Müde saß Moni am Tisch, trank langsam den schwarzen Kaffee, sie dachte an nichts. Immer öfters ertappte sie sich dabei, wie sie einfach nur da saß und vor sich hinstarrte. Sie schüttelte den Kopf, ging duschen und verstaute in ihrer Handtasche zwei Äpfel. Um 09:00 Uhr hatte sie einen Termin im angesagten Einrichtungshaus Kranebitter. Das Wetter war gut, deswegen spazierte sie gemütlich in die Stadt. Uwe hatte ihr inzwischen drei Paar maßgeschneiderte Schuhe anfertigen lassen. Da der rechte Fuß noch immer dicker war, konnte sie nicht einfach im Laden ein neues Paar kaufen. Heute hatte sie wunderschöne glitzernde weiße Sneakers an, wie auf Wolken lief sie damit. Unterwegs aß sie den ersten Apfel, da knurrte ihr Magen erst recht.
Kissen, Kuscheldecken, eine Wanduhr sowie zwei große Bodenvasen waren schnell ausgesucht. Bei den Handtüchern, Tischwäsche, Servietten, Geschirr und sämtlichen Küchenutensilien war es für Moni weitaus schwieriger sich zu entscheiden. Mit Uwe hatte sie im Vorfeld in den Katalogen gestöbert, um zu sehen, ob es Gemeinsamkeiten gab. Letztendlich hatte er ihr freie Hand gegeben und sich auf ihren guten Geschmack verlassen.
Erschlagen von den wunderschönen, exklusiven Heimtextilien, Deko-Artikel sowie Einrichtungsgegenstände begann das Pochen in ihrer Schläfe schon nach der ersten Stunde.
Nirgends waren Preise an den Artikel angebracht, so wusste Moni tatsächlich nicht, was für ein Vermögen sie heute ausgegeben hatte. Die Verkäuferinnen waren extrem freundlich, zuvorkommend und lieb, boten Kaffee und Kekse an. Fehlte nur noch der rote Teppich.
Zum Schluss füllte Moni den Lieferschein mit der neuen Adresse von Montan aus, gab als Lieferdatum den 15. März 2018 ein. Zum Schluss unterschrieb sie mit ihrem Namen. „Soll ich gleich bezahlen?“ Erschrocken blickten die Verkäuferinnen sich an. „Naaaa, auf keinen Fall! Das iss doch net nötig.“ Sie verbeugten sich und steckten ihr eine Kopie des Lieferscheines zu. „Des machen die Herren unter sich aus, wie immer!“
Moni runzelte die Stirn und warf den Kopf in den Nacken, „Aha, alles klar. Dann wünsche ich noch einen wunderschönen Tag!“ Sie überlegte sich amüsiert, wie das die Herren unter sich ausmachen würden. Ob Uwe Gutscheine verteilte? Für einmal Gehirn durchpusten oder so.
Ein gut gekleideter, gepflegter Mann mit einem attraktiven Äußeren, trat ihr in den Weg. Er stellte sich als Geschäftsführer Herr Romberg vor. „Frau Ortner, vielen Dank für Ihren Einkauf in unserem Haus. Haben Sie alles gefunden? Waren Sie mit dem Service zufrieden? Haben Sie noch einen Wunsch?“ Moni hielt sich die Hand vor den Mund und kicherte. „Ähm, ich bin die Frau Häberle, Moni Häberle.“ Sofort verfärbten sich die Wangen des Mannes dunkelrot. Da hatte Moni eine Idee. „Ja, also bitte liefern Sie Wäsche und Stoffe unverpackt, vor allem ohne Plastik, wenn es geht frisch gewaschen und gebügelt. Bitte alle Artikel nur im Karton oder Papier verpacken. Ich möchte absolut keinen Verpackungsmüll haben. Das wäre wirklich super und bei Ihnen bestimmt im Preis inbegriffen.“ Sie gab ihm die Hand und verabschiedete sich freundlich. Mit Herzklopfen, grinsend, irgendwie über sich selber erschrocken, verließ sie schnell das Fachgeschäft.
