dann schluchzte sie laut, „Weißt du, er ist einfach tot, und ich bin daran schuld!“
Uwe hielt sie fest an sich gedrückt und streichelte sie wortlos.
„Mein Engel, möchtest du einen Kaffee? Oder vielleicht eine Kleinigkeit essen?“ Sie schüttelte den Kopf, stand auf und ging mit wackeligen Schritten Richtung Toilette. Traurig schaute er ihr hinterher, er wusste sich keinen Rat. Noch heute würde er mit Hannes reden.
„Was ist mit Rita?“ „Wir wissen es nicht, die Operation dauert noch.“
„OK. Du, mir ist ganz schwindelig, ich leg mich wieder hin, ja?“ Vorsichtig gab Uwe ihr einen Kuss, den sie leider nicht erwiderte. „Mein Engel, ich muss jetzt in die Klinik.“ Moni nickte, schloss die Augen und drehte sich weg.