Nach den Untersuchungen schlenderte Moni direkt zu Uwe ins Arztzimmer. Dieser wertete das MRT persönlich aus, zeigte ihr die Bilder, betonte ein weiteres Mal, dass absolut alles in Ordnung sei. Er habe überhaupt keine Erklärungen für die pochenden Schmerzen. „Es tut mir so leid, mein Engel. Vielleicht eine Art Migräne. Die Blutergebnisse haben wir morgen.“
Schwer beladen mit zwei Einkaufstaschen humpelte Moni zurück. Sie hoffte, dass Uwe sie so nicht sah. Er würde schimpfen und sie fragen, ob sie verrückt war. Schließlich könnte sie sich ein Taxi rufen. Morgen schon würde sie ihren BMW XDrive Hybrid abholen, dann würde sie bestimmt wieder öfters Auto fahren. Den hatte sie sich tatsächlich gegönnt.
Nur weil Uwe so frech war und sie mit den folgenden Worten neckte: Du kannst halt nicht mit großen Autos fahren, traust dich nicht. Du schwäbische, kleinkarierte Memme!
Es war nur ein frecher Spaß, doch daraufhin bestellte sie sich telefonisch das nagelneue Auto mit allem technischen Schnickschnack für weit über 90.000 €. Manchmal gefiel ihr der Luxus, das musste sie zugeben. Die erste große Fahrt sollte am Sonntag nach Toblach sein. Gemeinsam mit Resi hatte sie diese Überraschungsaktion für Uwe und Thommy geplant.
Bei so einem turbulenten Leben waren Kopfschmerzen vermutlich an der Tagesordnung, redete sie sich ein. Sie räumte die Lebensmittel auf, begann das Gemüse zu waschen und zu schneiden, dabei telefonierte sie mit nacheinander mit ihren Töchtern. Lächelnd lauschte sie ihren Erzählungen. Lina berichtete über die Fortschritte ihrer Karriere als Sängerin, Käthe vor allem von Bruno. Im Hintergrund bellte der große Hund seine Grüße nach Innsbruck.
Heute gab es Ofengemüse mit Hähnchenbrustfilet. Für Uwe hatte sie das Rezept abgeändert, denn er würde niemals Zwiebeln oder Paprika essen. Zum Fleisch, den Karotten und Kartoffeln gab sie für die letzten zehn Minuten eine grob geschnittene Zucchini in die Form. Gewürzt wurde das Ganze nur mit etwas Olivenöl, Salz, Pfeffer und auserwählten italienischen Kräutern.
Sie kauften und aßen nur regionale Bioprodukte, darauf legten beide großen Wert. Für Moni eine extrem wichtige Gemeinsamkeit. Am allerliebsten deckte sich Moni in Unverpackt-Läden ein. Leider gab es nur einen einzigen in Innsbruck, dafür aber viele Bauernmärkte. Auch deswegen freute sich Moni so sehr auf den Hof in Montan. Ein plastikfreies, nachhaltiges und gesundes Leben, eine Art Selbstversorger strebte sie an. Ganz im Gegensatz zu Luxus und Überfluss.
Das war doch damals die Idee von Herbert, oder? Eine große Traurigkeit überfiel sie, dann setzte sie sich auf den Stuhl und schaute eine dreiviertel Stunde in den Backofen.
***
Käthe und Uta hatten einen langen Spaziergang mit den Hunden hinter sich, sie standen im Badezimmer und säuberten die Pfoten von ihren Fellfreunden. Käthe erzählte ihrer Tante vom glücklichen Leben in Innsbruck und auf dem Hof. Ihre Freundin Kim mit der neuen Rock-Band erwähnte sie nur am Rande. „Tantchen, sei mir nicht mehr böse, aber ich fühle mich dort tausendmal wohler.“ Uta lächelte, „Ja ich werde diese Tatsache akzeptieren müssen. Hauptsache du bist glücklich! Ich freue mich so sehr darüber.“ Otto hatte in der Zwischenzeit Hähnchen und Pommes von der Grillstation nebenan besorgt. Er wartete bereits ungeduldig am Esstisch. Immer wenn Käthe in seine Nähe kam, beschlich sie ein seltsames Gefühl. Es war wie eine Bedrohung, als würde man ihr für eine Sekunde den Hals abschnüren. Gleich morgen früh würde sie Dr. Marowski anrufen und ihm diese Erkenntnis mitzuteilen.
Später verschanzte sich Käthe im Gästezimmer mit Laptop und Handy. „Hey Lina Schwesterherz, hast du morgen Zeit?“
„Nadierlich, wegge?“
„Kannst du mich abholen? Ich würde gerne die restlichen Tage bei dir und den Kindern verbringen“.
„Subber Idee, aber am Beschde du machsch amol dr Fihrerschei“, Lina schwäbelte extrem, lachte dabei laut.