Draußen atmete sie tief durch.
Zufrieden betrachtete sich Moni im Schaufenster. Selbstbewusst lächelte sie sich zu. Die letzten Wochen und Monate hatte sie hart trainiert. Noch dazu die ulkigen Essgewohnheiten von ihrem Uwe-Schatz übernommen. Sie halfen ihm dabei, über lange Zeit fit zu bleiben, er konnte es sich schließlich nicht leisten, nach zwei, drei Stunden müde zu werden. Zum Frühstück gab es nur Äpfel, Birnen oder regionales Obst. Ganz selten auch mal eine Banane. Ansonsten bestand der Speiseplan hauptsächlich aus Gemüse, Salate, Schinkenbrot, Ziegenkäse und ab und zu mal eine Pizza. Nach langen Operationstagen genehmigte er sich manchmal Butterbrezeln oder belegte Brötchen vom Kiosk. Kuchen und Süßigkeiten waren die absolute Ausnahme. In Montan gab es zusätzlich Tiroler Gröstl. Aber natürlich nur ohne Zwiebeln.
Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Es fehlten zehn Kilo Schwabbelmasse, dafür hatte sie ordentlich Muskeln aufgebaut. Dennoch hatte sie ihre üppigen, weiblichen Rundungen behalten.
Durch die Kosmetikbehandlungen bei Victors Ehefrau Irina hatte sich Monis Hautbild positiv verändert. Von ihr hatte sie gelernt, sich vorteilhaft, mit nur wenig Schminke ins rechte Licht zu rücken. Die langen schwarzen Locken hatte sie seit dem Unfall nicht mehr schneiden lassen. Das war zwar aufwändig beim Waschen und Pflegen, manchmal auch lästig, doch sie konnte sich nicht von ihnen trennen.
Lange Narben am rechten Bein und Ellenbogen sowie zwei fehlende Zehen erinnerten optisch an den schrecklichen Unfall. Das aber war ihr völlig egal. Jedoch die schlimmen Alpträume, die mörderischen Kopfschmerzen und die nicht vorhandenen Erinnerungen. Das machte ihr schwer zu schaffen. Uwe und seine Oberärzte hatten dafür leider keine Erklärung. Wahrscheinlich psychisch, pflegte Georg zu sagen.
Schnell humpelte sie zurück, denn um halb eins musste sie in der Klinik sein zum gemeinsamen Mittagessen mit ihrem Schatz. Kaum war sie pünktlich dort angekommen, hatte sie eine Nachricht von ihm: Mein Engel, bitte stell mir einen schönen großen, bunten Salatteller zusammen. Noch zwei Stücke Fleisch, sollte es heute Rindfleisch oder Pute geben. Bis gleich, dicker Kuss“.
Sie füllte zwei große Salatschüsseln ohne Fleisch und setzte sich in die hinterste Ecke der hübsch eingerichteten Kantine. Viele Mitarbeiter kannten sie schon, daher wurde sie freundlich begrüßt. Ein jeder lächelte ihr zu, war ja irgendwie klar. Als Freundin vom Chef mussten sie das doch, oder?
„Entschuldige, ist hier noch frei? Darf ich mich zu dir setzen, Moni?“ Überrascht erblickte Moni den Pfarrer. „Oh hallo, aber natürlich, gerne.“
„Na, was macht die Trauerarbeit? Du weißt, das ist sehr wichtig!“
„Ja, ich weiß. Doch leider fehlen mir immer noch die Erinnerungen. Ich kann einfach nicht richtig trauern.“ Er wollte gerade antworten, da klingelte sein Telefon. Er entschuldigte sich und lief davon. Moni holte tief Luft, puhh nochmal Glück gehabt.
