Käthe griff ins Geschehen ein. „Mein Entschluss steht fest. Ich werde dich anzeigen, du hast mir eine wichtige Zeit von meinem Leben gestohlen, das soll nicht unbestraft bleiben.“ Uwe gab Uta die Kopie des Arztbriefes. Ihr hilfloser Blick wirkte hilflos und verletzt. Mit seiner sanften Stimme flüsterte er, „Uta, niemand will dich verarschen, ja? Wir haben drei Zimmer im Hotel Sonne gebucht, du kommst mit uns mit. Wir helfen dir.“
Otto stürmte auf den Balkon, schlug die Hände vors Gesicht und schüttelte den Kopf. „Die Polizei wird sich bei dir melden“, war das Letzte, was Käthe ihrem Onkel zu sagen hatte.
„Was mach ich mit meinen Hunden, meinen Lieblinge? Oh mein Gott ist das alles schrecklich! Das muss ich jetzt Johann erzählen, oder weiß er es schon?“ Moni schüttelte den Kopf, „Nein unseren Bruder habe ich noch nicht eingeweiht, diese Entscheidung wollte ich dir überlassen.“ Inzwischen saß Uta heulend auf dem Stuhl.
Käthe stand auf dem Balkon, um ihre drei Zigaretten zu rauchen. Die Hunde sprangen wie vom Blitz getroffen durch alle Zimmer. Kim half Uta beim Packen, Uwe bewachte Ottos Aktionen und Moni räumte die Küche auf, verstaute auch die wunderbare Torte.
Die Neuigkeit traf Johann so hart, dass er sich sofort ins Auto setzte, um in seine Heimat zu fahren und die Schwestern zu unterstützen. „Ich wusste ja schon immer, dass mit dem Idiot etwas nicht stimmte!“ Diesen Satz hätte er sich sparen können, aber Johann war eben so.
Schnell fuhr Moni die Mädels mit dem gesamten Gepäck ins Hotel. Danach holte sie Uwe und Uta mit all ihrem wichtigen Hab und Gut ab. Die Hunde musste sie für den Moment schweren Herzens zurücklassen. Uwe verabreichte der niedergeschlagenen Uta leichte Beruhigungstropfen.
Der Abend bei Lina verlief ziemlich ruhig. Die Frauen hatten viel zu bereden, wurden aber immer wieder unterbrochen, weil entweder Käthe oder Uta weinten. Uwe kümmerte sich liebevoll wie ein echter Onkel um die Kids. Zuerst spielte er mit ihnen draußen Verstecken, dann bauten sie gemeinsam eine Stadt aus Lego auf. Es war einer dieser Tage, an denen Moni spürte, dass sie diesen verrückten Chefarzt wirklich liebte. Auch wenn Herbert noch immer, vermutlich für immer, seinen festen Platz in ihrem Herzen hatte. Sie liebte eben zwei Männer.
Nach ausgiebigem Kuscheln erzählte Moni ihren Enkeln eine Gute-Nachtgeschichte. Schnell schliefen die lieben Kleinen ein. In der Zwischenzeit war Johann angekommen. Gemeinsam aßen sie abends um 21 Uhr die Torte von Uta. Nach langem Hin und Her beschlossen sie, dass Uta hier bei Lina blieb, denn beide fürchteten sich davor, die Nacht alleine zu verbringen. Johann nahm das reservierte Hotelzimmer von Uta.
***
Georg saß mit seiner Rita beim Abendessen. Franz war bereits im Stall, Olga mit den Hunden im Wald. „Wie schön, dass dein Uwe jetzt hier wohnt, oder?“ Sie freute sich ehrlich, denn sie liebte ihn beinahe wie ihren eigenen Sohn. Schließlich hatte sie ihm früher sogar die Windeln gewechselt. „Ja, das ist wahrlich wunderschön. Irgendwie habe ich aber ein ungutes Gefühl wegen Moni.“
„Aber warum das denn? Sie ist eine tolle, selbstbewusste und fleißige Frau. Noch dazu so herzerfrischend natürlich und äußerst hübsch, findest du nicht?“ „Doch, aber sie hat ihre Trauerarbeit nicht gemacht. Hat noch immer keine Erinnerungen. Das ist nicht gut, glaube mir. Das ist nicht gut. Ich gehe davon aus, dass sie alles verdrängt hat. Irgendwann wird die Bombe platzen.“ „Ach herrje, denkst du das wirklich?“ Georg nickte, küsste seine Rita zärtlich in den Nacken und verließ das Zimmer.