***
Das große, helle Ladengeschäft hatte an diesem Nachmittag nur für sie geöffnet. Für die Herren standen zwei Männer bereit, für Rita und Moni jeweils zwei Damen. Darüber schmunzelte Moni und zwinkerte der völlig verunsicherten Rita zu. „Wir schaffen das!“
Auf einem Beistelltisch standen Saft- und Wasserflaschen, Kekse und Äpfel sowie Deospray parat. Moni hatte schon wieder verrückte Gedanken, doch zwei der Damen bugsierten sie in eine überdimensionale Umkleidekabine mit tausend Spiegeln. Einige Erklärungen später stand sie neben ihrem Uwe und starrte auf seinen perfekt sitzenden Anzug. Er war aus einem wunderschön glänzenden Stoff in einem knalligen Blau. Dazu hatte er ein hellblaues Seidenhemd an. Die passenden Schuhe mit einem modernen Absatz, glitzerten silber-hellblau. „Wow Schatz, du bist aber schnell fertig!“
„Sie hatten diese Auswahl aufgrund unserer Angaben schon vorbereitet. Die Frage ist nun, gefällt dir diese Farbkombination? Dann würde dein Kostüm in der gleichen Farbe sein. Nur eine Nuance heller.“
Moni nickte staunend, jemand schob sie zurück in die Umkleide. Man verpasst ihr einen Minirock, ebenfalls aus einem wunderbar glänzenden blauen Stoff. Die Damen umkreisten sie mit einem Maßband und Stecknadeln, denn der Rock musste exakt 15 cm über dem Knie enden. Da stand sie nun vor dem großen Spiegel, sollte auf Kommando die Arme anheben, umdrehen, sich bücken, die Schuhe anprobieren, hinsetzen, wieder aufstehen. Diese Prozedur dauerte eine ganze Weile, beinahe wurde es ihr schwindelig, wie eine Anziehpuppe behandelt zu werden.
„Sodala, und? Was sagen Sie dazu Frau Häberle?“ Ungläubig starrte sie ihr Spiegelbild an. Sie sah wirklich umwerfend aus. Noch nie hatte sie solche Kleidung an, noch nie hatte sie sich so gesehen.
Zum perfekten Minirock hatte sie eine zarte, weiße Bluse mit einem sagenhaften, todschicken aber nicht zu verführerischen Dekollette-Ausschnitt mit Rüschchen an. Darüber die zum Rock passende, figurschmeichelnde Blazerjacke. Der Stoff fühlte sich leicht und luftig an. Ihre dunklen Locken waren ein toller Kontrast auf dem blauen Kleidungsstück. Wie war der Spruch? Kleider machen Leute? Auf jeden Fall. In den glitzernden, sogar gemütlichen Fast-High-Heels, trat sie aus der Kabine. Uwe saß apfelessend in einem Sessel und wartete. Verblüfft sah er sie an, riss Augen und Mund auf. Schnell sprang er auf, „Ach du meine Güte, mein Engel. Du bist unglaublich schön!“
Jetzt wurden sie von den Herrschaften gemeinsam vor den Spiegel gestellt. Moni war durch die hohen Absätze fast so groß wie Uwe. Diese Tatsache wurde jetzt fotografiert und ausgewertet. Mit Scheinwerfern wurden sie angeleuchtet, schnell wurde es ziemlich heiß, Moni fing an zu schwitzen. Sie dachte an das Deospray. Der Chefschneider lief mit einer Lupe um sie herum und überprüfte die Stimmigkeit der zwei Blautöne der Anzüge. Wieder mussten sie auf Kommando sich umdrehen oder laufen, sich anschauen, nach oben strecken, dann wieder bücken.
„Jetzt ist aber endlich gut, oder?“ Moni hatte wirkliche keine Lust mehr. Uwe lächelte sie an und küsste sie zärtlich. „Mein Engel, die bist einfach klasse!“
Nach fast zwei Stunden waren sie endlich fertig. Man drückte ihnen einen Zettel in die Hand, darauf stand der Termin für die zweite Anprobe eine Woche später. Sie durften bis zu der großen Gala weder zu- noch abnehmen. Draußen trafen sie Georg und Rita, sie sahen genauso fertig aus. „Los jetzt, wir haben uns ein kühles Bier verdient, oder?“
Gleich in der Nähe fanden sie eine gemütliche Kneipe. Die Frauen erzählten von ihren Erlebnissen, auch Rita hatte ein wunderschönes Outfit gefunden. Ihr hatte man einen Hosenanzug in der Farbe grau verpasst, dazu eine hübsche rosa Bluse. Die Männer quatschten über die Klinik und ihre Patienten. Gemeinsam begleiteten sie Rita später zur Bushaltestelle, denn sie fuhr wieder zurück nach Montan. Olga und Franz wären sonst alleine.
Uwe und Georg loggten sich in den Klinik-PC ein, um eine Online-Visite durchzuführen. Moni saß gemütlich strickend auf der Couch. Im TV-Gerät lief eine Doku über Unverpackt-Läden, das fand sie wahnsinnig wichtig. Sie hoffte, durch die vermehrten Beiträge würden immer mehr Menschen sich ebenfalls dafür interessieren. Georg blieb über Nacht im Gästezimmer, er hatte am nächsten Tag einige Gespräche in der Klinik.