Dann sah sie ihren gutaussenden Arzt herbei schweben. Den weißen Kittel hatte er offen, durch seine schnellen Schritte flatterte dieser wie die Flügel eines Vogels. Die eine Haarsträhne hing ihm wie immer ins Gesicht, dazu die lange Narbe an der Schläfe, wenn sie ihn so sah, musste sie immer an einen Piraten denken. Seine blauen Augen strahlten, als er sie erkannte. Zur Begrüßung drückte er seiner Herzdame einen Kuss auf die Wange.
„Mein Engel, schön dich zu sehen“, rief er laut. „Schatz, es sind nicht mal sieben Stunden vergangen seit ...“, „Ich vermisse dich jede Sekunde,“ fiel er ihr lächelnd ins Wort.
Moni gab sich geschlagen, sie erzählte ihm von den blöden Kopfschmerzen. „Sind sie jetzt weg?“, Moni nickte schwach, „Fast.“
Uwe aß schnell seinen Salat, kaum zehn Minuten später verabschiedete er sich schon wieder. „Mein Engel, entschuldige, ich bin sehr im Stress, treffen wir uns auf einen Kaffee mit Kuchen heute Nachmittag? Uhrzeit gebe ich noch bekannt.“ „Stopp, so geht das nicht, das wird mir alles zu viel. Ich möchte meinen Tag selber gestalten. In aller Ruhe, da kann ich nicht immer auf Abruf bereit sein. Bitte, kannst du das verstehen?“
„Ach so ja ok, aber denk an unseren Finanztermin,“ nervös blickte er zur Uhr, „Um 17:30 kommt Robert ins Besprechungszimmer Nummer drei.“ Zärtlich nahm er seine Moni in den Arm, küsste sie, schon war er wieder weg.
Sie schlug sich mit der Hand auf die Stirn, Noch ein Termin heut. Logisch!“
Lustlos blieb Moni sitzen, ließ ihren Gedanken freien Lauf. Uwe hatte als Chefarzt immer viel zu tun, das wusste sie. Jetzt natürlich erst recht. Nachdem er selber eine Woche Urlaub hatte, waren nun Peter und Victor, seine Oberärzte in die Ferien gefahren. Sogar ganze drei Wochen hatte er ihnen genehmigt. Mit Eva, seinem Vater und den insgesamt vier Assistenzärzten würde er die nächste Zeit gut bewältigen können. Für den Umzug nach Montan hatte er sich nochmals eine freie Woche eingetragen.
Die Ärzte Benefiz-Gala nicht zu vergessen. Ihr erster öffentlicher Auftritt, mit Presse und dem ganzen Tri tra trallala. Schnell öffnete sie den digitalen Terminkalender am Handy. Schon übernächstes Wochenende war das ja. Sie blätterte weiter, fand den Termin morgen um 16:00 Uhr beim Einwaller Modehaus zur Anprobe. Oh mein Gott, es lief ihr kalt den Rücken hinunter. Worauf hatte sie sich da nur eingelassen?
Uwe hatte seinen Kalender mit ihrem E-Mail-Programm verknüpft, so dass alle Termine bei Moni automatisch eingetragen wurden. Die Gemeinsamen waren rot hinterlegt.
Der Pfarrer kam zurück und aß brav sein inzwischen kaltes Schnitzel. „Ja also Moni, wo waren wir nur stehen geblieben?“
Sie hörte ihr Handy brummen. Morgen 7:30 nüchtern zur Blutabnahme, danach MRT des Schädels. Kuss. Ich liebe dich! Moni grinste, er war einfach der Beste.
Der Pfarrer nahm ihre Hand, „Wie wärs mit uns beiden, einmal in der Woche für ein gutes Gespräch. Es hilft, über alles zu reden, was einem auf dem Herzen liegt.“ Moni presste die Lippen aufeinander, „Ja, ich glaube das ist eine gute Idee.“