Rita blieb mit hängendem Kopf sitzen. Sie schaffte es einfach nicht, Georg in ihr kleines Geheimnis einzuweihen. Schon seit einigen Tagen quälten sie seltsame Bauchschmerzen. Diese begannen meistens nach dem Essen. Wie damals ihre Schwester traute sie sich nicht, dem Arzt davon zu erzählen. Den Grund dafür wusste sie nicht. Wollte sie unbedingt stark sein? Sie seufzte laut und faltete die Hände. Dabei schloss sie Uwe und Moni ganz fest in ihr Gebet ein.
***
Am nächsten Tag holten Johann und Uwe die Hunde sowie das komplette Zubehör bei Otto ab. Uta hatte auf einem Zettel notiert, was sie noch dringend aus der Wohnung benötigte. Käthe spazierte mit Kim durchs Dorf und zeigte ihrer Freundin die wichtigsten Plätze ihrer Kindheit.
Moni spielte unterdessen mit ihren Enkelkinder, dann half sie Lina in der Küche. Nach einem gemeinsamen Mittagessen würde Uta und die Hunde mit Johann nach Köln fahren. Er kannte einige Leute, die Wohnungen vermieteten. Beim Abschied lagen sich Uta und Moni lange im Arm. Beide Frauen fanden jedoch keine Worte. Uwe meinte leise, „Wir bleiben ja alle in Kontakt, oder? Du bist immer herzlich bei uns in Österreich eingeladen.“
Uwe beantwortete noch einige Fragen von Lina bezüglich der Einrichtung. Zum Schluss drückte er Monis Tochter ein Bündel Scheine in die Hand. „Kauft euch was Schönes, ja? München ist teuer.“ Dann hieß es auch hier Abschied nehmen. Die Kleinen pressten ihre feuchten Lippen auf Monis Wange. „Tsüss Omi, tsüüüüüss“, es brach ihr schier das Herz, als sie die lachenden Kinder betrachtete und an ihre eigenen Töchter dachte. Wie konnte das damals nur passieren? Warum hatte es niemand bemerkt? Warum hatte sie es als Mutter nicht bemerkt? Ein weiterer Schicksalsschlag, der ihr jetzt erst so richtig bewusst wurde. Scheinbar war Moni Weltmeister im Verdrängen.
***
Automatisch übernahm Uwe die Rückfahrt. Moni schlief nach den ersten Kilometer tief und fest ein. Man hörte ein leises Schnarchen. Kim und Käthe kuschelten auf dem Rücksitz und flüsterten leise. Sie besprachen die nächsten Wochen. Gemeinsam blickten sie dennoch hoffnungsvoll in ihre Zukunft. Nach einer Stunde waren auch die Mädels eingenickt. Uwe war alleine mit seinen Gedanken und der wenig befahrenen Autobahn. Ganz entspannt lenkte der den Wagen. Eine Hand am Steuer, die andere stützte sein Kinn, den Ellbogen hatte er an der Tür aufgestellt. Aus den Augenwinkeln betrachtete er dankbar seine Moni. Immer wenn er sie ansah, zauberte sie ihm ein Lächeln ins Gesicht. Eine turbulente Zeit lag hinter ihnen. Und jetzt auch noch diese wirklich böse Geschichte mit Käthe und Lina.
Schon seit einem halben Jahr hatte Moni sein Leben auf so wunderbare Weise verändert. Wie glücklich sie ihn machte. Durch sie fühlte er sich zum ersten Mal in seinem Leben wie ein richtiger Mann. Er liebte sie abgöttisch. In der Sekunde, als er die verunglückte, schwerverletzte Frau in dem Intensivzimmer sah, strömte ein wunderbares Gefühl durch seinen Körper. Diesen Moment würde er niemals vergessen. Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, da er hinter sich eine Sirene hörte. Zusammen mit den anderen Fahrzeugen bildete er die wichtige Rettungsgasse. Moni schlug die Augen auf, gähnte herzhaft. „Hä? Is was? Wo? Ach, hallo“.
„Hast du geträumt, mein Engel?“ Uwe streichelte über Monis Schenkel. Von hinten hörten sie Stimmengemurmel. „Oh nein, ein Unfall? Ein Stau?“ Uwe suchte nach dem Verkehrsfunk und einer Stauinfo auf dem Navi. Moni kramte aus ihrer Tasche belegte Brote hervor und drückte jedem eins in die Hand. „Wir haben alles was wir brauchen.“
Moni hatte die Idee, mit Wortspielen die Wartezeit zu verbringen. Schon nach wenigen Minuten lachten sie gemeinsam über gemachte Fehler oder witzige Versprecher. Genau dafür liebte er sie. Stets gut gelaunt, anstatt zu motzen, suchte Moni immer schnell nach Alternativen und Lösungen.